LOKALberichte

Big Eighties

Human Touch in der LinX - Kneipengespräche mit interessanten KielerInnen: ab jetzt in loser Folge in der neuen Rubrik LOKALberichte.

Folgendes Gespräch fand in "The Hanging Garden" in der Waitzstraße statt. Ein Laden für diejenigen, die dem "Subway", dem "Marble Arch" und der "Sklavenbar" nachtrauern und ein gemischtes Publikum zu schätzen wissen.

cs sprach und trank mit T., heutiger Büromensch, Ex-Punk, Ex-Mitglied der Meierei-Konzertgruppe, organisiert bei KAGON, über linke Politik und Kultur im Kiel der 80er

cs: Tja, T., wir sitzen ja hier nun in einer Kneipe, die von der Musik und teilweise von der Einrichtung sehr 80er-Jahre-lastig ist. Inwieweit haben Dich die 80er kulturell und politisch hier in Kiel geprägt?

T.: Klar hat mich die Zeit geprägt. Ende der 70er hatte ich die ersten Anflüge von Punk in Kiel kennengelernt und, habe mir, wie man es damals so machte, Gitarre und Verstärker gekauft und eine Punkband gegründet. Das war zusammen mit New Wave eben die wichtigste kulturelle Strömung. Das Ganze ging nicht unbedingt zwingend mit einer theoretisch fundierten, politischen Ausrichtung einher. Außer dass man nicht zu den Poppern oder den Teddyboys, die als irgendwie rechts galten, gehören wollte. Als gerade flügge werdender Endteenie hatte man auch so genug Sorgen, mit der Welt zurecht zukommen. Und unsere Texte darüber, wie scheiße die Welt ist, und diese ganze Abwehrhaltung - "Don't know what I want, but I know how to get it" - passten da ganz gut ... Wie schnell man damit an Grenzen stieß, merkte ich, als es die Abiturzeugnisse gab, und ich mich in meinem "Siouxie and the Banshees"-T-Shirt unversehens unter lauter Anzugträgern wiederfand. Für die Szene um den ab 79 besetzten Sophienhof war ich noch etwas jung, aber ich sympathisierte damit. Und als meine Band "Standard of Living" - als Zugeständnis an New Wave nannten wir uns später "Der Lebensstandard" - dort spielen sollte, war das für uns schon ein Highlight.

cs.: War der Sophienhof für Dich so etwas wie ein Scharnier zwischen Deinen subkulturellen Ambitionen - Punk machen - und einer beginnenden Politisierung?

T.: Das gehörte sicherlich zusammen. Schon durch diese Frontstellung, nebenan der Konsumbunker Hertie, und hier der marode Charme von Besetzer-Kneipe, BI- und Infoladen usw. . Und die Demos anlässlich bevorstehender Räumungen waren einfach Pflichttermine ... Wenn ich - etwa im Häuserfilm - jetzt sehe, was damals ganz selbstverständlich möglich war, mal eben die gesamte Innenstadt zu blockieren, wird's mir auf der einen Seite schon immer wieder warm ums Herz. Andererseits die ganzen internen Widersprüche, den Mist mit den harten Drogen, will ich nicht beschönigen. Bei späteren Besetzungen wurde ja auch darauf geachtet, das zu vermeiden.

cs: Du hast ja damals auch ein Fanzine herausgegeben ...

T.: Ja, es gab schon so etwas wie eine Fanzine-Szene in Kiel. Eine wichtige Rolle spielte dabei der Plattenladen "Tuttifrutti" in der Waitzstraße. Aber in unserem Fanzine "Kielling Joke" brachten wir dann neben Konzertberichten eben auch immer etwas zum Häuserkampf in Kiel.

cs: Stellte die Räumung des Sophienhofs, das Ende dieses Projekts von Alternativkultur, eine Zäsur für dich dar?

T.: Wie gesagt, ich verstand mich damals als Punk, und das war in erster Linie ein Gruppengefühl. Ich habe genug Leute aus dieser Szene bei Sekten, Esoterikern, im Polizeidienst oder bei Faschos landen sehen. Mein Linkssein war auch erstmal eher emotional denn theoretisch fundiert. Nach der für mich irgendwie doch plötzlichen Räumung, der Wut darüber und dem direkten Erleben von Staatsmacht einerseits und Ohnmacht anderseits, war mir dann jedoch klar, das es in dieser Richtung weitergehen musste.

cs: Eines der sog. Ersatzobjekte, die die Stadt Kiel dem harten Kern der SophienhofbesetzerInnen zur Verfügung stellte, war die Alte Meierei, die sich relativ schnell zu einem wichtigen Auftrittsort für Punkgruppen entwickelte. Ein Bezugspunkt für Dich?

T.: Als die alte Konzertgruppe auseinanderbrach, wurde ich, der damals im Kulturbereich der Pumpe arbeitete, von Meierei-Leuten zum Einsteigen überredet. Wir hatten zwei Hauptziele: Erstens sollte sich die Meierei öffnen, raus aus dieser etwas finsteren Anarcho-Punk-Ecke kommen, und zweitens wollten wir eine politische Konzertgruppe sein. Diesem Anspruch trugen wir Rechnung durch die gute Vernetzung mit dem explizit politischen Projekt "Merhaba". So haben wir auch die Volxküchen-Idee vom "Merhaba" übernommen und Termine für Demos etc. auch den Meierei-Gästen bekanntgegeben. Ganz konkrete Antifa-Arbeit leisteten wir mit den Meierei-BewohnerInnen und anderen Sympis, als die Meierei Anfang der 90er zeitweilig bevorzugtes Angriffsziel von Faschos wurde.

cs: Wie beurteilst du rückblickend die Arbeit der Konzertgruppe?

T.: Uns kamen von vornherein gute Kontakte in die Bandszenen von hier bis nach Amerika zu Gute. Ich denke schon, dass wir das Kulturleben Kiels deutlich belebt haben.

cs: Oh ja, das legendäre "Chumbawamba"-Konzert Mitte der Neunziger ...

T.: Allerdings - auch wenn ich während des Konzertes nur damit beschäftigt war, nicht noch mehr Leute in die schon heillos überfüllte Halle zu lassen. Aber Highlights gab es einige: "Leather Face" oder nicht zu vergessen "Missing Foundation", die den Schuppen beinahe abgefackelt hätten. Witzig auch, wenn ich jetzt daran denke, dass wir mal ein Tape einer völlig unbekannten Ami-Band bekamen, das uns aber zu schlecht war, um die Band zu engagieren. Die Gruppe hieß "Green Day" ...

cs: Zur Hoch- und später dann Endzeit des "Merhabas" gab es ja mit der Autonomen Infogruppe eine nicht ganz unwichtige Politgruppe. Warum wurde damals KAGON gegründet?

T.: Das hing vor allem mit dem Platzhirschentum in diesem Spektrum zusammen. Es gab einige, die die Szene dominierten, und andere, die sich deutlicher mit eigenen Positionen einbringen wollten. Und dazu ist heute wie damals der Aufbau einer Gruppenstruktur das beste Mittel, um in der politischen Diskussion eine wahrnehmbare Stimme zu haben.

cs: Wolltest du auch wieder eine Öffnung, wie du sie ja mit der Meierei-Arbeit angestrebt hast?

T.: Also, wir waren gewiss nie die Oberdogmaten. Ein wichtiges Projekt von KAGON war nach dem Abriss des "Merhaba" das Anschieben des Infoladens "Beau Rivage". Ansonsten prägten die erste Zeit Aktionen zur Wohnraumpolitik, das Bemühen um ein Ini-Zentrum in der Sternschule sowie Geschichtsaufarbeitung. Mir ging es auch immer um eine Szene, deren Anliegen nach außen vermittelbar sind, die nicht nur um sich selbst kreist und etwas zu bewegen vermag. Mit den Kompromissen, die ich wie andere im Lebensentwurf im Gegensatz zur Sicherheitsnadel-Zeit eingegangen sind, haben sich viele sicherlich auch mehr in die Gesellschaft hinein bewegt, als dies in den 80ern autonome Zielvorstellung war. Aber Zeiten wie persönliche Verhältnisse und Bedürfnisse haben sich natürlich geändert, und wer nicht nur nörgelnd abseits stehen will, sondern immer noch was verändern möchte, sollte versuchen, zwischen revolutionären Idealen und pragmatischem Reformismus einen Weg zu finden.

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