Internationales

Noch ist Polen nicht verloren

Ein deutscher Botschafter plaudert aus dem Nähkästchen

Wenn sich deutsche Politiker über das Verhältnis des "erwachsen gewordenen Deutschlands" zu seinen östlichen Nachbarn äußern, steht so manches Fettnäpfchen im Raume herum, das zu umgehen nicht immer leicht fällt. Die neue Bundesregierung hat für das Problem allerdings in ihrer Kreativität, die sie so wertvoll macht, eine Lösung ersonnen: Ignorieren. Schließlich haben wir doch gerade auf dem Balkan unsere Schuld abgewaschen, und außerdem: Wer interessiert sich denn hierzulande schon für die historischen Fakten von 1000 Jahren deutscher Ostkolonisation. Und die Polen? Die werden schon das Maul halten; andernfalls lassen wir sie am ausgestreckten Arm verhungern.

Solche oder ähnliche Gedanken muss sich Berlins Botschafter in Warschau, Frank Elbe, gemacht haben, als er unlängst der hiesigen FDP auf deren Neujahrsempfang von seiner Erleuchtung an der Weichsel vorschwärmte: "Wir entdecken aufs Neue, dass es Jahrhunderte friedlicher Nachbarschaft und segensreicher Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschen gegeben hat und dass sich unsere Geschichte nicht auf den II. Weltkrieg und die blindwütige Polenpolitik der Nazis reduziert. ... Die Stalinisten in Polen haben diese Zeiten einfach unterschlagen."

Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich. War da nicht doch noch etwas gewesen, bevor die kleinen braunen Männchen 1933 aus dem All landeten? Hatten nicht deutsche Raubritter ihre Ländereien über die Elbe immer weiter nach Osten verschoben? Oder ist der deutsche Slaven-Kreuzzug, zudem man hierzulande mit besonderer Inbrunst aufrief, nur eine Erfindung böswilliger Stalinisten? Nun gut, vielleicht hat der Mann eine andere Zeit im Auge. Schließlich sprach er in Schleswig-Holstein, und da erinnert man sich weniger gern an die slawischen Obotriten, denen man einst den Ostteil des Landes raubte, sondern eher an die Hanse. Die hat schließlich bloß Handel getrieben, genauso friedlich, wie wir es heute auch wieder tun wollen. Nur hin und wieder hat sie mal den einen oder anderen Krieg vom Zaune gebrochen, z.B. gegen Dänemark, und - nun ja - dem Deutschen Orden hat sie bei seinen Unternehmungen im Baltikum unter die Arme gegriffen und das Beutegut abgekauft. Der war übrigens eine praktische Einrichtung. Da konnten sich die Nachgeborenen des deutschen Adels jeweils für ein paar Jährchen die Hörner abstoßen und sich die Zeit damit vertreiben, pruzzische, litauische und polnische Bauern zu massakrieren und deren Dörfer zu brandschatzen

Aber wir schweifen vom Herrn Elbe ab. Der hatte eben jene Zeiten im Sinn, als er neulichs auf Gut Knoop bei Kiel - auch das so ein Rest ostelbischen Großgrundbesitzes, der in Westdeutschland nie einer angemessenen republikanischen Entsorgung zugeführt wurde - sprach. "Polen auf dem Weg in die Europäische Union: Politische Chancen, wirtschaftliche Perspektiven und Bedeutung für den Ostseeraum" war sein Thema. Und bei so einem Titel sind im nördlichsten Bundesland wortgewaltige Anklänge an alte Hanse-Zeiten schon seit Jahren unvermeidlich:

"Schleswig-Holstein ist Treuhänder einer bedeutsamen deutschen Tradition. Es muss die Vorteile regionaler Zusammenarbeit nicht erst entdecken. In der Hanse ist sie von vor Jahrhunderten praktiziert worden. Schleswig-Holstein hat eine historische Berufung, die (EU-)Erweiterung zu unterstützen."

Und der wird es natürlich ganz uneigennützig, wie dereinst die Hanse, folgen: "Das Volumen des deutsch-polnischen Handels betrug 1999 42 Milliarden DM - ein Rekordergebnis. Wir erwarten für das Jahr 2000 einen Anstieg auf etwa 50 Mrd. DM. Das wäre ein Umsatzzuwachs von rund 24%. Unser Handelsbilanzüberschuss mit Polen wird bei ca. fünf Milliarden DM liegen. Diesen Überschuss kann man in 60 - 70.000 Arbeitsplätze in Deutschland umrechnen."

Oder in die gleiche Zahl Arbeitslose in Polen, versteht sich. Und damit die dort bleiben, wo der Pfeffer wächst, müssen vor Polens EU-Beitritt "Übergangsfristen zu unseren Gunsten geschaffen" werden. Denn schließlich ist "(d)ie Freizügigkeit des Personenverkehrs ... ein Thema, das in Deutschland als Bedrohung der Stabilität des Arbeitsmarktes empfunden wird."

So werden sich die Polen denn vorerst nur als Touristen und Studenten ein Bild von uns machen können, die "wir (ihnen) so lange Zeit fremd und unheimlich" gewesen sind, weil "(d)ie Stalinisten ... den Menschen in Polen systematisch vorenthalten (haben), welche demokratische Entwicklung Deutschland nach 1945 durchgemacht hat. Sie haben nach dem Krieg ein Feindbild von den Deutschen in die Herzen der Menschen zu senken versucht...", das natürlich überhaupt nichts mit den Erfahrungen der polnischen Bevölkerung zu tun hatte.

Aber diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei. Jetzt gilt wieder: "Deutschland ist und bleibt der wichtigste ausländische Investor in Polen. Insgesamt sind über 6000 deutsche Unternehmer in irgendeiner Weise in Polen tätig." Und mit der EU kann man inzwischen sogar an der Weichsel mitregieren: "Es geht ... um die Übernahme von 84.000 Seiten europäischer Gesetzgebung, ..."

Bei so viel historischem Fortschritt kann selbst ein "hartgesottener Diplomat" schon mal ins Schwärmen geraten und neue Achsen schmieden: "Europa dreht sich künftig um eine neue politische Achse und diese wird von Frankreich über Deutschland nach Polen verlaufen." Und damit man dort auch weiß, wo es lang geht, gibt es Entwicklungshilfe der besonderen Art: "Deutschland entsendet in kein anderes Land so viele Deutschlehrer wie nach Polen." (wop)

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