Internationales

Mexiko:

Die Ungleichheit wird zementiert

Von der hiesigen Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet trat im Sommer ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Mexiko in Kraft. Brüssel verhandelt derzeit mit einer ganzen Reihe von Staaten (u.a. Südkorea und Südafrika) ähnliche Abkommen, in die Vieles von dem eingebaut wird, was seiner Zeit mit dem Multilateralen Abkommen über Investitionsschutz (MAI) gescheitert ist (v.a. der Schutz oder besser die Narrenfreiheit europäischer Konzerne). Ungeachtet dieser bilateralen Verträge verfolgt die Brüsseler EU-Kommission - ganz im Sinne der deutschen Industrie - die gleiche Politik auch im Hinblick auf die WTO-Verhandlungen, d.h. was in den zwischenstaatlichen Verträgen festgehalten wird, soll möglichst auch in die multilateralen WTO-Verträge geschrieben werden: Weitgehender Schutz für europäische Konzerne und Öffnung der Märkte für europäische Exporte.

LinX sprach mit Hector de la Cueva über den Vertrag zwischen der EU und Mexiko. Der mexikanische Gewerkschafter arbeitet mit im Nationalen Netzwerk gegen Freihandel und der Hemisphärischen Allianz der sozialen Bewegungen Amerikas. (wop)

LinX: Sie haben gesagt, der Vertrag zwischen Mexiko und der EU wäre sogar schlimmer, als das NAFTA-Abkommen, dass Mexiko mit den USA und Kanada zu einer Freihandelszone zusammenschließt.

Hector de la Cueva (HC): Weil die Verträge, die die EU mit anderen Ländern und eben auch mit Mexiko abschließt, nicht nur den Handel regeln, sondern auch die Rechte von ausländischen Konzernen. Die Logik ist die gleiche wie bei der NAFTA: Der unterschiedliche Entwicklungsstand der beteiligten Staaten wird in keiner Weise berücksichtigt. Faktisch werden so die weiter entwickelten Staaten begünstigt.

Der europäisch-mexikanische Vertrag sieht vor, dass ausländische Unternehmen wie einheimische behandelt werden müssen. D.h. mexikanische Behörden haben mit dem Vertrag das Recht verloren, einheimische Unternehmen vorzuziehen oder besonders zu fördern. Das setzt diese natürlich erheblich unter Druck, da sie mit den großen transnationalen Konzernen im Wettbewerb kaum mithalten können. Wir gehen davon aus, dass das erhebliche negative Folgen für die mexikanischen Arbeiter und für die mexikanische Bevölkerung im Allgemeinen haben wird.

Des Weiteren gibt es in dem Abkommen Klauseln, die der mexikanischen Regierung verbieten, eine ganze Reihe von nationalen Regelungen und Gesetzen ohne die Zustimmung der Vertragspartner zu ändern. Und das sind schlimmere Bedingungen als sie mit NAFTA festgeschrieben wurden. NAFTA ist zumindest eine abgeschlossene Sache, doch der Vertrag mit der EU ist in gewisser Weise offen. Er sieht weitere Verhandlungen in einer Reihe von Fragen vor, so dass die Regierungen neue Vereinbarungen treffen können, ohne das Parlament zu konsultieren, geschweige denn die Bevölkerung.

LinX: Erwarten sie Massenentlassungen, wenn mexikanische Betriebe der europäischen Konkurrenz nicht standhalten können?

HC: Ja. Genauso wie es durch das NAFTA-Abkommen passiert ist. Die Verträge sehen keinerlei soziale Abfederung vor. Es gibt lediglich eine Klausel, die von der mexikanischen Seite die Achtung der Demokratie verlangt.

LinX: In Deutschland haben sich einige Nichtregierungsorganisationen (NGOs) diese Klausel als großen Erfolg angerechnet.

HC: Die mexikanischen NGOs teilen diese Sicht nicht. Auch nicht die Menschenrechtsorganisationen. Die Klausel kann in alle möglichen Richtungen interpretiert werden. Es ist nicht ein Artikel, der sich wirklich mit den Menschenrechten oder anderen sozialen Rechten befassen würde.

LinX: Bedeutet diese Kritik, dass sie strengere Menschenrechts- und Sozialklauseln in solch einem Vertrag befürworten würden?

HC: Es geht nicht nur um Klauseln. Wir wollen, dass solche Verträge alle sozialen Bedürfnisse und die sozialen Probleme, die der Freihandel verursacht, berücksichtigt. Unsere Kritik basiert auf drei Elementen: Erstens die demokratische Dimension, d.h. dass der Vertrag unterzeichnet wurde, ohne dass es eine wirkliche Beteiligung der Bevölkerung gegeben hätte. Weder in Mexiko noch in Europa. Als in der EU der gemeinsame Markt geschaffen wurde, hat es dort zumindest in einigen Ländern Volksabstimmungen gegeben. Jetzt machen sie mit Mexiko das gleiche, schaffen ein Vertragswerk, dass unsere Zukunft verändern wird, aber die Bevölkerung wird nicht einmal gefragt. Zweitens die soziale Dimension bleibt vollkommen unberücksichtigt. Sie sagen, es geht nur um Handel, aber in Wirklichkeit werden die Verträge viele Menschen an den Rand der Gesellschaft drängen. Drittens kritisieren wir das Wirtschaftsmodell, dass mit diesen Verträgen verwirklicht werden soll, ein Modell, dass die Ungleichheiten sowohl zwischen den Staaten als auch in den Gesellschaften verschärfen wird.

LinX: Sie denken also, dass Mexiko in die Rolle einer Freihandelszone mit Niedriglöhnen gedrängt wird?

HC: Ja. Mit dem NAFTA hat man uns z.B. mehr und bessere Jobs und höhere Löhne versprochen. Genau das Gegenteil haben wir bekommen. Und wir denken, dass mit dem Abkommen mit der EU das gleiche passieren wird.

LinX: Sie haben an anderer Stelle gesagt, dass Arbeiter aus dem Norden und dem Süden zusammenkommen und gemeinsame Forderungen entwickeln müssen.

HC: Ja. Ich denke, dass sie gemeinsame Interessen haben. Die transnationalen Unternehmen versuchen uns einzureden, dass wir verschiedene Interessen haben, aber tatsächlich können wir auf allen Ebenen Gemeinsamkeiten finden. Ob es nun um Arbeitsplätze, Löhne, Arbeitsbedingungen oder Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz geht. Und hier können und müssen wir auch Wege finden, gemeinsame Verhandlungen mit den transnationalen Konzernen und auch den Regierungen durchzuführen, um gemeinsame Interessen zu verteidigen.

LinX: Können sie ein konkretes Beispiel solcher gemeinsamen Interessen nennen?

HC: Im Norden Mexikos siedeln sich z.B. viele transnationale Unternehmen an und bauen so genannte Maquiladoras auf, wo es keinerlei Schutz für die Arbeiterinnen und Arbeiter gibt. Das hat natürlich unmittelbare Folgen für die Mexikaner, betrifft aber auch die US-amerikanischen Arbeiter, weil das erheblichen Druck auf ihre Löhne und Arbeitsbedingungen ausübt. Der Kampf gegen die schlechten Bedingungen in den Maquiladoras liegt also in beider Interesse.

LinX: Es gibt bereits einiges an Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaftern in Mexiko, den USA und Kanada. Wie sieht es mit den Kontakten in die EU aus?

HC: Wir wollen sie ausbauen, aber noch sind wir nicht so weit. Mit den USA und Kanada haben wir zehn Jahre Zeit gehabt und auch mit den Europäern wird es etwas dauern. Aber wir hatten kürzlich eine Auseinandersetzung von internationaler Bedeutung beim Aufzughersteller OTIS, der auch Fabriken in Deutschland, Frankreich und anderen europäischen Ländern hat und konnten die Gelegenheit nutzen, Kontakte in diese Ländern aufzubauen. Ähnlich müssten wir z.B. auch bei Renault oder Siemens vorgehen.

LinX: Wir danken für das Gespräch.

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