Internationales

Ungemütliche Aussichten

Neues Buch diskutiert Fusionswelle und die Zukunft des Nationalstaats

Das Wort vom transnationalen Kapital ist in aller Munde. Nicht nur ungewollt heimatlose Ex-Linke, die in ihrer Nachbarschaft ein paar schöne Landschaften entdeckt haben und deshalb zurück an die Brust einer imaginierten Nation wollen, haben es entdeckt, sondern auch viele Menschen, die ernsthaft besorgt sind über den Verlust an Demokratie durch die Zentralisation ökonomischer Macht, über den im globalen Maßstab betriebenen Raubbau an Mensch und Natur und über das Zertreten der Souveränität vieler kleinerer Staaten vor allem in den Ländern des Südens.

Und noch einer scheint dem neuen Glauben aufgesessen: Der amerikanische Milliardär und DaimlerChrysler-Anteilseigner Kirk Kerkorian verfiel Ende letzten Jahres auf die kuriose Idee, den Vorstand des nämlichen Unternehmens zu verklagen. Vorstandschef Jürgen Schrempp hatte etwas tumb-teutsch ausgeplaudert, was sowieso schon jeder, der wirklich wollte, wusste; dass nämlich das Gerede vom deutsch-amerikanischen Unternehmen vom ersten Tag an nichts als Propaganda gewesen und man immer dahin habe wollen, wo man jetzt ist, nachdem sich die einstige Führungsriege von Chrylser nahezu vollständig aus dem Konzern verabschiedet hat. Kerkorian fühlt sich betrogen; sagt er zumindest. Wahrscheinlicher ist wohl, dass er einfach auf einen guten Schnitt in einem Vergleich hofft.

Für Winfried Wolf hingegen ist der Fall DaimlerChrysler Musterbeispiel für die Vorgänge, die hinter der Propaganda-Fassade die gegenwärtige weltweite Fusionswelle bestimmen. In seinem neuen Buch "Fusionsfieber" trägt er akribisch Zahlen und Daten zusammen, die noch einmal anschaulich zeigen, wie sehr in den letzten Jahren die Zahl der Übernahmen und Aufkäufe angestiegen ist, und stellt Vergleiche mit früheren Perioden beschleunigter Kapitalkonzentration an.

Für die immer noch nicht ausgestorbene Spezies der Fortschritts-Fetischisten, die meinen, Sozialismus lasse sich wie die - einst zentralisierte - Deutsche Post organisieren, stellt er dabei eher nebenbei heraus, dass es heute in keiner Branche mehr eine stoffliche Notwendigkeit der weiteren Konzentration gibt. Im Gegenteil: In manchem Sektor, wie z.B. in der Energieversorgung verbaut sie den Weg für rationellere, die Umwelt schonende und vor allem eher demokratisch zu kontrollierende dezentrale Lösungen. Und naja, PC-Nutzer können ein Lied davon singen, dass Monopol und Qualität zwei sich ausschließende Größen sind.

Einen größeren Raum nimmt die Zerstörung eines anderen Mythos ein, nämlich dessen, dass wir in einer New Economy leben, die von Telekommunikation und Internet beherrscht würde. Die nackten Zahlen, so Wolf, sagen da noch immer etwas ganz anderes: "Mit dieser Arbeit wird erstmals nachgewiesen, wie sich die gegenwärtige Kapitalkonzentration stofflich vor allem als Konzentration von Werten und Macht in den Sektoren Ölverarbeitung, Auto und Rüstung darstellt, also in den heute strategisch entscheidenden Branchen der Rohstoffgewinnung, des Transportsektors und der Kriegstechnik."

Zentrale Frage des zu besprechenden Bandes aber ist, ob sich tatsächlich, wie zumeist schon als selbstverständlich vorausgesetzt, ein transnationales Kapital herausbildet, dass den Nationalstaat als antiquiertes, überlebtes Relikt des vorigen Jahrhunderts hinter sich lässt. Man ahnt es schon, Wolf ist nicht dieser Meinung. Nicht nur DaimlerChrysler sondern auch eine Reihe tatsächlich einst als binational angelegter, jedoch schon bald gescheiterter Fusionen zumeist europäischer Unternehmen belegen für ihn das Gegenteil. Und dem Leser fällt es schwer zu widersprechen. Wolf kann tatsächlich anhand der Tabellen der weltweit größten Konzerne zeigen, dass es abgesehen von ganz wenigen britsch-niederländischen Ausnahmen faktisch keinen Multi gibt, der nicht ganz fest in einer und nur einer Heimatbasis verwurzelt wäre.

Das steht keineswegs im Widerspruch zum weltweiten Agieren, zur Schnäppchenjagd in aller Welt. Doch wie es in den ins Unermessliche wachsenden Mega-Riesen zugeht, beschrieb kurz nach Erscheinen des Buches eine Überschrift in der "Financial Times Deutschland" in dankenswerter Anschaulichkeit: "Nahrungs-Multi Nestlé entzieht seinen nationalen Gesellschaften Kompetenzen - Abläufe werden zentralisiert - Mehr Effizienz mit Informationstechnologie". Der geografischen Ausdehnung von Produktion und Vertriebswegen steht eine Bündelung von Wissen und Entscheidungskompetenz in wenigen nationalen Konzernzentralen gegenüber, wie der Autor unter anderem an Hand von Statistiken für Forschung und Entwicklung nachweisen kann.

DaimlerChrysler - mit 300 Mrd. DM Umsatz und 467 Tsd. Beschäftigten Deutschlands Nummer Eins und weltweit knapp hinter GM, Exxon und Ford Nummer Vier - ist also genauso deutsch, wie letztere US-amerikanisch. Und so wie Daimler bei der Fusion der europäischen Rüstungs- und Luftfahrtindustrie peinlich darauf achtete, dass seinen Tochter Dasa in der EADS nicht unter massgeblichen ausländischen Einfluss - und sei es nur britischer oder französischer - geriet, so sorgte man in den USA dafür, dass Chrysler zunächst alle wesentlichen militärischen Komponenten amputiert wurden, bevor es den Deutschen zum Fraß vorgeworfen wurde.

Der geneigte Leser ahnt an dieser Stelle, dass sich damit auch eine durchaus ungemütliche Antwort auf die Frage nach der Rolle der Nationalstaaten aufdrängt. Und richtig: Der Autor kommt zu dem Schluss, dass diese Mitnichten dabei sind, das Zeitliche zu segnen, sondern ihnen eine vitale - wenn auch bestimmt nicht lebenspendende - Rolle in dem sich verschärfenden Konkurrenzkampf zugedacht ist.

Winfried Wolf hat zweifellos ein nützliches Buch vorgelegt. Er versucht nicht, gegen die Windflügel eines kaum faßbaren Begriffs anzurennen, sondern legt eine faktenreichen Arbeit vor, die all jenen, die unter dem Kampf gegen Globalisierung vor allem den gegen Konzernherrschaft als den zugespitzten Ausdruck der allumfassenden Durchdringung des täglichen Lebens durch die Warenproduktion verstehen, gute Dienste leisten kann. In dem er nämlich hilft Klarheit zu schaffen. Klarheit, über das Gegenüber, das durchaus nicht ein unpersönliches, unfassbares vagabundierendes Kapital ist, sondern über konkrete Adressen verfügt: In Stuttgart, in Düsseldorf, in München, Frankfurt oder Berlin. (wop)

Winfried Wolf, Fusionsfieber - Oder: Das große Fressen, Papyrossa, 28 DM

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