Antifaschismus

Kieler Erklärung gegen Rassismus und Faschismus

Am Runden Tisch hat eine intensive Diskussion um die Grundlagen der weiteren Arbeit begonnen

Der Runde Tisch gegen Rassismus und Faschismus in Kiel befasst sich zur Zeit neben der Organisierung verschiedener Aktivitäten mit der Diskussion über eine Erklärung, die die inhaltlichen Grundlagen seiner Arbeit beschreiben soll. Zur Zeit liegen zwei Entwürfe vor: Einer, der in einer Arbeitsgruppe erarbeitet wurde und der laut Beschluss des Plenums Grundlage der weiteren Diskussion sein sollte (ein Gegenentwurf Angelika Oschmanns von den Grünen, die darin nicht einmal die Gleichberechtigung der EinwanderInnen fordern mochte, wurde verworfen), und ein Vorschlag der IG-Metall-Ortsverwaltung. Am Runden Tisch wurde bemängelt, dass die IGM ihre Überlegungen nicht dem genannten Beschluss entsprechend als Änderungsvorschläge zu dem AG-Entwurf eingebracht hat. Auch die Begründungen für die inhaltlichen Differenzen vermochten die meisten nicht zu überzeugen. Auch nicht die Delegierten der Gewerkschaften ÖTV, IG Medien und DAG. Die DAG hatte bereits den Beschluss gefasst, den AG-Entwurf zu unterzeichnen. Positiv ist zu bewerten, dass es in der IG Metall eine breite Auseinandersetzung auf verschiedenen Ebenen der Organisation mit dem Anliegen des Runden Tisches, an dessen Zustandekommen die IGM-Vertrauensleute den entscheidenden Anteil hatten, gibt. Solche intensiven Diskussionen können den zukünftigen Arbeiten des Runden Tisches wesentlichen Rückhalt geben. Das Engagement der gewerkschaftlich organisierten KollegInnen auf diesem Gebiet ist unverzichtbar. Vor der nächsten Sitzung des Runden Tisches am 27.2. soll nun in einer Arbeitsgruppe die begonnene Diskussion fortgesetzt und ein neuer Entwurf erarbeitet werden. Ich bin zuversichtlich, dass dies gelingt.

Die LinX-Redaktion hat mich gebeten, den jetzigen Stand der Diskussion darzustellen. Da alles, was am Runden Tisch geschieht, öffentlich ist, sehe ich darin kein Problem. Im Folgenden werden beide Entwürfe vorgestellt. Zunächst (I.) der AG-Entwurf, und zwar in Form des Arbeitsgruppenberichtes, den ich dem Plenum vorgelegt habe. Die darin enthaltenen Änderungsvorschläge sind von mir. Die - hier gekürzte - Erläuterung des AG-Entwurfs (II.) stammt ebenfalls von mir. Auch sie lag am Runden Tisch vor. Schließlich (III.)der Vorschlag der IG Metall vom 24.1.

(Dietrich Lohse)

I. Der Entwurf einer Plattform des Runden Tisches sieht jetzt folgendermaßen aus:

Am Runden Tisch gegen Rassismus und Faschismus in Kiel ist Platz für alle EinwohnerInnen unserer Stadt, die die Mordtaten, die antisemitischen Anschläge und die menschenverachtende Hetze der Faschisten in Deutschland nicht länger dulden wollen. Wir laden alle demokratisch gesinnten Menschen gleich welcher Herkunft, Weltanschauung oder Parteizugehörigkeit ein, mit uns ihren Platz an diesem Tisch einzunehmen. Faschismus gleich welcher Spielart und Organisationsform darf im Leben unseres Landes keinen Platz mehr finden. Seine Bekämpfung ist zentrale Aufgabe unserer Gesellschaft. Denn Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. (Anmerkung: eventuell ergänzen "gegen die Menschlichkeit"?) Gemeinsam wollen wir beraten, wie wir Nazi-Umtrieben entgegentreten können. Wir wollen uns gegenseitig helfen, Zivilcourage bis hin zu zivilem Ungehorsam zu entwickeln: wo Mitmenschen von den Nazis angegriffen werden, wo wir selbst Faschisten gegenüberstehen. Wir wollen uns zum Beispiel im Beruf nicht zwingen lassen, faschistische und rassistische Machwerke herzustellen und zu verbreiten. Wir wollen die Ursachen der faschistischen Gewalt und die Bedingungen, die den Nazis die Gewinnung von Anhängern erleichtern, auffspüren und beseitigen helfen. Denn: "Die Vernichtung des Faschismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung". Diesem Schwur der Häftlinge und Freiheitskämpfer von Buchenwald bleiben wir verpflichtet. Deshalb soll der Runde Tisch gegen Rassismus und Faschismus in Kiel eine dauerhafte Einrichtung bleiben.

Zu den gesellschaftlichen Bedingungen, die den Faschisten den Boden bereiten, gehören insbesondere

II. (...) Der Entwurf gliedert die Erklärung in drei Teile:

1. Allgemeines Selbstverständnis des Runden Tisches, 2. Kernpunkte der gesellschaftlichen Bedingungen, die den Faschismus in Deutschland begünstigen und auf die wir deshalb positiv verändernd einwirken müssen, 3. Politische Forderungen und Handlungsorientierung. Die Teile 1 und 2 sind im Entwurf formuliert. Für den 3. Teil werde ich in der Arbeitsgruppe Vorschläge machen.

Im 1. Teil wird zunächst die Idee des (Runden) Tisches aufgegriffen ("Platz nehmen...", für Faschismus darf es "keinen Platz" geben...) Anschließend wird kurz erläutert, was jede/r Einzelne davon hat und was wir alle gemeinsam davon haben, wenn wir uns des Runden Tisches bedienen. Die Formulierungen geben meines Erachtens die bisher in unserem Kreis geäußerten Meinungen ziemlich genau wieder. (...) ich kann mir gar nicht vorstellen, dass jemand am Runden Tisch nicht der Meinung ist, dass die Verweigerung der Mitwirkung an Herstellung und Verbreitung faschistischer und rassistischer Machwerke - Aktionen der Zivilcourage, die vor allem in die gewerkschaftlichen Bereiche von Medien und Post fallen - unbedingt in unserem Sinne ist und unsere Unterstützung verdient. (Es wird Euch aufgefallen sein, dass die Polizei hier nicht genannt wird, obwohl ich bekanntlich der Meinung bin, dass ein Befehl, zum Schutz der Nazis auf die Straße zu gehen, nicht befolgt werden sollte. Ich gehe davon aus, dass wir uns zumindest in dieser allgemeinen Form auf diese Feststellung nicht einigen können.) Weiter: Dass wir uns um Ursachen für das Treiben und die Erfolge der Nazis Gedanken machen müssen, ist wohl unstrittig. Fast jede/r sagt doch zum Beispiel, ein NPD-Verbot "reiche nicht aus". Was dann folgt, kann allerdings ganz unterschiedlich sein. Zur Begründung der Ursachenforschung wird im Entwurf zurückgegriffen auf den Schwur von Buchenwald, um den Bogen zu schlagen zum uns alle verpflichtenden Gedächtnis an diejenigen, die unter der Hitlerdiktatur gelitten haben. Der Schwur von Buchenwald fasst beispielhaft zusammen, was über alle Grenzen von Parteizugehörigkeit und Weltanschauung hinweg alle Menschen einte und eint, die der faschistischen Herrschaft in Deutschland Widerstand geleistet und diesen Widerstand und die Verfolgung ungebrochen überlebt haben. (...)

Im Folgenden benennt der Entwurf drei Eckpfeiler, auf die sich zukunftsorientierte antifaschistische Arbeit stützen könnte. (...)

Zum 1. Punkt: Ich habe in Diskussionen im Plenum und in meiner Rede am 9.11.2000 nicht umsonst an die Kieler Kundgebung von 1993 erinnert. (...) diese Erinnerung (...) macht jedenfalls deutlich, wie wenig hilfreich es ist, sich immer mal wieder hinzustellen und zu erklären, dass man Nazigewalt echt beschissen findet. Diese Feststellung hätte bereits vor sieben Jahren Folgen haben müssen. Das Morden ist aber tatsächlich weitergegangen, und das konnte auch deshalb geschehen, weil man die politischen Forderungen der Betroffenen damals in den Wind geschlagen hat. Ich bin überzeugt: Ein Bündnis gegen Faschismus und Rassismus, dass als Grundlage seiner Arbeit nicht (mindestens) diese Forderungen aufnimmt, ... könnte seinem Namen nicht gerecht werden. Dass es in allen in Deutschland an Regierungen beteiligten Parteien PolitikerInnen gibt, die diese Forderungen auch heute nicht erfüllen wollen, ist mir bekannt. Ein antifaschistisches Bündnis, das diese Forderungen erst aufstellen wollte, wenn dem nicht mehr so wäre - womöglich, "um die Breite nicht zu gefährden" - würde sich hochgradig lächerlich machen. PolitikerInnen und "einfache" Mitglieder aller Parteien, die persönlich (und womöglich als VertreterInnen irgendwelcher Gremien) für diese Forderungen einstehen - und das sind nicht wenige - können dem mit ihrem Engagement am Runden Tisch Ausdruck geben. (...)

Zum 2. Punkt: Die Formulierung dieser die heutige Gesellschaft kennzeichnenden Aussage stammt aus einer Erklärung des diesjährigen Gewerkschaftstages der IG Medien. Sie ist von Inhalt und Form her meines Wissens tragbar auch zum Beispiel für Mitglieder von Kirchenkreisen gleich welcher Konfession.

Zum 3. Punkt: Die Bezugnahme auf den auflebenden Antisemitismus scheint mir naheliegend und keiner weiteren Erläuterung bedürftig. (...)

III. Konsensvorschlag der IG Metall OV Kiel

Am Runden Tisch "Gegen Rassismus und Faschismus" in Kiel ist Platz für alle, die fremdenfeindliche, rechtsextremistische und rassistische Äußerungen und Gewalttaten, antisemitische Anschläge und menschenverachtende Hetze, Terror und Mordtaten der Faschisten in Deutschland nicht länger dulden wollen.

Wir laden alle demokratisch gesinnten Menschen - gleich welcher Herkunft, Religion, Weltanschauung oder Parteizugehörigkeit - ein, mit uns am Runden Tisch Platz zu nehmen. Der Runde Tisch soll eine dauerhafte Einrichtung werden.

Für uns ist die Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Rassismus eine zentrale Aufgabe unserer Gesellschaft. Deshalb sind alle Demokraten, alle politischen Verantwortungsträger sowie jeder Bürger und jede Bürgerin aufgefordert, sich gegen jede Form von Diskriminierung zu stellen und "Gesicht zu zeigen".

Um Fremdenfeindlichkeit, Rassismus wirksam zu bekämpfen, ist eine ständige Aufklärung und Kritik an der menschenverachtenden Ideologie, ihren gesellschaftlichen Wurzeln und dem gewaltverherrlichenden öffentlichen Auftreten der Nazis erforderlich. Ziel ist die gesellschaftliche Ächtung aller Formen der Ausgrenzung.

Offener Neofaschismus ist die eine Seite der Medaille. Die andere: Rassistische Erklärungsmuster und Orientierungen entstehen in der Mitte der heutigen Gesellschaften , nicht nur in Deutschland. Sie sind kein Randproblem, nicht jugendspezifisch und nicht regional einzugrenzen.

In den Auseinandersetzungen um Einwanderungsgesetze, Asylrecht und Abschiebepraxis, um die Staatsbürgerschaft und "Green Cards" haben populistische Äußerungen und Ausgrenzungsthesen, die Menschen nach ihrer Nützlichkeit für die Wirtschaft beurteilen, nichts zu suchen. Wir brauchen eine verantwortungsvolle und vor allem humane Flüchtlings- und MigrantInnenpolitik ,die das Recht auf Asyl nicht aushebelt sondern stärkt. Nur so bleiben Menschenrechte ungeteilt: Menschen ausländischer Herkunft, die längere Zeit in Deutschland leben, muss die doppelte Staatsbürgerschaft und das Wahlrecht zuerkannt werden.

Zivilcourage und solidarisches Verhalten sind in allen gesellschaftlichen Konfliktfeldern gefordert. Nur so kann sich eine demokratische Gesellschaft behaupten und weiterentwickeln, die Demokratisierung von Staat und Wirtschaft vorangetrieben werden und damit gleichzeitig auf allen Ebenen den Faschisten der Nährboden entzogen werden.

Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Leisten wir Widerstand gegen Neonazis, rechte Skinheads sowie alle neofaschistischen Organisationen und Parteien.

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