Herr, send’ Hirn!

Fragen zu stellen scheint derzeit ziemlich hip in Deutschland zu sein. Nicht, dass gegen solch ein kollektives Trivial Pursuit grundsätzlich etwas einzuwenden wäre. "Und die Frage konkret gestellt" hieß es ja früher völlig zu recht. Die richtigen Fragen à la "Wessen Straße ist die Straße, wessen Welt ist die Welt?" werden allerdings von den beinahe identisch aussehenden smarten Anzugträgern, die auf so ziemlich jedem TV-Kanal eine Quiz-Show moderieren, kaum gestellt. (Von der immer angebrachten Frage "Sind Sie sich auch ganz sicher?" einmal abgesehen.)

Auch die Nazifrauen der "Mädelschar Deutschland", denen man ja eigentlich eher schnelle, einfache Antworten unterstellen möchte, behelligen den Besucher ihrer "Heimseite" im "Weltnetz" sofort mit einer Frage. "Was willst Du antworten, wenn Du von der nächsten Generation in einem bereits überfremdeten Deutschland die Frage gestellt bekommst, was DU getan hast, um Ihnen eine Heimat zu hinterlassen, auf die auch DEINE Kinder noch stolz sein können?"

Praktischerweise werden gleich mehrere Antwortmöglichkeiten angeboten. Allerdings aufgepasst! Entscheidet frau sich für die scheinbare naheliegende Antwort "Ich nahm immer dann, wenn mein Freund Lust hatte, an Demonstrationen teil. Ich unterstützte möglichst viele nationale Musiker finanziell durch meine Konzertbesuche, habe zu zahlreichen Kameraden/ innen Kontakt gehalten und keine Party ausgelassen", ist frau bei der Mädelschar "verkehrt". "Wenn Du aber antworten willst: "Ich war nicht nur ein Anhängsel meines Freundes sondern auch dann, wenn er keine Zeit oder Lust hatte, eine Kämpferin für Deutschland. Ich habe Einsätze und Schulungen der privaten Freizeitgestaltung vorgezogen... Dann melde Dich!" Hmm!? Heißt das etwa , dass es die bizarre Kombi selbstbewusste, sich nicht über Männer definierende Frau mit reaktionärem Bewusstsein geben kann?

Das im "Spiegel" veröffentlichte Tagebuch der Rekrutin Nancy W. legt diese Vermutung nahe. Während Nancy W. in der Nacht zum 4. Januar noch "kaum geschlafen" hat und verständlicherweise über "das Gebrüll am Morgen" sehr irritiert ist, obsiegt wenige Stunden später der Stolz über die Uniform ("endlich gehöre ich dazu"). Zweifel dann aber am 7. Januar beim Unterricht über Waffen, Kampfmittel und ihre Wirkung: "Ich will mir gar nicht vorstellen, was diese Waffen beim Menschen anrichten". Derartige Verdrängung wird mit good vibes am 15. Januar belohnt: "Ich bin stolz, dass ich mit der Waffe umgehen kann, dass es meine Waffe ist ... habe ihr einen Namen gegeben: meine Petra". Meine Fresse! möchte man da ausrufen, aber am 22. Februar, dem Ende der Grundausbildung ist alles gut: "Der Zugführer wirkt gar nicht mehr so grimmig... und es ist echt bewegend, was aus uns geworden ist: Soldaten, Kameraden, Freunde."

Solch Enthusiasmus ist deutschen Polizisten derzeit abhanden gekommen. So richtigen Bock haben zwei Hundertschaften aus Eutin nicht, den Castor zu schützen. "12 oder 13 Tage polizeiliche Schwerstarbeit" drohe den wackeren Ordnungshütern, befürchtet Einsatzleiter Jürgen Unger. Und das bei 85.000 Überstunden schon im letzten Jahr. Bei all der Misere müssen die armen Damen und Herren in Grün auch noch ihr Gerät selbst vervollkommnen. Ein Hubwagen, mit dem sich "Seiltänzer" von Oberleitungen "abräumen" oder auch "einsammeln" lassen, sei Marke Eigenbau, verkündete der Einsatzgruppenchef stolz den KN. Der "Erfinder" Thorsten Scheibner wurde für die Innovation mit einer Prämie von 1.700 DM beschenkt. Trotz solcher schlummernden Hochbegabungen in seinen Reihen stöhnt der Chef über den nahenden Fronteinsatz. Die PolizistInnen würden dabei "Grenzerfahrungen" machen. Wohl auch strahlende, denn Unger gab zu bedenken, dass man nicht alles mitmachen werde: "Wenn sich Demonstranten dem Strahlenrisiko aussetzen, klettern wir nicht hinterher, sondern warnen nur." Moment mal, Strahlenrisiko? Das soll es doch gar nicht geben, die Castoren sind doch völlig ungefährlich.

(cs/jm)

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