KERNspalte

Wenn man eine Weile wartet, ist alles gar nicht mehr so schlimm: Sei es in Sebnitz, wo von einem rechtsradikalen Mord nur noch eine uneidliche Falschaussage übriggeblieben ist, sei es in der Rinderhaltung, wo von der befürchteten Massenseuche nur noch ein einzelnes totes und noch dazu getestetes und aus dem Verkehr gezogenes Tier wegbewiesen werden muss, von Herrn Daum wollen wir mal gar nicht sprechen, aber um nun endlich zum Thema zu kommen:

Vor 20 Jahren habe ein Braunschweiger Unternehmen in der Sammelstelle für radioaktive Abfälle in Geesthacht mind. 16 falsch deklarierte Stahlfässer eingelagert, davon habe eines unter Bleiplatten eine Flüssigkeit enthalten, deren Strahlung den Grenzwert um das 3000fache überschreite, sprach Niedersachsens Umweltminister Jüttner am 7.12., und S.-H.-Gesundheitsministerin Moser schloss sich an. "Wenn man lange neben dem offenen Fass steht, ist man tot", sagte Energie-Staatssekretär Wilfried Voigt (Grüne). Ball flach halten, Willy! Am 15.12. meldet Moser: Nicht 3.000, nur 10mal höher als zulässig. Fass aufmachen, stehenbleiben, Willy! Tja, da hatte die Pressesprecherin der Grünen Landtagsfraktion mal wieder voreilige Schlüsse gezogen: "Der Vorfall beweist, dass das Misstrauen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Atomwirtschaft berechtigt ist ... kriminelle Energien ... muss akribisch überwacht werden!" Nix kriminell, Claudia Jacob, sondern nur eine kleine Messungenauigkeit, und euer Misstrauen gegen die Atomwirtschaft ist überhaupt nicht berechtigt, denn die sowieso kaum strahlende Flüssigkeit stammte überhaupt nicht aus AKWs, sondern aus Krankenhäusern und Labors. Also bleibt es p.c., dass ihr das OK zum Export der Hanauer Plutonium-Fabrik nach Mayak gegeben habt und die Kredite der Europäischen Entwicklungsbank für die beiden ukrainischen Atomreaktoren (585 Mio. $) ohne euer Veto bewilligt wurden.

Akribisch überwachen, das hört sich gut an, aber was? Zunächst wohl mal die Baustelle in Seerau an der Jeetzel, wo der Castorbrückenbau nicht von "Störern" unterbrochen werden darf. Mehr als 500 waren da am 3.12., trotz körperlichen Einsatzes zahlreicher Nikoläuse, eines Wasserfahrzeuges und einer taktischen Flussquerung gelang es aber nicht, die Baumaßnahmen entscheidend zu sabotieren. Zahlreiche Wärmebildkameras sorgten dafür, dass auch nachts niemand unentdeckt blieb.

Bis die neue Brücke aber steht, werde die Bundesregierung "alles tun, um zu verhindern, dass es wegen ungelöster Entsorgungsfragen zum Stillstand von Kernkraftwerken kommt", betonte Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye. "Alles", das heißt wirklich: Alles! Z.B. soll in Stade die Lagerung von Brennelementen auf Plätzen im Abklingbecken genehmigt werden, die normalerweise für eine Entladung des Reaktorkerns frei bleiben sollen. In Biblis soll das Abstellen von 28 Castor-Behältern auf dem Kraftwerksgelände genehmigt werden, damit das AKW bis zur Fertigstellung einer Zwischenlagerhalle im Jahr 2005 notfalls ohne Transporte weiterbetrieben werden kann. Das Bundesamt für Strahlenschutz verlängerte die Transportgenehmigungen für die Atomkraftwerke Stade, Biblis, Philippsburg und Grafenrheinfeld "um mehrere Monate". Da diese zum 31.12.2000 terminiert waren, hätten die Kraftwerksbetreiber von den erteilten Transportgenehmigungen nach La Hague keinen Gebrauch machen können.

Am 5.12. wurde bereits eine weitere Nuklearanlage in Gorleben genehmigt: Die Pilotkonditionierungsanlage PKA, die allerdings zunächst nichts konditionieren soll, sondern für die Reparatur schadhafter Atommüll-Behälter bereit stehen soll. Im Wendland glaubt allerdings kein Mensch, dass ernsthaft verunglückte Castor-Behälter quer durch die Republik ausgerechnet nach Gorleben kutschiert werden sollen, womöglich in Jute-Säckchen verpackt, damit aus dem Leck nichts rausläuft.

Nur zum Zwecke des Abschaltens wurde ein russischer Reaktor in der Ukraine, der in den letzten Wochen mehr qualmte als funkionierte, nochmal hochgefahren: Tschernobyl. Am 15.12. war Schluss. Jedenfalls mit der Kettenreaktion. In Wirklichkeit wird es noch Jahre dauern, bis der heiße Kern so weit abgekühlt ist, dass man ihn entladen und zwischenlagern kann. Die Betriebsmannschaft trug Trauerflor - sie konnte es nur schwer verwinden, den Reaktor ohne Super-GAU einfach aufzugeben. Wenige Tage zuvor hatten Arbeiter auf dem unmittelbar benachbarten Sarkophag von Block 4 ein stark strahlendes Brennstoffteil entdeckt. Vielleicht sei es ja über einen Belüftungsschacht dorthin gelangt, wurde gemutmaßt. Kommt da vielleicht noch was nach?

Weitere Pannen in ukrainischen AKWs gab es in Juschna: Ein Reaktor fiel 9 Tage wegen eines schadhaften Dampfgenerators aus, ein weiterer musste wegen "Schäden, die von schlechtem Wetter verursacht wurden", auf 70% Leistung gedrosselt werden. Und, natürlich, Temelin (Tschechien) hatte wieder einen Störfall, diesmal einen Pumpenausfall im Sekundärkreislauf. Das geschah am 11.12., nur einen Tag, nachdem die Erhöhung der Leistung im Testbetrieb auf 30% genehmigt worden war. Die Protestwelle war überdurchschnittlich, umschloss zwei Grenzblockaden, den deutschen Naturschutzring, ein paar Demos in Prag, die tschechische Sektion von Greenpeace, Jürgen Trittin, für Österreich Bundespräsident Thomas Klestil und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Letztere erreichten immerhin, dass MP Milos Zeman zustimmte, die Anlage unter Aufsicht der EU prüfen zu lassen.

Gleichzeitig gibt es tatsächlich noch Staaten, die wollen russische Atomreaktoren nicht nur mit westlicher Hilfe umrüsten oder fertig bauen, sondern bestellen gar einen ganz neuen ohne solche Hilfe im Wert von 1 Mrd. $. Allerdings handelt es sich um den Iran, von dem ja schon verschiedentlich Gottesurteile ausgegangen sind. Die USA sehen das Hauptproblem verharmlosenderweise darin, dass der Reaktor für die Herstellung waffenfähigen Materials benutzt werden kann.

Strukturelles: Siemens und Framatome fusionieren unter französischer Leitung, die ostdeutsche VEAG gehört jetzt der HEW und damit Vattenfall, Südkorea privatisiert seine Energiewirtschaft, wobei die AKWs ausgegliedert werden, da sie keiner haben will, Bayern und Hessen klagen gegen Vereinbarungen des sog. "Atomkonsens", u.a. gegen den Erkundungsstopp für den Endlagerschacht in Gorleben, und noch 97 Tage bis NiX-4, den vierten Gorlebentransport, also vermutlich Mitte März (nach Aussagen der Direktorin von COGEMA, Anne Lauvergeon). (BG)

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