Herr, send' Hirn!

Wahrlich - ein goldener Oktober für das Pack. Erst wurde sich gerade noch rechtzeitig vor den Nationalfeierlichkeiten darauf geeinigt, dass eigentlich alle Parteien und alle Deutschen schon immer die Wiedervereinigung wollten, dann kapierte auch der sonst so bockige Serbe, wie man das veranstaltet, was der deutsche Außenminister eine "friedliche Revolution" nennt. (Nebenbei bemerkt, liegt Fischer mit diesem Etikett für das Ende der Systemkonkurrenz vor 11 Jahren noch um einiges mehr daneben als Margot Honecker, die in ihrem jüngst erschienen Buch, das Ganze als "Konterrevolution" beweint.) Aber zurück zum goldenen Oktober: Auch auf dem wichtigsten Nebenkriegsschauplatz, dem Sport, war trotz der nur mäßigen Medaillienausbeute in Sydney wieder alles im Lot. In England wurde von der Deutschen Nationalelf endlich die 34 Jahre zurückliegende Schmach von Wembley gesühnt und als Krönung des nationalen Taumels, der mittlerweile nach den Freunden "befreiter Zonen" und den DurchschnittsnationlistInnen auch die Zivilgesellschaftsfraktion und Teile der PDS erreicht hat, wurde Michael Schumacher zu allem Überfluss auch noch Formel I Weltmeister. Für sensible Gemüter also ausreichend Gründe, um in depressive Starre zu verfallen, beziehungsweise sich im Nahen Osten mal nach diesem Equipment für Selbstmordkommandos - diese in eine Art Schulranzen verpackten Sprengstoffladungen - umzusehen. (Ob man so etwas mittlerweile auch e-commerce-mäßig im Internet bestellen kann - www.einfachmalbammmachen.com? Anzunehmen.)

Unerwarteten Seelenbalsam gab es jedoch vom ehemaligen italienischen Staatspräsident Francesco Cossiga. Cossiga, selbst Patriot und Rennsportfreund - aber wenigstens kein deutscher, fand die richtigen Worte zur richtigen Zeit: "Der Sieg Schumachers ist mir völlig egal. Für mich hat das glorreiche Unternehmen Ferrari gewonnen und nicht ein frecher super-bezahlter Bengel." Ordentlich auf den Sender ging Cossiga v.a., dass Schumacher beim Abspielen der italienischen Nationalhymne diese mitdirigierte und sich überhaupt wie ein "Clown" aufgeführte. "Es empört mich, dass ein Junge, den wir mit dem Geld unseres Landes bezahlen, als guter Teutone 'Deutschland über alles' hört und beim Hissen seiner eigenen Fahne wie ein kleiner Wehrmachtssoldat strammsteht."

Brechreizfördernd war dieser Tage allerdings schon der Blick vor die eigene Tür. Die "Kieler Nachrichten" berichteten in mehren Artikeln über den Kampf um die Nachfolge auf dem freigewordenen Posten des SPD Kreisvorsitzenden. Sie hätten daraus gut eine Fortsetzungsroman mit dem Titel "So jung und schon so verdorben" machen können. Auffallend an den beiden Kontrahenten in diesem Duell ist die Ähnlichkeit. Beide sind blutjung, 25 bzw.26 Jahre - ein Alter also, in dem man doch eher sein Studium abbrechen, Drogen nehmen und exotische Sexualpraktiken ausprobieren sollte. Beide sind offensichtlich Karriere-geil bis zum Anschlag - langjährige Referenten bei Kieler Sozigrößen und Rechtsreferendare. Und beide müssen - beurteilt man sie nach ihren Pressestatements - wahlweise opportunistisch oder dumm wie Brot (vielleicht auch beides) sein. Auch wenn sich die beiden Jungspezialdemokraten alle Mühe gegeben haben, sich durch die Rollen "Der Hardliner" bzw. "Der Moderate" von einander abzugrenzen, legt ihre erschreckende Austauschbarkeit die Vermutung nahe, in einem Keller des Berliner Willy-Brandt-Hauses würden Franz Müntefering und Herta Däubler-Gmelin alle Empfehlung der Ethikkommission in den Wind schießen und sich nach Feierabend stromlinienförmigen Parteinachwuchs klonen. Gewonnen hat diesen Kampf der Giganten übrigens der 25jährige Moderate, der lustiger Weise auch noch Mitterer heißt. Das ungemein praktische an dem Mann ist, dass man sich schon im Voraus sicher sein konnte, welche Schlüsselphrasen sein erstes KN-Gespräch prägen sollten. Und Volltreffer! Er "hält wenig von Rechts-Links-Schema", "Zum Sparkurs des Oberbürgermeisters gibt es keine Alternative", und natürlich "Durchsetzungsfähigkeit ist keine Frage des Alters". Intellektuelle und emotionale Vergreisung offenbar auch nicht.

(cs)