Internationales

200.000 feiern Zapatistas in Ciudad de Mexico

Friedensmarsch der EZLN endet in der Hauptstadt ohne greifbare Zugeständnisse der neuen Regierung

Sie schien schon fast von der Bildfläche verschwunden, ihr Ende in Selbstauflösung unvermeidbar, wie von ihren Gegnern immer wieder vorhergesagt - nachdem die neue, konservative Regierung unter Präsident Vicente Fox 100 Tage im Amt ist, hat die EZLN ihre Lebendigkeit und Notwendigkeit für die Entwicklung Mexikos eindrucksvoll unter Beweis gestellt. 24 Comandantes, unter ihnen der legendäre "Subcomandante Marcos", und über 1000 Anhänger des "Zapatistischen nationalen Befreiungsheeres" (darunter auch 280 ItalienerInnen in weißen Overalls mit dem Schriftzug "Ya basta!") gelangten am 12. März nach 16 Tagen Marsch mit Lastwagen, Bussen und Pick-ups von San Cristóbal de las Casas aus den Bergen von Chiapas in die mexikanische Hauptstadt, vermummt, aber unbewaffnet, um den Dialog mit dem Parlament nach langer Unterbrechung wieder aufzunehmen und ihren drei zentralen Forderungen für einen Friedensvertrag Nachdruck zu verleihen:

Bei ihrer Ankunft wurden sie im Stadion von Xochimilco zunächst von 75.000 Menschen begrüßt. Bei der Abschlußkundgebung auf dem Zócalo im Zentrum von Mexiko-Stadt wuchs die Menschenmenge auf gut 200.000 an, die die Zapatistas frenetisch hochleben ließen. Präsident Fox, ein gewiefter Demagoge, reklamierte Urheberrechte an der überraschenden Friedensinitiative der EZLN: "Dies ist der Beginn des Dialogs, auf den wir Mexikaner so gespannt gewartet haben" und "Willkommen, Subcomandante Marcos, in der politischen Arena!" rief er, als habe er die Gäste höchstpersönlich eingeladen. Eigentlich wollten die Comandantes vor dem gesamten Kongress sprechen. Angeboten wurde ihnen eine Delegation von 20 Kongreßabgeordneten, um über die "Zusammenarbeit" bei einem Gesetz zu reden, das die Rechte der indianischen Bevölkerung stärken soll. Die Zapatisten lehnten dieses "beleidigende Angebot" ab. Marcos meinte, einige konservative Gruppen verwechselten wohl das Parlament mit einem exklusiven Club mit Türsteher. Am 23. März zog sich die EZLN ohne Dialog wieder aus Mexico D.F. zurück.

Wir Europäer könnten uns sicher nur schwer vorstellen, die IRA würde unbewaffnet unter dem Beifall zehntausender Menschen in London einmarschieren und auf dem Trafalgar Square eine Kundgebung abhalten, ohne daß alle ihre Führer auf der Stelle verhaftet oder von Scharfschützen erschossen würden. Darum müssen einige Besonderheiten der Situation in Mexiko näher beleuchtet werden.

7 Jahre Krieg "niederer Intensität"

Am 1. Januar 1994 besetzte die EZLN San Cristóbal de las Casas und drei weitere Städte im Bergland von Chiapas, am gleichen Tag tritt das Freihandelsabkommen NAFTA mit den USA und Kanada in Kraft, das den Zugang der Konzerne zu indianischem Land erleichtert. Subcomandante Marcos verliest die Erklärung "Ya Basta! - Es reicht!" Es folgt ein heftiger Bürgerkrieg, unterbrochen von zahlreichen Friedensverhandlungen und gefolgt von einer enormen Militarisierung der Provinz Chiapas. Am 16. Februar 1996 unterzeichnen Präsident Zedillo, die Zapatistas und die Parlamentskommission COCOPA das Abkommen von San Andrés über "Indigene Rechte und Kultur". Die COCOPA soll einen Gesetzentwurf vorlegen, der den indianischen Gemeinden das Eigentum an ihrem traditionell kollektiv genutzten Land sichert, autonome Schulen, Verwaltung, Wahlen und Radiosender in indianischen Sprachen (Maya) ermöglicht, sowie den "gleichberechtigten Zugang zur Verteilung des nationalen Wohlstands". Vorgelegt wird jedoch bis zum heutigen Tage nichts, stattdessen überzieht die PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution) in ihrem Wahn, ein System "perfekter Diktatur" aufgebaut zu haben, Chiapas mit einem "Krieg niederer Intensität". Das heißt, alle paar Kilometer Militärposten auf den Straßen, die Bundesarmee errichtet einen "sanitären Sperrgürtel", das Gebiet wird nach Guerilleros durchkämmt, paramilitärische Banden werden von der Regierung unterstützt, denen Hunderte zum Opfer fallen, viele Dörfer werden entvölkert, die Bewohner in die Berge vertrieben, wo sie teilweise immer noch darauf warten, dass sich das Militär aus ihren Häusern zurückzieht. Durch die Vertreibungen haben die Paramilitärs indianisches Land unter ihre Kontrolle gebracht, auf dem sie nun Exportprodukte anbauen. Zapatistische Führer werden verhaftet und zu langen Haftstrafen verurteilt, die EZLN bricht die Verhandlungen im März 1996 ab. Im gleichen Jahre veranstaltet die EZLN das erste Internationale Treffen für Menschlichkeit und gegen Neoliberalismus im Lakandonischen Urwald mit über 3000 Teilnehmern aus 54 Ländern.

Die EZLN vermeidet im weiteren Verlauf direkte Gefechte mit Regierungstruppen. Programmatisch konzentriert man sich auf die indianischen Interessen: "Es wird keinen Übergang zur Demokratie geben noch eine wirkliche Lösung der Probleme ohne die Respektierung der indianischen Völker." Die Bewaffnung der EZLN wird vorwiegend gegen die paramilitärischen Banden eingesetzt. Sporadisch meldet sich das Befreiungsheer in den Jahren 1998 bis 2000 mit Aufrufen und Volksbefragungen gegen den Ausrottungsfeldzug zu Wort.

Im Juli 2000 geschieht das Unerwartete, nach 71 Jahren Alleinherrschaft verliert die PRI die Wahlen, der Kandidat der erzkonservativen PAN (Partei der Nationalen Aktion), Vicente Fox, wird Präsident und kündigt in seinem Regierungsprogramm einen Friedensvertrag mit den indianischen Bewegungen an. Auch bei der Gouverneurswahl in Chiapas siegt der Oppositionskandidat Salazar: "Ich bin Antizapatist."

Was wollen die Zapatistas?

In ihren Erklärungen aus dem Lakandonischen Urwald und diversen Interviews wird schon seit längerem deutlich, daß die EZLN antikapitalistisch, aber nicht umstürzlerisch ist. Trotzdem will Subcomandante Marcos diese Einstellung als "revolutionär" verstanden wissen, in dem Sinne, daß die Revolution die Eroberung eines virtuellen Raumes für den freien Diskurs ist. "Wir müssen von der Identifizierung der Revolution mit der Ergreifung der Staatsmacht wegkommen" ..."Es ist nicht notwendig, die Welt zu erobern, es reicht, wenn wir sie neu schaffen." Was da geschaffen werden soll, hört auf den Namen (aufgemerkt!) "Zivilgesellschaft". Zum Neoliberalismus gibt es eine "zapatistische Alternative" mit "zivilisatorischem Charakter". Die wird "nicht nur Kriege unnötig machen, sondern auch Heere", also sich selbst, und sie wird eine Zukunft gestalten, "in der Regierungen, was auch immer ihre politische Richtung ist, einer immerwährenden und strengen Überwachung durch eine freie und demokratische Zivilgesellschaft unterstehen" (1994).

Insofern ist es gar nicht so verwunderlich, daß Marcos in einem Interview zum Jahreswechsel 2001 signalisiert: "Wir wollen ... Garantien, dass wir Teil dieses Landes sein können nach unseren eigenen Kriterien. Wir wollen keine Abspaltung oder einen eigenen Staat, und wir wollen auch nicht die Union sozialistischer Republiken Zentralamerikas aufbauen."

Comandante Esther bekräftigte das in Xochimilco: "Wir wollen keinen kleinen Laden, ein Auto oder einen Fernseher. Wir wollen die Anerkennung unserer Rechte." Subcomandante Marcos: "Mexico, wir sind nicht gekommen, um Dir zu sagen, was zu tun ist, wir kommen nicht, Dich irgendwohin zu führen, wir kommen, um Dich demütig und respektvoll zu bitten, uns zu helfen."

In diesem Moment wurde viel an die mexikanischen Rebellenführer Pancho Villa und Emiliano Zapata gedacht, die im 19. Jhd. und 1914 ebenfalls in Mexiko-Stadt einmarschiert waren - aber so etwas hatten sie damals gewiss nicht gesagt, und sie trugen Waffen.

Was will die neue Regierung?

Vicente Fox macht kein Hehl daraus, dass er als ehemaliger Coca-Cola-Manager das Unternehmerlager vertritt. Er will Mexiko den wirtschaftlichen Aufschwung bescheren, indem er das Land mit Freihandelszonen (wie im NAFTA-Abkommen geplant) überzieht, besonders in den südlichen Bundesstaaten Chiapas, Oaxaca und Guerrero, wo sich dann Billiglohnfabriken, sog. maquiladoras, ansiedeln sollen. Angeblich will er jedem einen Kleinkredit von ca. 250 DM geben zur Existenzgründung mittels eines Straßenstands. Er neigt zu vollmundigen Ankündigungen (wie etwa, den Frauenanteil in der Regierung erheblich zu erhöhen - 3 von 32 sind es geworden), gehört aber nicht zu den Hardlinern in der eigenen Partei. In der PAN gibt es auch Gouverneure, die Miniröcke wieder verbieten lassen wollen, Abtreibungen sowieso und öffentliche Küsse mit Gefängnis ahnden lassen. Die Hälfte des Kabinetts kommt aus dem Unternehmerverband, darunter besonders stark vertreten das Finanzkapital (Banken). Wie Fox selbst haben die meisten an einer US-Universität studiert und sind fest mit transnationalen Unternehmen verbunden. Generalstaatsanwalt wurde ein bekannt rechtslastiger General des Bundesheeres. Zu den Scharfmachern zählen weiterhin der chiapanekische Unternehmerverband und der Arbeitgeberverband Coparmex. Dass von den versprochenen 7 abzuziehenden Militärbasen (von insgesamt 259) bisher nur 4 aufgelöst wurden, geht hauptsächlich auf ihre Kampagne "Abzug stoppen" zurück, in der es heißt, man dürfe "die Bevölkerung nicht schutzlos dem Terror" überlassen. Im Dezember wurden 16 inhaftierte Zapatisten freigelassen, doch weitere hundert warten noch vergeblich. Trotzdem war es auch in der vergangenen Woche Fox, der bis zuletzt versuchte, den Auftritt der Zapatistas vor dem Kongress zu ermöglichen. Der Unternehmerverband lehnte das kategorisch ab. Das Verhalten von Marcos sei "stur, unreif und überheblich", Marcos sei hierher gekommen "mit drei Forderungen", nun stelle er plötzlich noch eine mehr. Der Vorsitzende der Arbeitgebervereinigung, Jorge Espina Reyes, bezeichnete die Marschierer als "unverantwortliche utopische Demagogen". Im Vorfeld hatten PAN-Politiker die Reise der EZLN als "illegal" bezeichnet und deren Verhaftung verlangt.

Subcomandante Marcos (Foto: La Jornada)
Was blieb?

Subcomandante Marcos zog ein gemischtes Resümee. Der Marsch habe erreicht, dass die öffentliche Meinung, national und international, sich mit den indigenen Bewohnern des Landes vereint habe im Kampf um die verfassungsmäßige Anerkennung ihrer Rechte und Kultur. Er bedauerte aber die Borniertheit vieler Kongressabgeordneter, die einen Dialog damit torpediert hätten. "Wir werden hier nicht Schlange stehen, um uns Eingangsstempel für die Abgabe unserer Forderungen abzuholen," begründete er die Abschlusskundgebung direkt vor dem Kongressgebäude, wo die zentralen Forderungen für die Wiederaufnahme des Dialogs so laut wiederholt wurden, dass die Abgeordneten sie nicht überhören konnten.

(bg)

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