Internationales

China:

Kapitalistische Modernisierung

Chinas Premier Zhu Rongji hat sich Großes vorgenommen. Um sieben Prozent jährlich soll in den nächsten fünf Jahren die Wirtschaft der Volksrepublik wachsen. Bis zum Jahre 2010 hofft er eine Verdoppelung des Bruttoinlandproduktes (BIP) zu erreichen. Das sind die Eckdaten des Entwurfs des neuen Fünfjahresplans bis 2005, den Zhu am Montag letzter Woche dem chinesischen Parlament vorstellte.

Mit sozialistischer Planwirtschaft hat das Ganze allerdings bestenfalls noch dem Namen nach zu tun. Hat schon im zurückliegenden Jahrzehnt die private Wirtschaft die Oberhand über die Betriebe in staatlicher oder kommunaler Verwaltung bekommen, so erfolgt inzwischen auch die Wirtschaftslenkung mit ganz schnöden keynsianischen Mitteln, die das Herz jedes Sozialdemokraten erfreuen würden, wären diese nicht längst ins neoliberale Boot gewechselt.

Erreicht werden sollen die ehrgeizigen Ziele mit weiteren umfangreichen öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur und dem Ankurbeln des privaten Konsums. Letzterer war in den vergangenen Jahren aufgrund unsicherer Aussichten eher Verhalten ausgefallen. U.a. sollen für weitere 150 Mrd. Yuan (ca. 19 Mrd. Euro, 40 Mrd. DM) Staatsanleihen ausgegeben werden, um die Infrastruktur in den westlichen Provinzen aufzubauen, die weit hinter der Entwicklung der Küstenregion zurückgefallen sind. Die chinesische Führung hatte bereits im vergangenen Jahr ein Langzeit-Entwicklungsprogramm für die unter drückender Armut leidenden Regionen angekündigt.

Der Preis für diese Politik wird allerdings das weitere Anwachsen der Staatsverschuldung sein. Der diesjährige Haushalt weist ein Rekorddefizit von rund 32 Mrd. Euro auf. Staatlichen Ausgaben der Regierung, der Provinzen und der lokalen Behörden in Höhe von 220 Mrd. Euro stünden, so die South China Morning Post aus Hongkong, nur erwartete Einnahmen von 188 Mrd. Euro entgegen. Die Steigerung der Verschuldung um vier Prozent bleibt allerdings deutlich hinter dem im vergangenen Jahr doppelt so schnell gewachsenen BIP zurück. Auch die Verschuldungsrate von 2,7 Prozent des BIP ist im internationalen Vergleich moderat, sodass nach Ansicht von Beobachtern China es sich noch einige weitere Jahre leisten kann, die Wirtschaft mittels Haushaltsdefizit zu stimulieren.

Das könnte durchaus auch von Nöten sein, denn das kräftige Wachstum der letzten Jahre wurde zu einem nicht unwesentlichen Teil vom Export angetrieben. Größter Abnehmer chinesischer Waren waren mit rund 22 Prozent die USA, die sich mittlerweile am Rande einer Rezession befinden. Auch von anderer Seite drohen Gefahren für den Absatz im Ausland, denn die übrigen Hauptabnehmer hängen ihrerseits im beachtlichen Ausmaße von der Entwicklung des US-amerikanischen Marktes ab. Premierminister Zhu ließ weltwirtschaftliche Aussichten allerdings unerwähnt bei der Vorstellung der Rahmenplanung.

80 Millionen Arbeitsplätze müssten geschaffen werden, um die Arbeitslosigkeit in den nächsten fünf Jahren unter fünf Prozent zu halten, so Zhu. Derzeit beträgt die offizielle Rate etwas über drei Prozent, berücksichtigt aber nicht die über 100 Millionen ländlichen Arbeitslosen. Allgemein wird erwartet, dass die Zahl der Erwerbslosen weiter zunimmt, da sich der Umstrukturierungsprozess der chinesischen Wirtschaft fortsetzt. Im vergangenen Jahr haben die staatseigenen Betriebe zwölf Millionen Menschen entlassen. Auch in diesem Jahr werden es ähnlich viele sein. Eine repräsentative Untersuchung in elf Städten hat ergeben, das rund 23 Prozent der städtischen Arbeiter in den vergangenen zwei Jahren den Arbeitsplatz verloren haben. Neue Anstellung gab es für sie, wenn überhaupt, meist nur in der Privatwirtschaft.

Weiterer Druck auf Arbeitsplätze und lokale Unternehmen erwartet man vom baldigen Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO, der das Land verstärkt ausländischer Konkurrenz aussetzen wird. Die Reformer in Chinas Führung erhoffen sich von diesem Schritt einen erhöhten Modernisierungsdruck für die eigene Wirtschaft. Premierminister Zhu drängte das Parlament, die notwendigen Gesetzesänderungen schnell zu beschließen.

Zhu stellte den Entwurf in Peking in einer Rede anlässlich der Eröffnung der diesjährigen Tagung des Nationalen Volkskongresses vor, dessen fast 3000 Abgeordnete von den Provinzparlamenten und der Armee gewählt werden. Zwischen dessen Sitzungen führt ein Ständiger Ausschuss die Geschäfte, der ebenfalls gesetzgeberische Befugnisse hat. Erst Ende Februar hatte dieser ein UN-Abkommen über soziale und kulturelle Rechte ratifiziert, allerdings eine wichtige Einschränkung bei der Koalitionsfreiheit für Arbeiter gemacht. Die werde in Übereinstimmung mit der chinesischen Verfassung und dem Arbeitsgesetz gewährt. Im Klartext heißt das, dass es auch in Zukunft keine unabhängigen Gewerkschaften gibt. Die würden schließlich auch bloß stören, wenn es gilt, der kapitalistischen Warenproduktion vollends zum Durchbruch zu verhelfen.

(wop)

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