Betrieb & Gewerkschaft

Dot.Coms am Ende? Grund zum Jubel?

Beim zweitgrößten Internetprovider Europas — Tiscali — streikten ganze Belegschaften in Belgien und der Schweiz gegen Entlassungsplpläne. In Hamburg versucht ein Teil noch einen Betriebsrat zu gründen. Entlassungen bei allen großen e-commerce-Firmen, viele kleine gehen Pleite, Halbleiter sind gerade auch nicht das was gut läuft, selbst PCs und Handys kränkeln. Belegschaften erkennen für sich einen Wert von Betriebsräten und Gewerkschaften, Unternehmer, Banken und Medien veranstalten Kongresse, wer Schuld daran sei, dass ein künstlicher Hype entstand...

Grund zur Freude? Weil die Penner endlich lernen, was Kapitalismus ist? Weil es immer nett ist, wenns aus dem 42.Stock Aktionäre regnet? Gemach.

Auf der einen Seite: das mit dem 42.Stock müsste heute manchem konsequenten Interessensvertreter quer im Hals stecken — wären doch vielleicht gar viele seiner KollegInnen dabei... Sicher, wenn der Werbepartner der Hizbollah, Amazon-Boss Jeff Bezos, seinen 7000 Mitaktionären verbieten will, sich gewerkschaftlich zu organisieren und er das nicht mehr schafft, ist das so löblich, wie hoffentlich für ihn ärgerlich. Dasselbe gilt für Pixelpark Platinum-Leute und, und...

Andrerseits: Nicht alle - längst nicht alle - dachten, sie wären der nächste Billy the Gates. Viele der Betroffenen dachten einfach, sie könnten da anders arbeiten, mit flachen oder gar keinen Hierarchien, Projekte verfolgen etc pp. Ich denke nicht, dass dies - verglichen mit den Lobpreisungen industrieller Disziplin - ein Rückschritt ist.

(Diese - natürlich erzwungene, eingepeitschte - Disziplin als positives politisches Kapital einzuschätzen war - war? - einer der Grundfehler der verschiedenen Avantgarden der Arbeiterklasse).

Diese Vorstellungen, die ja auch Wünsche und Hoffnungen waren, gehen jetzt baden - zusammen mit Abenteuerern, wie sie schon beim DDR-Anschluss zuhauf aufgetreten waren, mit neuen Firmen, die nur aufs Netz gesetzt hatten, kein Konzept hatten als etwa "Berater" zu sein, was bestenfalls in Startzeiten gebraucht wird.

Die e-commerce-Umsätze in den USA beispielsweise - im Weihnachtsgeschäft - schlugen alle Rekorde, wer aber am meisten profitierte, waren die schlechten alten kapitalistischen Konzerne wie Walmart und Co.

Die kapitalistischen Gesetze schlagen endgültig auf die elektronische Welt durch - und damit auch auf die ganze Struktur der Netze. Grrößere Bandbreiten für den Handel, Copyright-Prozesse ohne Ende, Markennamen-Prozesse.

Für all jene, die als AOL oder T-Online Kunden zu diesem Prozess beitragen, sei ein Beispiel gegeben: Gnutella. Das dezentrale Werkzeug ist einerseits den Zensoren, aber auch den Geschäftemachern im Netz mindestens ein Dorn im Auge. Die gleichberechtigte Kommunikation mit maschinellen Hilfsmitteln (Computer eben) würde durch die "peer to peer"-Technik (p2p)1 ermöglicht: keine Zeitungen mehr, die Leserbriefe zensieren ...

Nun hat, keineswegs zufällig, die deutsche Seite gnutella.de eine Klage an den Hals bekommen und ist praktisch abgeschaltet: Ferrero hat die Justiz zum Schutz des Namens seiner braun gefärbten Tiermehlpampe herbei gerufen und die war, wie immer, willfährig. Wohl kaum, weil sie fürchteten, über diese Seite würden Nutellagläser hin und hergeschoben.

Wenn die "old economy" nun die Netze übernimmt, sollen nicht nur - wie illusionnär auch immer - Vorstellungen über anderes Arbeiten beseitigt werden, sondern auch möglichst alle Ansätze, die die Netze für wirklich freie Kommunikation bieten - und das tun sie: noch. Klassische Gewerkschaftsarbeit steht da wieder mal am Scheideweg: Hemmungslos für das Copyright (Interessensvertretung - sozialpartnerschaftlich, dienstleistend, klassenkkämpfend) eintreten und dadurch Bündnispartner für die Konzernwürger werden, oder sich was neues überlegen - eine wirklich freie Informationsstruktur erkkämpfen?

Etwa, als Diskussionsbasis, mit einem Copyright nur für kommerzielle Verwertung? Und es ist keineswegs nur der gewerkschaftliche Mainstream, der vor diesem Problem steht, die Linken stehen eben da. Nein, ein Grund zur Freude ist der Einbruch der Realität in die so genannte new economy nicht. Denn es ist der totale Einbruch des Kapitalismus und dem gehört meine Sympathie nun wirklich nicht. Höchste Zeit für jene, die diese Einstellung zum real herrschenden Kapitalismus teilen, mal den einen oder anderen Gedanken zu verschwenden auf die Verteidigung und Mitentwicklung der nicht systemkonformen - oder gar tendenziell systemsprengenden, nur kann Technologie das alleine nicht - Möglichkeiten und technologischen Bestandteile der Netze. Es gibt nicht nur die free software Bewegung - was schon einiges ist - und die p2p-Technik. Von weitem winkt der fabber (factory in a box) und spätestens da wird es auch für echte Materialisten interessant ...

(Helmut Weiss)

1 Bisher ist die Struktur des Internets insofern hierarchisch, als dass sich jeder Nutzer bei einem Server einwählen muss, der einen Knoten im Netz darstellt. Mit der in der Entwicklung befindlichen p2p-software würde es möglich werden, dass die Rechner der einzelnen User selbst wie Internetknoten funktionieren. Die Aufgabe der Server entfiele; die Kommunikation zwischen den Nutzern würde technisch direkter und weniger kontrollierbar. Eine Bedingung sind allerdings lange bzw. permanente Online-Zeiten der Rechner der Nutzer.

www.mek-software.de - Mobiles Einsatzkommando Software - die offene Arbeitsgemeinschaft von ver.di Dortmund für Beschäftigte, Studierende, Herumtreibende und Interessierte in IT, MM und new economy.

Dies ist die 19. Folge aus der Aldous Huxley Revival-Serie Brave new world, die der Autor in unregelmmäßigen Abständen im LabourNet Germany (http://www.labournet.de) veröffentlicht.

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