Aus dem Kieler Rat

Rat beschließt Gründung der Bühnen-GmbH

Privatisierungstheater

Relativ reibungslos geht nach knapp zwei Jahren Diskussion und 120 Minuten abschließender Debatte im Rat Privatisierung Nr. 5 (nach Alten- und Pflegeheimen, Müllverbrennung, Kieler Wohnungsbaugesellschaft und Stadtwerken) am 16.11. über die Bühne. Zwar ändert sich nach dem von der SPD-Mehrheit im Rat durchgedrückten Beschluss nicht der "Besitzer" der Bühnen Kiel, die Stadt bleibt einziger Gesellschafter, sondern "nur" die Rechtsform, aber genau im "nur" liegt der Hase im Pfeffer. Die Zielrichtung der GmbH-Gründung ist klar: raus aus den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes! Dies noch nicht sofort, denn ein umfangreicher Besitzstandsschutz in Form von Weitergelten der Tarifverträge bis zum 31.7.2006, selbst für bis dahin neu Angestellte, gibt den in die gemeinnützige GmbH übergeleiteten ArbeitnehmerInnen noch eine gewisse Sicherheit. Doch der Verwaltung geht es auch nicht um den sofortigen Durchmarsch ins gelobte Land der Privatisierung, sondern um eine Weichenstellung dahin. Ähnlich wie bei KWG und Stadtwerken muss man eben Zugeständnisse machen, um die Früchte ein paar Jahre später zu ernten, zumal der Personalrat der Bühnen verlauten lässt, dass kein Überleitungsvertrag unterzeichnet werde, der bisherige Rechte nicht garantiert.

"Tarifdschungel" lichten

Kostenreduktion ist das erklärte Ziel der GmbH-Gründung, das machte Wirtschafts- und Kulturdezernent Heinz Rethage zu Beginn der Debatte noch einmal klar. In der Dezemberratsversammlung 1998 hatte die Selbstverwaltung den OB beauftragt, ein Konzept vorzulegen, mit dem der Zuschussbedarf der Bühnen reduziert werden kann. Ein daraufhin durchgeführtes "Benchmarking", so Rethage, habe ergeben, dass bei den Kieler Bühnen von jeder ausgegebenen Mark nur 10 Pf wieder als Einnahme hereinkommen. Bei vergleichbaren Theatern seien das 13-14 Pf. Also sei bewiesen: "Es gibt Einsparpotenziale." Sieht man sich allerdings die Zahlen im Vergleich von 11 städtischen Theatern ähnlicher Größe an, so liegt Kiel mit 180,36 DM Zuschuss pro Besucher und Aufführung (Spielzeit 1998/99) im soliden Mittelfeld zwischen den Polen Lübeck (141,37 DM) und Mainz (226,52 DM) auf Platz 7. Billiger als in Kiel macht man Theater nur in Mannheim, Münster, Oldenburg und Lübeck.

Dennoch will Rethage weitere "Einsparpotenziale generieren" und dafür sei die GmbH die geeignete Rechtsform. Mit 45 Mio. DM Umsatz jährlich seien die Bühnen "dem Grunde nach ein mittelständisches Unternehmen", das man "nicht mit kameralistischer Buchführung managen" könne. Klartext zum Stichwort "Tarifdschungel": "Ein Unternehmen muss die Freiheit haben, über die Tarife nachzudenken." Nach der GmbH-Gründung muss das Theater Tarifsteigerungen in Höhe von 1 Mio. DM (eigentlich 4 Mio. DM, aber 3 Mio. übernimmt das Land) selbst erwirtschaften, sie werden nicht mehr vom städtischen Zuschuss getragen. Rethage schlug dazu vor, die Einnahmen um 500.000 DM zu steigern und die Ausgaben um 500.000 DM zu senken, "das halten wir für moderat". Weiterer "Vorteil" der GmbH-Gründung, worauf allerdings Rethage nicht hinwies, sondern lediglich - unter Protest - die Frauenbeauftragte Annegret Bergmann in einer Stellungnahme zur Privatisierung: Für die GmbH gilt der Frauenförderplan der Stadt nicht mehr. Ähnliches gilt für den Schutz von ArbeitnehmerInnen mit Behinderungen.

Zweifelhafte Steuerersparnis

Ein weiteres Ziel, das die Verwaltung mit der GmbH-Gründung verfolgt, ist eine Steuerersparnis, etwa indem die GmbH nunmehr Miete/Pacht für die Gebäude an die Stadt zahlen muss und diese steuermindernd als Betriebsausgaben geltend machen kann. In einer Denkschrift machte der grüne Ratsherr Rainer Pasternak deutlich, dass das Finanzamt nach gängiger Praxis keine solchen Steuerminderungen zulasse, wenn offensichtlich ist, dass die gGmbH nur aus Gründen der Steuerersparnis gegründet wurde.

Die Weisungsbefugnis des OB gegenüber der Leitung der Bühnen-GmbH (in Streitfällen zwischen künstlerischer und kaufmännischer Leitung entscheidet der Aufsichtsrat, dessen Vorsitzender der Kulturdezernent ist, der wiederum an Weisungen des Verwaltungschefs gebunden ist) erschwere zudem die Verbesserung von betrieblichen Abläufen, die eine Umgründung attraktiv machen könnte, und müsse das Finanzamt umso mehr zu der Annahme verleiten, dass die GmbH-Gründung einzig und allein aus fiskalischen Gründen erfolge. Am Rande der Ratsversammlung wies Pasternak ferner darauf hin, dass die 2,7 Mio. DM, die die SPD bei GmbH-Gründung den Bühnen mehr zuwenden will, genau den von der Verwaltung errechneten 2,7 Mio. DM Steuerersparnis entspreche, die das Finanzamt aus obigen Gründen eventuell nicht gewährt. Insofern sei klar, dass die mögliche Steuerersparnis "mutwillig konstruiert" sei.

An sich, so Pasternak weiter in seiner Denkschrift, sei eine gGmbH und die damit verbundene Unabhängkeit von der Verwaltung die geeignete Rechtsform, um Abläufe im Theater zu optimieren. Indem aber genau in diesem Bereich die Handlungskompetenz der Geschäftsführung eingeengt werde, indem zudem bereits seit Jahren Beschlüsse der Ratsversammlung zur Optimierung von der Verwaltung nicht umgesetzt worden seien, indem überdies die SPD einen weiteren Zuschuss zur dringend notwendigen Opernhaussanierung nur im Falle der Privatisierung zubilligen wolle, sei eine GmbH-Gründung "eine Gefährdung der Kieler Bühnen". Die Einsparungen, die die Verwaltung vorgerechnet habe, seien nur bei gleichzeitigem Qualitätsverlust der Theaterarbeit zu erreichen und das wäre auch ohne Umgründung möglich gewesen. Die Grünen lehnten daher die Privatisierung ab.

Streit um "Verwässerungen"

Auch CDU und SUK verweigerten der GmbH-Gründung ihre Zustimmung. Allerdings aus ganz anderen Gründen. Ihnen ging der Vorschlag der Verwaltung in der von SPD-Fraktion sowie Wirtschafts- und Kulturausschuss (dort hatte die SPD ihre Änderungsanträge bereits durchgebracht) "verwässerten" Form nicht weit genug, insbesondere bei der Besetzung des Aufsichtsrates der GmbH. Während die CDU wie die Verwaltung in ihrer ursprünglichen Vorlage eine "Politikferne" des Aufsichtsrates und die Besetzung mit "externem Sachverstand" wollte (man darf getrost hinzusetzen, dass damit nur wirtschaftlicher, nicht aber künstlerischer gemeint ist), verlangte die SPD eine mehrheitliche Besetzung mit Ratsmitgliedern. CDU-Fraktionschef Arne Wulff kritisierte ferner, dass im Entwurf der SPD auch ein künstlerisches Leitungsteam (KLT) ermöglicht werde. "Die ruinöse rot-grüne Theaterpolitik hat 1996 ein unseriöses KLT bestellt, umso erstaunlicher, dass das nun wieder im Antrag der SPD steht." Die SPD wolle in ihrem Privatisierungsentwurf "den gleichen Kaiser, nur mit neuen Kleidern. So ist das mit der CDU nicht zu machen."

Angesichts der SPD-"Verwässerungen" machte auch OB Norbert Gansel eine "unklare Gefechtslage" aus, und wandte sich gegen "seine" Fraktion: "Ich bedauere, dass entscheidende Punkte unserer Vorlage so verwässert wurden, dass das ganze Unternehmen gefährdet ist." In altbekannter Demagogie zeigte der OB in einem 15minütigen Beitrag (die Redezeit beträgt normalerweise 5 Minuten) überdies seine Kunstferne und Neoliberalitätsnähe. Hier nicht mehr (aber auch nicht weniger) als die "schönsten" Zitate: "Damit man mich nicht wieder als Banause bezeichnet: Theater hat enorme Bedeutung, das zeigt schon allein, dass wir es uns immer noch leisten. Aber die Welt hat sich verändert, also muss sich auch das traditionelle deutsche Theater verändern, das immer noch auf öffentlichem Mäzenatentum beruht. Theater ist nur überlebensfähig, wenn es sich reformwillig zeigt." "Wir brauchen mehr Freiheit im tariflichen Gestaltungsraum. Klar ist, das bestehende Verträge bleiben. Aber muss man sich für die Zukunft festmauern?" "Wenn die GmbH gelingt, dann haben wir vielleicht auch die zusätzlichen 3 Mio. DM für die Opernhaussanierung. Das ist so viel wie für eine neue Turnhalle."

Dass man mit Turnhallen eventuell mehr Wählerstimmen gewinnt als mit unnützem Theater (Gansel: "zu einem Gutteil Selbstverwirklichung der Künstler"), hatte bereits ein paar Tage vorher der SPD-Fraktionschef Cai-Uwe Lindner in einer Pressemitteilung "angedacht". Ihm schwebte ein "mehrheitsfähiges Theater" vor, "auch wenn Experimente künftig noch immer möglich sein müssen." Wie lange noch, möchte man da fragen, bis 2006? Und welche Experimente meinte Lindner angesichts des großen "Experiments" Privatisierung? (jm)

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