Kultur

Gestreckter Stoff

"Kanak Attack": Wie "Misstöne vom Rande der Gesellschaft" zum Lifestyle für die Viva-Generation werden

Ein Ami-Schlitten beladen mit zwei Huren nebst Luden brettert das Kieler Hindenburgufer zwischen Seebad Düsternbrook und Tirpitzmohle entlang. Als Soundtrack dazu - na klar - knalliger Gangsta-Rap. Das hat zweifelsohne seinen Reiz. Genauso wie die Szene vom Fähranleger Strande, von dem der verprügelte Hauptdarsteller Ertan geschmissen wird, oder das rührend-plumpe product placement mit der mit Öger-Tours-Plakaten zugekleisterten Litfasssäule vor der Diskothek Velvet.

Wie gesagt, all das hat etwas - aber auch nur, wenn man öfter am Hindenburgufer entlang läuft, Strande kennt und weiß, welche Knaller im Velvet verkehren. Lokalkolorit eben. Und dieses Lokalkolorit muss auch die "Kieler Nachrichten" bewogen haben, die Premiere von "Kanak Attack", Lars Beckers Verfilmung von Feridun Zaimoglus "Abschaum - die wahre Geschichte von Ertan Ongun", am 1.10. im CinemaxX zu präsentieren. Die KN weiß eben, wie man Leser-Blatt-Bindung herstellt. Da wird Feridun Zaimoglu zum Kieler Erfolgsautor hochgejubelt und ein sichtlich schlecht vorbereiteter Mitarbeiter darf Autor und Regisseur belanglose Fragen stellen und die real existierende Hauptperson des Buches, "den jetzt cleanen Junkie" Ertan Ongun, auf die Bühne bitten. Dieser widmet dann auch den Film, der, so Ongun, "zeigen soll, dass jeder noch so fertige Junkie es schaffen kann, etwas aus seinem Leben zu machen", allen Kielern. Um nicht missverstanden zuwerden - Respekt für jeden, der es geschafft hat von seiner Sucht loszukommen, verständlich auch Ertan Onguns Stolz und Freude darüber, nun als Musikproduzent ein besseres Leben zu führen. Als Message jedoch sind solche "man muss nur wollen und kämpfen"-Parolen fatal.

Doch zurück zum Film. Eigentlich schwer vorstellbar, dass "Kanak Attack" jemanden, der keine sentimentalen Gefühle für Kiel hegt, irgendwie interessieren könnte. Es sei denn - und so wird es wohl auch gewesen sein -, der Film zielt von vornherein auf ein Publikum ab, dass sich sein Lebensgefühl aus einem "Ghetto-Style, light" borgt. Also: smarte Nicht-Eingeborene, ein bisschen Kriminalität (gern auch mit Waffen und Toten), ein bisschen Sex (Kiez-Milleu geht immer gut) und ein wenig Morbidität (Drogen), wobei im Grunde genommen aber alle Beteiligten doch äußerst eloquent, höflich, sauber und edel sind - der hippe, sympathische Gangsta von Nebenan eben. Kurz - der ganze ästhetisierte Elend-Schick, aus dem man HipHop-Videos für weiße Mittestands-Youngsters macht.

Feridun Zaimoglu - Autor von "Abschaum"

Wo liegt das Problem? Jeder Regisseur hat schließlich das Recht schlechte - oder besser: kalkulierte - kommerzielle Filme zu machen. Ganz einfach: Feridun Zaimoglus Buch hat es nicht verdient! "Abschaum" beeindruckt in seiner Lakonie, seiner Tristesse und seiner zumindest streckenweisen Hoffnungslosigkeit. So schildert Ertan Ongun in der zutiefst deprimierenden "Schlampen-Story" in "Abschaum", wie er es sich in einem Keller von einer wohnungslosen Berberin für einen Döner oral "besorgen" lässt. Der Film-Ertan dagegen verhält sich - egal ob im Puff oder beim Imbissüberfall - eigentlich fast immer wie die Inkarnation des "neuen Mannes". Anderes Beispiel: Ein ähnlich tristes Kapitel des Buches ist "Die Hamsterstory", in der Ertan stoned, genervt und gelangweilt in seiner Wohnung auf Kunden wartet, dabei seinen Hamster als geeignete Projektionsfläche für seinen Frust entdeckt, diesem eine Überdosis Heroin "in den Arsch jagt" und den krepierenden Hamster dann schließlich aus dem Fenster wirft. Im Film dagegen - als hätten autonome Tierschützer heimlich mit am Drehbuch geschrieben - spielt diese Szene im Knast und Ertan will lediglich seine Hamster anfixen, wird dann aber von einer Gefühlswoge aufkommender Tierliebe übermannt und lässt es bleiben.

Ferdidun Zaimoglu muss sich wohl des krassen Unterschieds zwischen Film und Buchvorlage bewusst gewesen sein. Nicht umsonst hat er sich entschieden, genau diese "Hamsterstory" unmittelbar vor der Filmpremiere noch einmal vorzutragen. Gut möglich auch, dass er mit einem lässigen "Baby, Baby - ich brauchte halt die Penunzen aus dieser Kommerzscheiße" die Transformation seines gegen den Kulturalismus-Blödsinn anstinkenden Buches zu einem nichtssagenden aufgeblasenen Videoclip rechtfertigt. Und das ginge ja dann auch in Ordnung.

Aber eines, Feridun, sollte klar sein: Wenn "Kanak Attack" das große Geld bringt, dann gib' gefälligst die "Portraits of non serial guys" noch mal heraus. Literarische Perlen, vor zig Jahren von dir im Kieler "Stadtmagazin" veröffentlicht. Sicher - auch Lokalkolorit, aber keines, das dich zum "Erfolgsautor" der "Kieler Nachrichten" werden ließ.

(cs)