Debatte

Balsam für die deutsche Seele

Eine jüdische Selbstbezichtigung findet begeisterte Aufnahme beim Publikum

Wer sich mit einer guten Portion Desillusionierung über die Bewusstseinsverfassung der Deutschen die Kante geben wollte, der war mit der Podiumsdiskussion am Mittwoch in der Berliner Urania über die "Holocaust-Industrie" gut bedient. Geladen hatten Süddeutsche Zeitung und Piper-Verlag, der das schon Monate vor Erscheinen heftig umstrittene Buch mit dem gleichnamigen Titel von Norman Finkelstein auf Deutsch herausgibt. Darin kritisiert laut Einladungskärtchen der Autor "die moralische Ausbeutung des Holocaust und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Holocaust-Industrie", vor allem, laut Henryk M. Broder im "Spiegel", "gegen die Jewish Claims Conference, die, so Finkelstein, mit gefälschten Opferzahlen immer mehr Geld von den Deutschen verlange".

Wie man annehmen könnte, eine rein inneramerikanische Diskussion, da man in den USA im Gegensatz zu Deutschland tatsächlich von einer "Holocaust-Industrie" und von "Holocaust-Kitsch" sprechen kann. Doch dort blieb das Buch bis auf zwei Rezensionen so gut wie unbeachtet, während in der Urania weit über 1 000 Besucher Einlass begehrten und von den 900 Auserwählten ungefähr ein Drittel aus Pressevertretern bestand. Wenn die Deutschen hören, dass sie von den Juden über den Tisch gezogen werden, und das noch aus dem berufenen Munde eines Juden, dann zeigen sie sich sehr interessiert. Gleich zu Beginn schrie eine hysterisierte Frau, dass man nur Finkelstein hören wolle und nicht die anderen Diskussionsteilnehmer, die zur Podiumsdebatte geladen waren. Das zeigt, wie groß die Sehnsucht der überwiegenden Mehrheit war, sich exklusiv von einem Juden exkulpieren zu lassen.

Finkelstein jedoch wirkte recht eigenartig. Wie man es sonst nur von Rudolf Scharping kennt, sprach er wie ein Automat. Unbeweglich und maskenhaft, den Blick in eine unbestimmte Ferne gerichtet, hörte er sich wie ferngesteuert an. Abgesehen davon war es eine Überraschung, dass Finkelstein keinen einzigen spezifischen Einwand formulierte, sondern ausschließlich Wolkiges von sich gab. Er hätte das Buch geschrieben, um »die Würde der Menschen wiederherzustellen«. Wenn das Publikum frenetisch Platitüden beklatschte wie Bemerkungen, der Holocaust sei nicht das einzige Verbrechen in der Geschichte der Menschheit gewesen und die deutsche Geschichte würde nicht nur aus den zwölf Jahren NS-Diktatur bestehen, dann bestand kein Zweifel daran, dass hier eine bestimmte und zwar revanchistische Interpretation honoriert wurde.

Man hätte dem Mann gut auf den Zahn fühlen können, aber das Podium war mit Peter Steinbach, Rafael Seligmann und Sten Nadolny nicht so besetzt, dass Finkelstein irgend etwas befürchten musste. Weder wurde er auf sein Gerede angesprochen, noch wurde von ihm auch nur ein präziser Kritikpunkt eingefordert. Die von Seligmann angesprochene Tatsache, dass die Jewish Claim Conference noch gar nichts von den versprochenen sieben Milliarden DM Entschädigungen für Fremdarbeiter veruntreuen konnte, weil die ja noch gar nicht gezahlt worden seien, rief nur den heftigen Unwillen des Publikums hervor. Dann wiederum war es ganz happy, als es hörte, aus der Tatsache, dass es Antisemitismus gibt, könne noch nicht abgeleitet werden, dass alle Deutschen Antisemiten seien. Ein Problem offensichtlich, mit dem das Publikum ununterbrochen zu kämpfen scheint, und weshalb es sich in deutsch-jüdischen Vereinen engagiert, um sich gegenseitig den Finger in die Wunde zu legen.

Zwischendrin bat der Moderator Johannes Willms um Mäßigung, es sei doch das Fernsehen anwesend. Eine immerhin sehr süße und pantoffelige Kritik, die sich wohltuend von der Hysterie abhob, die im Saal vor sich hin köchelte. Dann graste Finkelstein wieder einen Allgemeinplatz nach dem anderen ab mit so umwerfenden Erkenntnissen wie der, dass man selbständig denken müsse, wenn man gegen Antisemitismus sei, dass er - ganz Klassenstreber - Raul Hilberg dreimal gelesen habe und dass er die Deutschen dafür bewundere, wie toll sie ihre Vergangenheit aufgearbeitet hätten. Das gefiel dem Publikum, während die Bemerkung - immerhin die beste an diesem Abend -, Veruntreuung solcher Gelder wäre nun mal eine Angelegenheit, die überall vorkäme, wie man bei den Vertriebenenverbänden gesehen habe, Zeter- und-Mordio-Schreie provozierte. Als sich das traurige Palaver dem Ende zuneigte, wurde noch einmal im Saal die Regie übernommen, als einige junge Menschen zwei Transparente entrollten, auf denen u.a. stand "Holocaust-Industrie = Siemens, Deutsche Bank, IG Farben", ein Hinweis, der immerhin an den Ausgangspunkt erinnerte, nunmehr allerdings den Adrenalinspiegel zweier Nazis ansteigen ließ, die mit Hitler-Gruß etwas skandierten, das sich nach "Freiheit/Nation" anhörte, wofür einer von beiden sich redlich einen heftigen Faustschlag verdiente und zwar dorthin, wo ihm dieser Brei entquoll.

Aber diese beiden waren eigentlich nicht nötig, um deutlich zu machen, welches Publikum vor allem Finkelsteins Thesen goutiert. "We have to trust in the judgement of the ordinary people", schlusswortete Finkelstein denn auch weise. Der Zuspruch des Mobs ist ihm gewiss, wie auf der Veranstaltung deutlich wurde. Das verwundert nicht, interessant hingegen wird es, wenn sich die Intellektuellen seiner Thesen annehmen und anfangen, solche Leuten wie Finkelstein zu hofieren. Und auch dies konnte man an diesem Abend beobachten, denn wie anders lässt es sich erklären, dass alle drei Podiumsteilnehmer ohne Not voll des Lobes über den "Mut" Finkelsteins waren, nach Deutschland zu kommen und sich der Debatte zu stellen und erklärten, wie toll man es fand, dass Finkelstein mit seinem Buch "den Finger in die Wunde" gelegt hätte. Damit jedenfalls wurde bereits der Tenor angeschlagen, der in der nun folgenden Debatte zu erwarten ist. Und die wird ähnlich verlaufen wie damals bei John Sack, dem man auch durchaus erwägenswerte und ehrenwerte Motive bei seiner These unterstellte, die in Gefangenschaft geratenen Deutschen in Polen nach dem Ende des Krieges wären von den Juden nicht anders behandelt worden als die Juden vorher von den Deutschen in Auschwitz. Solche jüdischen Selbstbezichtigungen lindern doch etwas den Schmerz, der schon so lange auf den deutschen Seelen lastet.

Klaus Bittermann

Mit freundlicher Genehmigung des Autors der "jungen Welt" vom 9.2.entnommen. Klaus Bittermann betreibt in Berlin den Tiamat Verlag.

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