KERNspalte

Manchmal überrascht es einen doch, wie viele Menschen sich noch nicht dem neoliberalistischen Konformismus untergeordnet haben, trotz "fun, fun, fun", der Partei des konsumfreundlichen Citoyen und allgemeinem Dummheits- (was immer auch bedeutet: Rechts-) -trend. Über 4.800 Menschen kamen zur bundesweiten Anti-AKW-Demo am 23.9. in Gorleben, darunter so illustre Gestalten wie die "Christlichen Demokraten gegen Atomkraft", die "atompolitische Opposition bei den Grünen", Gaukler, Bauern, IG Metaller, Schweden, Franzosen, und viele, viele andere, die schon seit über 20 Jahren aktiv sind oder noch nicht mal 10 Jahre auf der Welt. Ein militärischer Sieg über die Atomanlagenbetreiber stand diesmal nicht auf dem Programm, sondern die Themen Uranabbau/Urananreicherung (Gronau), Endlager (Gorleben, Schacht Konrad), WAA-Transporte, Stromwechsel und "die Grünen". Während Wolfgang Ehmke von der BI Lüchow-Dannenberg ihnen das Zeugnis "Versetzung gefährdet" ausstellte, war der VW-Betriebsrat aus Salzgitter von Trittin einfach nur "enttäuscht". Der BUND meint: "Rot-grüne Politiker arbeiten für die Atomindustrie", viele andere Gruppen subsumieren sie unter "das System". Einhellig verurteilt wurde natürlich der Atom-"konsens", fast ebenso verbreitet ist der Widerstand gegen "die Globalisierung", grenzübergreifende Zusammenarbeit wird fast überall für notwendig gehalten. Zum Thema Neoliberalismus gab es allerdings unterschiedliche Einstellungen: Während die einen ihn für die eigentliche Ursache des staatlichen Rückzugs aus der (Atom-) Politik halten und damit das Feld der Industrie überlassen sehen, halten Greenpeace und andere Anbieter von Ökostrom (Lichtblick, Elektrizitätswerke Schönau, Naturstrom AG etc.) ihn auch für eine Chance. Zitat aus einem Stromwechsel-Flugblatt: "Die Stromerzeuger können also nicht mehr allein bestimmen, welchen Strom sie produzieren; sie müssen sich nach dem Willen der Verbraucher richten, wenn sie Absatz finden wollen".

Die badischen Anti-Atomgruppen gehen weiterhin davon aus, dass Ende Oktober TN13-Transporte von Philippsburg zur WAA La Hague stattfinden werden. Auch Stade und Neckarwestheim ab November sind weiterhin im Gespräch. Gewohnt überschwänglich und unrealistisch meinte dazu der Sprecher von "X-1000-mal quer", Jochen Stay, jetzt bestehehe die Möglichkeit, durch Dauerblockaden den technischen Atomausstieg zu erzwingen, 25 Jahre vor dem politisch geplanten Aus!

Eine weitere, unerfreuliche Neuigkeit gab es auch: Die Seerauer Eisenbahnbrücke über die Jeetzel, die bisher so tapfer Widerstand gegen die Castor-Züge geleistet hatte, wird trotz Denkmalschutzes wohl noch in diesem Jahr von Grund auf saniert werden. Das Eisenbahnbundesamt hat die Genehmigung erteilt, so dass ein kompletter Neubau leider nicht nötig sein wird. Dass die Bahn vorhat, Anfang 2001 wieder Castor-Transporte über diese Brücke rollen zu lassen, untermauerte ein verhältnismäßig umfangreicher Polizeischutz an und auf der Brücke, die wohl sonst gut 25 km von der Demo entfernt ein einsames Dasein gefristet hätte. Ein Armutszeugnis für die Bundesregierung ist jedenfalls die Forderung der Gewerkschaft der Polizei, auch mit den Atomkraftgegnern einen "Transportkonsens" zu suchen und nicht nur mit der Industrie! Die Freunde und Helfer sehen sich nicht in der Lage, mehr als einen Transport pro Jahr zu sichern. Auf ihre Anwesenheit bei diesem einen hätten wir aber auch liebend gerne verzichtet.

Im Ausland läuft Atomkraft genauso wie in Deutschland: jede Menge technische Mängel, aber trotzdem Weiterbetrieb. So z.B. im Schweizerischen Atommüllzwischenlager Würenlingen an der deutschen Grenze, das erst vor vier Monaten eingeweiht wurde: Der Verglasungsofen funktioniert nicht richtig, überhöhte Schadstoffwerte sind die Folge, und der Roboter, der die Atommüllfässer in den Ofen schieben soll, hat wohl ein zittriges Händchen, er kriegt sie nicht recht zu packen. Auch die neue Lagerhalle wurde wegen zahlreicher Mängel von der Schweizer Atomaufsicht noch nicht freigegeben. Die badischen Anti-AKW-Initiativen wollen sich gemeinsam mit Schweizer AKW-Gegnern stärker für eine Stilllegung dieser Anlage einsetzen.

Erneute Panne in Tschechien: Die tschechische Atomsicherheitsbehörde hat die Betreiber von Temelin zur Wiederholung eines Testlaufs aufgefordert. Bei der Vorbereitung zum Anfahren des Reaktors sei am 21.9. ein Teil des Probebetriebs nicht erfolgreich verlaufen. Trotzdem wird an einem Echtbetrieb ab Oktober festgehalten, da können die Österreicher noch so oft die Grenzen blockieren (zuletzt am 22.9.).

Ein weitblickendes Atomausstiegsgesetz gibt es offenbar in Schweden. An die Vereinbarungen braucht sich nicht gehalten zu werden, wenn die Regierung in den zurückliegenden 19 Jahren ausreichend eigene Untätigkeit und Schlamperei belegen kann! Konkret: Barsebäck 2 soll eigentlich am 30.6.2001 endgültig abgeschaltet werden, sagt der Parlamentsbeschluss. Das wird nun verschoben, sagt die Regierung. Begründung: Die Stromleistung des 600-MW-Reaktors kann nicht ausreichend durch "erneuerbare Energiequellen oder Energieeinsparungen" ersetzt werden - im Gegenteil, der Stromverbrauch der Schweden ist sogar angestiegen. Und um alternative Energiequellen hat sich die Regierung, Eigentümer des größten schwedischen Atomkonzerns Vattenfall, einfach nicht gekümmert. Diese Versammlung von selbsternannten Faulpelzen und Sesselfurzern kann sich schon mal darauf vorbereiten, dass Barsebäck ab dem 1.7.2001 blockiert wird, denn schwedische Initiativen mobilisieren heute schon international, besonders in Deutschland, für diesen Tag.

(BG)