KERNspalte

Greenpeace besetzte am 12.10. prophylaktisch die Zufahrten zu den AKWs Philippsburg, Biblis und Stade und zog sich dafür 41 Festnahmen und zahlreiche Personalienkontrollen zu. Am 19.10. machten sie bei Kehl am Rhein gleich weiter: sechs Greenpeace-Kletterer seilten sich von einer Eisenbahnbrücke nach Straßburg ab und entrollten ein Transparent mit der Aufschrift: "Kein Gramm Atommüll mehr nach Frankreich!"

Die "atompolitische Opposition bei den Grünen" will sich am 5.11. in Mannheim mit Bürgerinitiativen und Verbänden treffen und zieht sich dafür den Zorn der Parteiführung zu. Hoffen wir für sie, dass die Initiativen und Verbände nicht kommen! U.a. will man einen Rückblick auf Philippsburg werfen, das wird wohl jetzt eher ein Ausblick.

E.ON, das ja bekanntlich aus Wind und Wasser kommt (sofern man ein paar gekauften Knirpsen und Veronica Ferres glauben will), hat entschieden: 2003 wird Stade abgeschaltet. Das ist zwar viel zu spät und auch erst nach der nächsten Bundestagswahl, aber eines zeigt diese Ankündigung des größten deutschen Atomstromproduzenten: dass Stade so unrentabel läuft, dass es keines Atomkonsenses bedurft hätte, um die Abschaltung zu erreichen; dass also die angedrohten Schadensersatzklagen reines Verhandlungsgeschick waren. Und die Proteste der Belegschaft, die Solidarität der AKW-Anwohner mit "ihrem" AKW beeindruckt vielleicht die Bundesregierung, aber nicht die Konzerne. Eine Pressemitteilung von Greenpeace weist zudem darauf hin, dass die Wind- und Wasserexperten von E.ON keine Verantwortung für ihr PR-Gerede kennen: Um den Bedarf zu decken, wollen sie u.U. in Zukunft Strom aus dem Ausland, auch der Tschechischen Republik (Temelin) importieren. Das bietet sich auch an, denn in Temelin wurde am 11.10. die Kettenreaktion ausgelöst. Zunächst für einen zweiwöchigen Probebetrieb mit 2% Leistung im ersten Reaktor. Der zweite Reaktor soll im August 2002 folgen. Passend dazu äußerte Wirtschaftsminister Werner Müller in voraus eilendem Neoliberalismus, ein Importverbot für ausländischen Strom, egal woher, lehne er ab, ebenso zusätzliche Abgaben auf solchen Importstrom, denn das wäre ja ein "nicht akzeptabler Eingriff in die unternehmerische Freiheit". Kritisch sieht er auch was, und zwar "die teilweise zu üppige Förderung regenerativer Energien" wie der Windkraft. Bioläden und 100.000-Dächer-Programm blieben diesmal verschont.

Außer Stade will E.ON allerdings noch weitere 4.500 MW konventionelle Kraftwerksleistung vom Netz nehmen, "wegen Überkapazitäten". Den Angaben zufolge handelt es sich dabei um Blöcke der Kraftwerke Arzberg, Aschaffenburg, Franken II, Offleben, Schwandorf und der Kraftwerksgruppe West im Ruhrgebiet. Vier weitere Blöcke sollen konserviert werden. Muss man bei Überkapazitäten auch Strom importieren? Na, wenn's dem Aktienkurs dient ...

Das Aktionsbündnis gegen Castor Neckarwestheim ist am 14.10. unter Protest aus der Anhörung zum Interimslager am dortigen AKW ausgezogen. Nach Aussagen von Teilnehmern steht das Ergebnis bereits fest, obwohl wesentliche Gutachten noch gar nicht vorlagen und Kernpunkte der vorgebrachten Einwände überhaupt nicht berücksichtigt wurden, wie z.B. die Kontamination der Transporte in die WAA, die Störfälle im AKW, die Abwesenheit der Aufsichtsbehörden während der Erörterung, menschliches Versagen usw. Empörung rief auch die Bestätigung hervor, dass alle Eignungsnachweise des im Lager verwendeten Castor V19 nur auf Computersimulationen beruhen, ein echter Test wurde noch nie durchgeführt.

Der Druck auf Japans Atomwirtschaft wächst: Der einflussreiche Juristenverband hat auf einer Menschenrechtskonferenz in Gifu am 5.10. einen schrittweisen Atomausstieg gefordert. Mit Blick auf den Unfall in Tokaimura fordert der Verband die Nutzung von alternativen Energiequellen, die Einstellung aller geplanten und im Bau befindlichen Atomprojekte sowie ein Verbot der Wiederaufbereitung und die direkte Endlagerung des Atommülls. Währenddessen hat die Regierung eine neue Aufsichtsbehörde gegründet. Die Nuklearsicherheitsinspektion soll künftig die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften in allen Atomindustrieanlagen viermal jährlich überprüfen. Die Inspektoren erhalten auch das Recht auf zusätzliche Kontrollen. Gleichzeitig wird ein Netzwerk von Krisenzentren in der Nähe aller 21 Atomstandorte eingerichtet.

Im Gorlebener Salzstock wird wieder gebuddelt: ein 115 Meter langer Stollen als Fluchtweg für die Bergleute, die den Laden während des Moratoriums über Wasser halten sollen.

Greenpeace und Anwohner der Transportstrecke von Philippsburg reichten einen Widerspruch mit aufschiebender Wirkung ein; die Betreiber beantragten Sofortvollzug: Nach einem juristischen Tauziehen um die Atommülltransporte nach Frankreich gibt die "taz" bekannt: Als nächstes sollen Transporte aus dem Kernkraftwerk Stade nach La Hague am 13., 20. und 27.11. stattfinden. Stade hat insgesamt fünf Atomtransporte beantragt.

Was noch? Im ukrainischen Saporischia, dem größten AKW Europas, hat es einen Störfall gegeben. Angeblich war's nur der Transformator. Der schwedische Staatskonzern Vattenfall übernahm, wie schon andiskutiert, die Aktienpakete von E.ON und Sydkraft an den Hamburger Elektrizitäts Werken HEW und hält jetzt 71,2% der Anteile mit der Vision, zu einem der großen Stromanbieter im deutschen Markt neben E.ON, RWE und EnBW aufzusteigen. Pakistan unterschreibt den Atomteststopp-Vertrag nicht und die USA und Russland haben im Militärhafen von Sewerodwinsk eine Atommüllanlage eingeweiht, die den Nuklearabfall aus stillgelegten Atom-U-Booten trennen und in Fässer verpacken soll.

(BG)