Betrieb & Gewerkschaft

D. Hundt (BDA): "Unternehmerische Freiheit bedroht"

Betriebsverfassungsgesetz wird modifiziert

K. Zwickel (IGM): "Krach in den Betrieben"

Kurz vor der Vorlage im Bundeskabinett am 14.2. wurde der Entwurf des neuen Betriebsverfassungsgesetzes nicht nur von den Kapitalistenverbänden mit den Adjektiven "mittelstandsfeindlich"-"kostentreibend"-"investitionshemmend"-"bürokratisch"-"bevormundend"-"modernisierungsfeindlich"-"unflexibel"... unter Sperrfeuer genommen. CDU/CSU und FDP sind grundsätzlich rätefeindlich, doch auch aus den Reihen der GRÜNEN gab es Schützenhilfe: Der Vorstoß von R. Schlauch gegen den in § 77.3 BetrVG geregelten Tarifvorbehalt war - besonders bezüglich der Wählerpferchung - wohl kalkuliert! Für die Kapitalistenverbände ist der im BetrVG geregelte Tarifvorbehalt mit die härteste "Einschränkung der unternehmerischen Freiheit". Die Furcht vor einer Aufweichung des Tarifvorbehalts war für die Gewerkschaften bisher (unter der Kohl-Regierung!) der wesentliche Grund, hinsichtlich der Forderung nach einer Novellierung des BetrVG, den Ball flach zu halten! (Tarifvorbehalt: Betriebsräte dürfen - ohne Zustimmung der Tarifvertragsparteien - keine vom Tarifvertrag nach unten abweichende Regelungen/Vereinbarungen mit den Arbeitgebern abschließen!)

Nach Bundeswirtschaftsminister W. Müller, haben die Wirtschaftsminister aus 6 SPD-regierten Bundesländern - in der Woche vor der Kabinettssitzung - mit einer gemeinsamen Erklärung Arbeitsminister W. Riester aufgefordert, Korrekturen zugunsten mittelständischer Unternehmen vorzunehmen. Der DGB sagte daraufhin terminierte Gespräche mit Wirtschaftsministern ab. DGB-Nord-Vors. P. Deutschland: "Wir lassen uns nicht vorführen". IG Metall Vors. K. Zwickel kündigte im Falle der Reformverschiebung "Krach in den Betrieben" an.

Die letzte Novellierung des BetrVG erfolgte 1972 unter der von W. Brandt geführten SPD/FDP Regierung: Insbesondere hinsichtlich Personeller Maßnahmen (Einstellungen/Entlassungen...) und der Arbeitsplatzgestaltung (und damit auch der Investitionen) wurden die Mitbestimmungsrechte ausgeweitet. Bei der Novellierung 2001 (gilt dann ab 2002, dem Jahr der nächsten BR-Wahlen) geht es u.a. um

Insgesamt keine große Reform, eher eine marginale Anpassung an die (groß)betriebliche Realität.

Für Kapitalisten und Konservative ein - altes - Problem!

Die Vorläufer der Betriebsräte waren die im 19. Jahrhundert gegründeten Arbeitsausschüsse. Selbst mit einen 12-jährigen Verbot durch das "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" (Sozialistengesetze) war der steigende Einfluss der Arbeiterpartei(en) und Gewerkschaften in Betrieb und Gesellschaft nicht aufzuhalten. Ab 1890 setzten Kapital und Reaktion - bis 1933 - auf Integration durch Zugeständnisse:

1891 werden durch "kaiserlichen Februarerlass" betriebliche Interessenvertretungen anerkannt. Unabhängige Gewerkschaften sollten aus den Betrieben herausgehalten werden. Ende 1916 wurden durch das "Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst" Arbeiter- u. Angestellten Ausschüsse installiert. Die Gewerkschaften waren - nach der Kriegszustimmung von Seiten der SPD und der Gewerkschaften - vom Staat anerkannt worden!

1920 wurde das 1. Betriebsrätegesetz verabschiedet. Nach der Rebellion der Matrosen Ende 1918 waren in der darauffolgenden revolutionären Bewegung Arbeiter- und Soldatenräte gebildet worden. Die russische Variante - Sowjet genannt - setzte sich dort als Staatsform durch. Das Ende der Sowjetunion ist bekannt! In Deutschland konnten sich die Räterepubliken nicht halten. Das 1. Betriebsrätegesetz in Deutschland: Ein Erfolg der revolutionären Bewegung in Deutschland, die in einer Niederlage endete?

Der gefrorene Kompromiss

Dieser gefrorene Kompromiss war in der Arbeiterbewegung umstritten. Der Streit wurde 1933 durch die Nazi-Faschisten vorerst beendet. Im Auftrag von Kapital und Reaktion wurde gegen die gespaltene Arbeiterbewegung ein physischer und ideologischen Enthauptungsschlag geführt, von dem sie sich bis heute nicht erholt hat: Verbot der Arbeiterparteien, Gewerkschaften u.a. Massenorganisationen sowie Inhaftierungen und Liquidierungen der Aktivisten und Führer. Überlebt haben Verfolgung und Krieg nur wenige, einige im Exil.

Nach 1945 wurden in den (Rest-)Großbetrieben als erstes Betriebsräte organisiert: Ein Großteil der Kapitalisten waren - aus bekannten Gründen - auf der Flucht, im Knast, unter Hausarrest oder hielten sich sonst wie bedeckt. Die Betriebsräte haben mit den Alliierten verhandelt, die Produktion und Verteilung organisiert. Mit ein wesentlicher Grund für die, bis in die heutige Zeit, tonangebende Stellung des Betriebsrats, v.a. in den Metallbetrieben. Die 2. Säule der Interessenvertretung, der Vertrauensleutekörper (existieren meist nur in den Großbetrieben der Metallindustrie) mit der VK-Leitung führt hier meist ein Schattendasein, obwohl die VKL formal das höchste gewerkschaftliche Gremium im Betrieb ist! 1952 wurde in der BRD das 1. Betriebsverfassungsgesetz verabschiedet. In der DDR wurden die Betriebsräte aufgelöst. Die Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) war das Organ der gewerkschaftlichen Interessenvertretung im Betrieb. Das war und ist auch in fast allen kapitalistischen Ländern Praxis, oft existieren mehrere Leitungen der einzelnen (partei-)politisch orientierten Gewerkschaften im Betrieb. In Deutschland gilt die Devise "Ein Betrieb - eine (DGB!) Gewerkschaft!" In der Metallbranche sind 85% der Betriebsratsmitglieder in der IG Metall organisiert. IG Metallmitglieder in den Betriebsräten sind durch die Ernennung zu Vertrauensleuten Funktionäre der IGM und damit den Beschlüssen und Richtlinien der Organisation verpflichtet.

Trotz Sozialpartnerschaft - Sand im Getriebe

Nach der Zerschlagung des Faschismus haben sich die Betriebsräte eindeutig als die tragende Säule der Interessenvertretung der Werktätigen in den Betrieben entwickelt. Der Einfluß der Gewerkschaften steigt oder fällt über die Tätigkeit der Betriebsräte. Meist sozialpartnerschaftlich orientiert, geht heute die betriebsrätliche Praxis bis zum Co-Managment. Trotzdem streuen die Betriebsräte - meist unbewußt - mehr Sand ins Getriebe des Kapitalismus, als manche sich kurzzeitig revolutionär gebärdende Menschen (Beispielsweise der amtierende Außenminister, der sich heute für seine Versuche ins Getriebe zu spucken sogar entschuldigt!).

Auch die Zweifel hinsichtlich der Notwendigkeit einer kollektiven Interessenvertretung in den Betrieben des sog. Neuen Marktes nehmen ab. Nach den Einbrüchen in diesem Bereich sind manche Werktätige dieser Branche auf den Boden des realexistierenden Kapitalismus geknallt oder haben diesen zumindest schon mal gesehen. Hier nehmen die Versuche Betriebsräte zu gründen zu. Das modifiziertes Betriebsverfassungsgesetz kann da eine Hilfe sein!

Im Kabinett werden Bundeskanzler G. Schröder und die SPD-Führung den Spagat, zwischen Bedienung der Kapitalinteressen und der Wählerpferchung für die 2002 anstehende Bundestagswahl, durchhalten. Ob die Gewerkschaften - im Falle der Verwässerung des Riester-Entwurfs im Kabinett - wirklich Krach in den Betrieben machen, werden wir sehen und lesen: In der LinX!

(w. jard)

§ 77 Abs. 3 BetrVG:

Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies gilt nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt.

Art. 5 des ILO-Abkommens Nr. 135:

"Sind in einem Betrieb sowohl Gewerkschaftsvertreter als auch gewählte Vertreter tätig, so sind nötigenfalls geeignete Maßnahmen zu treffen, um zu gewährleisten, dass das Vorhandensein gewählter Vertreter nicht dazu genutzt wird, die Stellung der beteiligten Gewerkschaft oder ihrer Vertreter zu untergraben, und die Zusammenarbeit zwischen den gewählten Vertretern und den beteiligten Gewerkschaften und ihrer Vertreter in allen einschlägigen Fragen zu fördern."

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