Internationales

Nein zur Isolationshaft in der Türkei!

In den türkischen Medien steht zur Zeit ein Thema an erster Stelle in den Nachrichten: Der Hungerstreik der politischen Gefangenen gegen die Einführung von Isolationsgefängnissen, die sogenannten Typ-F-Gefängnisse. Am 17.12. befanden sich Tausende politischer Gefangener im 56. Tag des Hungerstreiks, 205 von ihnen haben mit dem Todesfasten begonnen, d.h. sie nehmen weder Nahrung noch Wasser zu sich. Eine Abordnung der türkischen Ärztekammer untersuchte am 5.12. zwei der Gefangenen. Sie stellten bereits große gesundheitliche Schäden fest. Bei einer anschließenden Presseerklärung wurden diese Ärzte von der türkischen Polizei verhaftet, befinden sich aber mittlerweile wieder auf freiem Fuß.

Die Regierung unter Ministerpräsident Ecevit mit Beteiligung der faschistischen MHP erklärte, die Einführung der Gefängnisse Typ-F würde verschoben werden. Zunächst verhandelte der türkische Generalstaatsanwalt mit den politischen Gefangenen über den Abbruch des Hungerstreiks. Diese haben bisher erklärt, den Hungerstreik erst dann aufgeben zu wollen, wenn der Bau und die Belegung von Isolationsgefängnissen generell untersagt werde.

Gegen Abend des 14.12. erklärte Ministerpräsident Ecevit, seine Regierung hätte alles versucht, um den Hungerstreik zu beenden. Jetzt sei die Regierung nicht mehr verantwortlich für den Tod der Hungerstreikenden. Die türkischen Fernsehsender wurden angewiesen, keine weiteren Informationen über den Hungerstreik zu senden. Mittlerweile sickerte durch, dass die türkische Regierung einen Polizeiangriff auf die Gefängnisse vorbereitet, um die Gefangenen einer Zwangsernährung zuzuführen. Die Anwälte der Gefangenen haben die türkische Regierung zur Weiterführung der Verhandlungen aufgefordert.

Dies ist nicht der erste Versuch der Türkei, die F-Typ-Gefängnisse einzuführen und die politischen Gefangenen einer "Sonderbehandlung" zu unterziehen. Im Jahr 1991 wurden mit dem "Anti-Terror-Gesetz" zum ersten Mal die gesetzlichen Voraussetzungen für die Isolationshaft geschaffen. In dem § 16 dieses Gesetzes steht: "Gefangene, die nach diesem Gesetz verurteilt sind, sollen ihre Strafe in besonderen Haftanstalten ... verbüßen. In diesen Anstalten ist kein offener Besuch erlaubt, die Gefangenen dürfen miteinander keinen Kontakt und auch keine Kommunikation mit der Außenwelt haben." Mit dem "Anti-Terror-Gesetz" kann praktisch jede politische Betätigung in der Türkei als terroristische Straftat geahndet werden. Eine Straftat im Sinne dieses Gesetzes begehen auch Vereine, Gewerkschaften oder Stiftungen, wenn z.B. auf einer Veranstaltung von ihnen Flugblätter einer so genannten "terroristischen Vereinigung" auftauchen oder ein Folteropfer in ihren Räumen eine Pressekonferenz abhält.

Ein prominentes Opfer des "Anti-Terror-Gesetzes" ist z.B. der türkische Soziologe und Verleger Ismael Besikci, der wegen seines Buches "Brief an die Unesco" nach § 8 des Anti-Terror-Gesetzes inhaftiert worden war. Auch der Bürgermeister von Tunceli, Mehmet Kocademir, wurde 1992 vor dem Staatssicherheitsgericht Ankara wegen "terroristischer Propaganda" nach dem "Anti-Terror-Gesetz" angeklagt, weil er bei einem Essen mit Parteifreunden den alten kurdischen Stadtnamen Dersim statt des türkischen Namens Tunceli gebraucht hatte.

In den 90 er Jahren wurden besonders kurdische Vertreter und Mitglieder legaler Vereine und Organisationen zur offenen Zielscheibe. Massenverhaftungen und Folter bekam v.a. auch der IHD, der türkische Menschenrechtsverein zu spüren. Wegen der Festnahmen, der Verhaftungen und Bedrohung konnte viele der Regionalbüros des IHD ihre Arbeit praktisch nicht mehr leisten.

Auch die Gefängnisse und die darin inhaftierten Menschen waren brutalen Übergriffen der türkischen Sicherheitskräfte ausgesetzt. Im Zuge der "Anti-Terror-Gesetze" sollten die politischen Gefangenen nach Eskisehir, dem Prototyp der Isolationsknäste, zwangsverlegt werden. Was das Isolationsgefängnis Eskisehir für einen Menschen bedeutet, schilderte einer der Gefangenen in einem Brief an den Istanbuler Menschenrechtsverein, der später in der Tageszeitung Cumhürriyet veröffentlicht wurde: "Dieser Ort gefällt mir nicht. Es ist nicht zum Aushalten. Ich sitze in einer Zelle, deren Länge 4-5 und Breite 2-3 Schritte misst... Die Fläche, die man zum 'Hofgang' benutzen soll, ist genau so groß wie die Zelle. Dieser 'Hof' hat jedoch höhere Wände und ist oben mit Stacheldraht versperrt. So hat jeder Gefangene seinen eigenen 'Hof' und damit keinen Kontakt zu anderen Gefangenen. Ich kann ohne weiteres sagen, dass er einem Grab oder tiefem Loch ähnelt. Das Schlimmste aber ist, dass ich die Sonne gar nicht sehe... Die Kommunikation funktioniert durch Laute. Da ich mich, seitdem ich hier bin, im Hungerstreik befinde, habe ich nicht mal ein Stück Brot zu Gesicht bekommen. Aber ich glaube, dass das Essen durch die kleine Luke an der unteren Seite der Zellentür verabreicht wird. Die Haus- und Straßenhunde haben es besser als die Menschen hier. Dass die Menschen so erniedrigt und dem Tod überlassen werden... Eine weitere gefährliche Sache ist auch, dass man dich hier in einer Ecke ermorden könnte und niemand würde es merken. Deshalb braucht man sich nicht zu wundern, wenn sie sagen: 'Selbstmord begangen'. Kurz gesagt: Wir werden hier lebendig begraben."

Ende November 1992 traten die politischen Gefangenen in der Türkei und Kurdistan in einen Hungerstreik, der mehrere Wochen dauerte. Ihr Protest fand ein großes Echo in der Bevölkerung, so dass die türkische Regierung sich gezwungen sah, die Zwangsverlegungen zu stoppen und die bereits in dieses Gefängnis verlegten 206 Gefangenen zurück zu verlegen.

Gegen die erneute Inbetriebnahme des Isolationsgefängnisses in Eskisehir haben in den Monaten Mai-Juni 1996 zwölf politische Gefangene in einem unbefristeten Hungerstreik ihr Leben verloren. Der damalige Erlass musste aufgrund des Widerstandes der Gefangenen wieder revidiert werden. Kurze Zeit später wurden im Gefängnis von Diyarbakir 10 kurdische Gefangene von Gefängniswärtern und Spezialeinheiten ermordet. Am 26.9.99 wurden zehn Gefangene im Gefängnis von Ulucanlar mit Schüssen, scharfen Gegenständen und Säuren von Militär, Polizei und Gefängniswärtern gefoltert und ermordet.

Am 5.1.2000 beschloss die Ecevit-Regierung nach einer Konferenz mit den nationalen Sicherheitsrat der Türkei, dass die neu gebauten Isolationsgefängnisse in Ankara, Izmir, Bolu, Kocaeli und Tedirdag im Mai 2000 in Betrieb genommen werden sollen. Weitere Gefängnisse sollen zu Isolationsgefängnissen Typ-F umgebaut werden. Das Gefängnis in Kartal in Istanbul wurde bereits als Isolationsgefängnis in Betrieb genommen.

Die Angehörigen der politischen Häftlinge unterstützen den Hungerstreik europaweit mit einer Vielzahl von Aktionen. Die türkische Regierung versuchte, sie einzuschüchtern und aus der Öffentlichkeit zu prügeln. Die "Samstagsmütter", Mütter von "Verschwundenen" demonstrierten im November in Ankara gegen die Hochsicherheitsgefängnisse und wurden von der Polizei von der Straße geknüppelt. Trotzdem gaben sie den Kampf nicht auf. Wie gefährlich auch Pressearbeit zu Hungerstreiks in der Türkei sein kann, zeigt der Fall des türkischen Journalisten Metin Göktepe: Bei einem Gefängnisaufstand gegen eine Zwangsverlegung in Einzelzellen verschiedener anderer Gefängnisse in Ümraniye sammelten sich vor dem Gefängnis Angehörige, um den Aufstand zu unterstützen. Metin Göktepe wurde zusammen mit ihnen verhaftet und in ein Stadion verschleppt, wo ihn Polizeikräfte brutal misshandelten. Später brachte ihn Sicherheitskräfte zur Polizeistation, wo er wiederum geschlagen wurde. Einen Tag danach fand man ihn erschlagen in einem öffentlichen Park.

Aber einen derartig offenen Terror kann sich die Türkei nicht mehr leisten, wenn es dann mit dem Beitritt zur EU endlich klappen soll. Nicht alle europäischen Länder und auch das Europaparlament selbst sehen die Menschenrechtssituation in der Türkei dermaßen optimistisch wie unser warmherziger Außenminister Joseph Fischer. Denn trotz Generalamnestie und einem Minister für Menschenrechte in der Türkei wird dort weiter gefoltert, verschleppt, gemordet, wenn auch Bündnis 90/Die Grünen Panzerlieferungen an die Türkei nicht mehr so problematisch finden wie ehemals.

Die politischen Gefangenen in der Türkei sind also angewiesen auf die Unterstützung der demokratischen und revolutionären Kräfte in Deutschland, denn auf eine Unterstützung durch die deutsche Regierung können sie wahrlich nicht bauen. Selbst wenn die türkische Regierung sich jetzt vorläufig von der Belegung und den Ausbau der F-Typ-Gefängnisse zurückzieht, wird dieser Beschluss nicht von Dauer sein. Die Menschenrechtssituation in der Türkei bedarf auch weiterhin einer kritischen und lautstarken Öffentlichkeit auch und v.a. in Deutschland. (kaw)

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