Kommentar

... des Lied ich sing

Kaum hat man mal was gegen Pestizide gesagt, schon vermutet der KollegInnen- und Bekanntenkreis, man stehe den Grünen nahe. Kann es einen abwegigeren Gedanken geben? Bei keiner Partei ist die Schamgrenze so tief gesunken, keine biedert sich so willig als Büttel des Kapitals an, wie Bündnis 90/ die Grünen. Wenn’s um praktische Politik geht, ruhen die Anliegen des Umweltschutzes bei der CDU noch in besseren Händen als bei den rhetorischen Nebelwerfern von Trittin bis Voigt. Aber niemand merkt’s. Niemand?

Eben doch! Ein kleiner, unbeugsamer Kreis von Spitzenkapitalisten spendet Lob für die Dilettanten-Minister. Die Zeitschrift "Capital" nennt den rot-grünen Atomausstieg "angeblich", und das Deutsche Atomforum meint noch deutlicher, es sei gar keiner, "auch wenn andere das so deuten", sondern die langfristige Absicherung des Betriebs "unserer Kernkraftwerke" und deren planmäßige Entsorgung. Wo nun der erste Castor-Transport unter Trittin ansteht, souffliert Gert Maichel, Präsident dieses Atomforums: "Das ernsthafte Bemühen der Bundesregierung, eine Verstopfung der Kraftwerke zu vermeiden, ist anzuerkennen," nicht ohne im Nachsatz milde zu kritisieren: "...aber eine ad-hoc-Politik durch Entscheidungen in letzter Minute ersetzt keine langfristigen Planungsperspektiven." Der grüne Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz rechtfertigt sich: "Wir haben im vergangenen Jahr 18 Genehmigungen für Atomtransporte zu den WAAs ... erteilt". Umweltminister Trittin will sich auch nichts nachsagen lassen und fordert die niedersächsische Landesregierung auf, "sich mit ihrer Ablehnung von Castor-Transporten... nicht zu weit aus dem Fenster zu hängen", denn wer sich aus dem Fenster hängt, gerät in Verdacht, mit Leuten gemeinsame Sache zu machen, die nicht nur gewaltfrei gegen Atomtransporte vorgehen wollen, und deshalb hält er "auch friedliche Proteste nicht für klug". Darauf haben alle gewartet, die Umweltschutz irgendwie mit den Grünen assoziieren. Aber waren die 97 beim letzten Castor-Transport?

Der Landesverband S-H hatte damals Repräsentanten in Polizeikasernen entsandt, um den Beamten seine Solidarität zu versichern. Was also ändert sich groß, wenn derselbe Landesverband heute beschließt, sich nicht an Blockaden zu beteiligen - genau wie es der GdP-Vorsitzende Freiberg verlangt hatte? Und es für nötig hält, die Verfassungsmäßigkeit von friedlichen Protesten zu rechtfertigen, die selbst die CDU nicht in Zweifel zieht? Die offene Frage dieses Castor-Transportes Ende März wird sein: Gibt es noch irgendein Klientel, bei dem der rhetorische Spagat zwischen "Wir sind Teil der Anti-AKW-Bewegung" und "die Transporte sind notwendig und unabweisbar" verfängt? Polizeigewerkschafter Freiberg glaubt schon, "daß der Anteil der Leute, die an Demonstrationen teilnehmen, geringer sein wird als vorher".

Energie-Staatssekretär Voigt will die Aufmerksamkeit von den Castor-Transporten (sicherheitstechnisch "kein Problem") auf die Standort-Zwischenlager ("dasselbe Risikopotential wie ein Atomkraftwerk") lenken. Die waren - schon vergessen? - eine Idee seines Parteifreundes Trittin! Von "Zerreißprobe" (Parteichef Kuhn) in der Tat keine Spur, der Spagat ist Programm. Wohin man auch blickt: Altautoverordnung, Küstenschutz, Naturschutzgesetznovelle, Sommersmogverordnung, Atomausstieg: Vokabeln, die vernebeln sollen, daß hier Kapitalinteressen und nicht Umweltschutz die grüne Politik bestimmen. Wenn Künasts Umbau der Agrarindustrie zur Ökolandwirtschaft genauso prinzipienfest umgesetzt wird, werden zumindest die Gentechnik- und Chemiemultis daraus gestärkt hervorgehen.

(BG)

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