Herr, send' Hirn!

Haben wir Wahlkampf oder doch schon Karneval? Nachdem Meinhof-Tochter Bettina Röhl meinte, sie müsste mit "68 bis 77" abrechnen, um ihr durch "meine mörderische Mutter" verletztes Seelenheil wiederzugewinnen und es ihrem Vater gleich zu tun, der mittlerweile wie manche Damals-Linke ideologisch bei den Faschos angekommen ist, wühlt man allerorten in den Vergangenheiten des "politischen Gegners". McCarthy lässt grüßen: "Sind Sie oder waren Sie jemals Kommunist oder kennen Sie Leute, die Kommunisten oder ehemalige Kommunisten kennen?" Fischer hat geputzt, Trittin war - oha! ganz schlimm - im "Kommunistischen Bund" und habe den berühmten Mescalero-Brief unterstützt. Darin hatte 1977 ein unbekannt gebliebener Göttinger Student seiner "klammheimlichen Freude" über die Tötung des Generalbundesanwalts Buback durch ein RAF-Kommando Ausdruck verliehen. Die "Opposition" fordert Abbitten und Canossa-Gänge.

Nazis und Völkermörder durften zwar einst Richter und Ministerpräsidenten werden, no problem, Leute, die einen linksradikalen Text nicht sofort verbrannt haben, jedoch heute nicht Umweltminister "mit einem ungeklärten Verhältnis zu terroristischer Gewalt - siehe Sitzblockaden gegen Castor-Transporte" (Westerwelle über Trittin). Das eigentlich Groteske an diesem Spielchen sind allerdings weniger die "Vorwürfe" als die Reaktionen der Beklagten, die anstatt über solchen Unsinn hinweg zu gehen nicht müde werden, ihre jetzige Staatstreue zu beschwören und die "damaligen Eskapaden" flagellantenhaft als "schlimmen Fehler", "Verirrung" usw. zu bezeichnen.

Siegerjustiz auch im TV. Sat.1 machte aus dem Film "Der Tunnel", der die Flucht aus der DDR durch einen von westlichen Fluchthelfern gegrabenen Tunnel im Stil eines Melodrams zeigte, das wie direkt aus den übelsten Zeiten des "Kalten Krieges" entsprungen schien, einen ganzen Themenabend. Im Film: Stasi-Agenten, die nicht nur wie Gestapo-Schergen aussehen, sondern auch wie die foltern, und Amis mit den edelsten Absichten: "Ich grabe hier mit, um Ostdeutschland von den Bolschewiken zu befreien!" Im Anschluss folgte die so genannte Doku "Mit mir nicht, Genossen! - Fluchten aus der DDR", worin die Republikflüchtigen zu "Helden des Kampfs um die Freiheit" (O-Ton) stilisiert wurden. Kein Wort über durch westliche Fluchthelfer erschossene DDR-Grenzer, versteht sich.

Geschichte wird gemacht, nivelliert zu dem, was staatstragend ist. Denn mit der "Berliner Republik" ist die Geschichte bekanntlich zu Ende - kein bloß 1000jähriges Reich, sondern das ewig währende des total(itär)en Siegs der "freiheitlichen Demokratie". In einer TV-Diskussion um die "Fischer-Trittin-Affäre" zeigte der Ober-"Liberale" Guido Westerwelle, wo's lang geht: "Wer sich, mit welchen Mitteln auch immer, gegen parlamentarisch gefällte Beschlüsse auflehnt, ist ein Feind der Demokratie." Und Reichstagspräsident Thierse ergänzte folgendes, um klar zu stellen, welche Ursachen "Extremismus" hat, "gleich ob von rechts oder links": "Dass es im Osten so viele Neo-Nazis gibt, beruht vielleicht darauf, dass Sozialismus und Nationalsozialismus nicht nur vom Namen, sondern auch von ihren autoritären Strukturen her viele Gemeinsamkeiten haben." Nur noch eine Frage der Zeit, bis "die 68er" und sonstiges linkes (und sei es nur ex-linkes) Gesocks auch noch die Schuld für Auschwitz zugeschoben bekommen. (jm)

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