Internationales

Luftangriff auf Bagdad:

Bomben-Stimmung an der Wall Street

Angetrieben durch die Implosion der Dotcom-Aktien (d.h. die Papiere der Internet-Unternehmen, LinX) und des beschleunigten Niedergangs von Nortel Networks Corporation, dem Weltführer bei optischen Glasfasern, sind am 16.2. die Technologie-Werte an der Wall Street im hektischen Handel zusammengebrochen. Der NASDAQ-Aktienindex ging um mehr als fünf Prozent auf ein Rekordtief zurück.

Aber es hätte viel schlimmer kommen können. Haben vielleicht die Bomben auf Bagdad Wall Street aus dem Gefahrenbereich gezogen? Sie haben. Mehr noch: Sie haben Milliarden Dollar in die tiefen Taschen der Rüstungs- und Erdölindustrie gespült.

Warnungen von der Wall Street

In den Tagen vor dem Beinahe-Zusammenbruch am 16. Februar hatten Börsen-Analytiker vor einem worst-case-Szenario gewarnt: Technologie-Aktien seien extrem überbewertet.

Aber an jenem Tag um 13 Uhr, wenige Stunden vor Börsenschluss in New York, bombardierten britische und amerikanische Flugzeuge Bagdad. Das Pentagon beschreibt die Aktion als "eine Routine-Mission der Selbstverteidigung".

Selbstverteidigung? Die US-Medien applaudierten. An der Wall Street applaudierten die Broker nicht nur, sie atmeten erleichtert auf. In einer grausamen Ironie hatten die Bombenangriffe ihnen den Tag gerettet. Oder wie ein britischer Finanzanalytiker zufrieden feststellte: " ... der amerikanische Markt ist nicht zusammengebrochen. Die Kurse sind nicht abgestürzt. der Rückgang betrug weniger als einen Prozent. Es war ein ganz gewöhnlicher Tag - wenn man nicht gerade in Bagdad lebte." (1)

Zwischenzeitlich, während Telekommunikations- und Computer-Aktien in einer Flaute vor sich hindümpeln, arbeiten Finanz- und Verteidigungsanalytiker hart daran, das "Vertrauen in die Aktienmärkte" wieder herzustellen: "Die Kriegstechnologie-Produzenten der Nation verbrachten zusammen mit Wall Street-Analysten und Industrieberatern eine Woche damit, herumzuprahlen, was für neue Möglichkeiten sich bieten und wie wahrscheinlich Änderungen in der Politik des Pentagons sind, die nach 15 Jahren knapper Budgets Wachstum bringen würden. Mehr noch, Verteidigungs- und Luftfahrtwerte schlossen im Plus ab, stiegen inmitten eines breiten Niedergangs, nach dem 24 US-amerikanische und britische Kampfflugzeuge militärische Ziele mit verschiedenen weitreichenden Präzisions-Lenkwaffen angriffen." (2)

In den letzten Handelsstunden des 16. schraubten sich Verteidigungsaktien nach oben, boomten Öl- und Energiewerte, nach dem Nachrichten die Runde machten, die irakische Ölindustrie könnte betroffen sein. Die Aktienwerte von Exxon, Chevron und Texaco schossen in die Höhe. Harken Energy Corporation, bei der George W. Bush als Direktor und Berater gearbeitet hatte, bevor er in die Politik ging, hatte bei Handelsschluss um 5,4% zugelegt. Zufälliger Weise spielt Harken Energy eine Schlüsselrolle im kolumbianischen Öl (wobei ein etliche Mio. US$ schweres Militärhilfe-Packet, der "Kolumbien-Plan", in Reichweite ist, das seine Investitionen schützen soll.) Harken Energy Spitzenmanager Mikel Faulkner ist ein früherer Geschäftspartner von George W.

Kurseinbrüche

Bereits am Abend des 15. war nach Börsenschluss für den 16. ein Kurseinbruch vorausgesagt worden. Börsenanalysten sprachen in den Abendnachrichten davon, dass eine größere "Korrektur" bei den Technologiewerten "unvermeidlich" sei. Die Finanzpresse hatte bereits darauf hingewiesen, dass auch die US-Verteidigungsindustrie betroffen sein könnte, wenn die neue Bush-Regierung bei der militärischen Beschaffung kürzen würde.

Einige Tage zuvor hatte Lockheed Martin (LMT), der größte Rüstungsbetrieb der USA, Rationalisierungen in seiner Satellitenabteilung angekündigt. Grund: "schwache Nachfrage" bei kommerziellen Satelliten. Ein Konzernsprecher hatte der Wall Street versichert, dass Lockheed "auf dem richtigen Weg" sei, in dem es finanzielle Ressourcen aus dem problembehafteten kommerziellen, d.h. zivilen, Unternehmen abzieht und statt dessen in die lukrative Produktion fortgeschrittener Waffensysteme steckt.

Seit Wochen haben Lobbyisten der Rüstungsindustrie die neue Regierung bearbeitet. Am Dienstag, dem 12. Februar, versprach Bush dann, das basierend auf "einer umfassenden Bestandsaufnahme des Militärs" die Verteidigungsausgaben angehoben würden. Die "New York Times" zitiert ihn am 12.2.: "Er wolle mit der Pentagon-Orthodoxie brechen und ‘eine neue Architektur für die Verteidigung Amerikas und unserer Verbündeten’ schaffen. Zu diesem Zweck solle in neue Technologien und Waffensysteme investiert werden, anstatt nur ein paar ‘marginale Verbesserungen’ an Systemen anzubringen, in die Amerikas Waffenindustrie bereits Milliarden Dollars investiert hat."

Am 14. bestätigte er "einen Anstieg des Pentagon-Haushalts in Höhe von 2,6 Mrd. US$ für Erforschung und Entwicklung neuer Waffen." (3) Zwei Tage später wurde Bagdad bombardiert.

bild: noalpl.jpg

Die Angriffe waren ein Signal an die Wall Street, dass Bushs Versprechen, "die Verteidigung der Nation zu revitalisieren" ernst genommen werden sollten. Hätte die Bush-Regierung anders entschieden, hätte der Kurs Lockheed Martins an der New Yorker Börse sehr wohl das gleiche Schicksal wie der Nortels erfahren können. Doch während die (zivilen) Technologietitel des NASDAQs einbrachen, schloss Lockheed Martin mit komfortablen plus 1,6%.

Währenddessen, der Bau des 60 Mrd. US$ kostenden F-22 Raptor High-tech-Kampfjet bei Lockheed Martin Marietta in Georgia war bereits beschlossen und wartete nur noch auf die abschließende Bestätigung der Regierung: "Verteidigungsminister Donald Rumsfeld war bereits ein Anwalt des F-22, bevor er in Bushs Mannschaft eintrat und Lockheed-Sprecher zeigten sich am Donnerstag (am 15., einen Tag vor den Angriffen, der Autor) zuversichtlich, dass Rumsfeld das technisch fortgeschrittene Flugzeug unterstützen wird." (4)

Die Nachricht für die Finanzmärkte war kristallklar: Während "zivile" Technologietitel wie Nortel, Dell Computers und Hewlett Packard in "Bärenstimmung" abtauchten, blieben die Papiere der Verteidigungsindustrie — einschließlich Boeing, General Dynamics, Lockheed Martin, Northrop-Grumman und Raytheon (die "Großen Fünf" Rüstungslieferanten) — "sicher" und "vielversprechend", d.h. "eine gute Adresse für Anleger". Wall Street-Analysten schlossen ohne mit der Wimper zu zucken: "angesichts der Bedeutung, die die Bush-Regierung der Verteidigung beimisst, gibt es Optimismus, dass die Industrie auf dem Wege ist, den Markt auch in diesem Jahr zu überflügeln." (5)

Entsprechend macht eine neue Faustregel an der Wall Street die Runde: Trotz der Verlangsamung der US-Wirtschaft bilden Rüstungsaktien "einen ruhigen Hafen, der Schutz bietet vor der Implosion des Internetmarktes". Oder allgemeiner ausgedrückt: Die Annahmen, die dem neuen Verteidigungskonzept der Bush-Regierung zu Grunde liegen, werden als "gut fürs Geschäft" angesehen. Kein Wunder also, dass Pensionsfonds und institutionelle Anleger eifrig ihre Aktienbestände umschichten!

Neue Weltordnung

Krieg und Globalisierung gehen Hand in Hand. Militarisierung ist ein integraler Bestandteil der neoliberalen Tagesordnung. Das Aufstocken des Verteidigungsetats dient dem Aufpäppeln der "Großen Fünf" US-Rüstungskonzerne, während für zivile Programme wie Gesundheit, Bildung oder Sozialhilfe - ganz zu schweigen von Amerikas zerfallender städtischer Infrastruktur - keine Mittel vorhanden sind. Während die Rüstungsproduktion brummt, hat die Rezession andere Sektoren der US-Wirtschaft, jene, die "zivile" Konsumgüter und Dienstleistungen herstellt, längst erreicht. Im Inland hängt die US-Wirtschaft im wachsenden Maße vom militärisch-industriellem Komplex und der Produktion von Luxusgütern (Reisen, Freizeitindustrie, Luxusautos etc.) ab. Dem Finanzestablishment ist das ganz recht; mit den Bedürfnissen der gewöhnlichen Menschen hat das nichts zu tun.

bild: ramadan.jpg

Eine Bombe, die 1999 im Fastenmonat Ramadan über dem Irak abgerufen wurde. Aufschrift: "Hier ist ein Ramadan-Geschenk"

Die Bombenangriffe auf Bagdad sollten sicherlich jene Staaten einschüchtern, die sich für ein Ende der Sanktionen einsetzen. Allgemeiner lässt sich jedoch sagen, dass "Raketen-Diplomatie" eingesetzt wird, Amerikas politische und wirtschaftliche Dominanz durchzusetzen unter der Maske dessen, was euphemistisch "freier Markt" genannt wird.

"Die versteckte Hand des Marktes kann nicht ohne die versteckte Faust wirken. McDonald’s kann nicht ohne McDonnell Douglas, dem Konstrukteur des F-15-Bombers, gedeihen." (6)

Und Amerikas Kriegsmaschine ist es gewohnt, die Eroberungen neuer ökonomischer Herausforderungen abzusichern. Im Nahen Osten, auf dem Balkan, in Zentralasien: Das US-Militär positioniert sich nicht nur direkt und mittels der NATO, um den Interessen anglo-amerikanischer Ölkonzerne zu dienen, die mit Rüstungsbetrieben Hand in Hand in lukrativen Gemeinschaftsunternehmen arbeiten, sondern auch, um die ehemalige Sowjetunion und asiatische Länder weiter zu kolonisieren. Währenddessen leiten steigende Rüstungsausgaben Ressourcen in den militärisch-industriellen Komplex um - auf Kosten ziviler Bedürfnisse.

(Michel Chossudovsky) Anmerkungen:

© Copyright by Michel Chossudovsky, Ottawa, February 2001. Der Autor ist Prof. für Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Ottawa, Kanada, und hat gerade das Buch "Globalisation of Poverty" (Globalisierung der Armut) veröffentlicht. Übersetzung: (wop). Das englische Original findet sich im Internet unter http://emperors-clothes.com/articles/choss/bombs.htm

LinX-Startseite