Kommentar
Man hat zwar keine flächendeckenden Tests durchgeführt, kann auch bei jüngeren Rindern die Krankheit gar nicht feststellen, man weiß auch nicht besonders viel über die Übertragungswege und die Herkunft der eigentümlichen Seuche, aber Politiker (fast) aller Parteien waren sich ganz sicher: Deutschland ist BSE frei, das Übel drohe höchstens von importiertem Fleisch. Dass das so nicht ganz stimmen konnte, hatte der wissenschaftliche Beirat der EU-Kommission zwar schon seit einiger Zeit gemutmaßt, aber wer hört hierzulande schon auf ausländische Wissenschaftler. Ein Grund, das durchzuführen, was an Kontrolle möglich ist, waren die Warnungen auf jeden Fall für die Verantwortlichen in Berlin und den Bundesländern noch lange nicht.
Doch dann kam es doch noch ans Licht. Zufällig. Ein schleswig-holsteinischer Landwirt hatte sein Schlachtvieh freiwillig testen lassen und damit zur Entdeckung des ersten BSE-Falls in Deutschland geführt. Zwischenzeitlich ist in Bayern nach den nun endlich möglichen lückenlosen Kontrollen aller Schlachtungen ein zweiter Fall nachgewiesen. Und: Untersuchungen von Futtermitteln für Kühe haben ergeben, dass in 20% der gezogenen Stichproben Tiermehl illegal beigemengt wurde. Offenbar war bisher niemand auf die Idee gekommen, entsprechende Überprüfungen durchzuführen. Auch die schleswig-holsteinische Kuh war wahrscheinlich ohne das Wissen ihres Besitzers zum Kannibalen gemacht worden.
Wie sich die Sache im Augenblick darstellt, kann die tödliche Krankheit weit verbreitet sein. Einige Wissenschaftler meinen gar, unter Umständen könnten die Erreger in Böden überleben, also die Weiden infiziert sein. Auf jeden Fall sind sie mit den bisherigen Methoden schwer nachweisbar und selbst die Übertragung von Mensch zu Mensch durch Bluttransfusionen erscheint möglich.
Erstaunlich an der Geschichte sind die Reaktionen. Klar:
Auf Rindfleisch hat keiner mehr Appetit; die Schlachter bleiben auf ihrer
Ware sitzen. Der eigentliche Skandal scheint jedoch weder die Öffentlichkeit
noch die Linke zu berühren. Die unglaubliche Dreistigkeit und Verantwortungslosigkeit
der versammelten Politikerkaste, die über ein Jahrzehnt lang die Augen
ganz fest zum Wohle der Agroindustrie zugedrückt und jedes Vorsorgeprinzip
außer acht gelassen hat, müsste doch eigentlich einen Aufschrei
sonder Gleichen provozieren. Könnte man eindringlicher zeigen, wohin
eine profitorientierte Wirtschaft führt? Aber wahrscheinlich haben
deutsche Linke andere Probleme, als sich mit derart schnöden Alltäglichkeiten
abzugeben. (wop)