Herr, send’ Hirn!

Menschen, die sich in den immer mehr zum Mythos verklärten Endsechzigern und frühen Siebzigern in der Rolle des Linksradikalen gefielen, ist mittlerweile so ziemlich alles zuzutrauen: Ex RAF-Mitglied Horst Mahler gibt den Nazi, Joscha Schmierer, einst KBW-Chef, plant im Außenministerium die deutsche Hegemonie in Südosteuropa, sein Dienstherr Josef Fischer äußert Verständnis für amerikanische Bomben auf den Irak und der frühere KBler Trittin verbittet sich Blockaden gegen Castor-Transporte. In diesem bunten Reigen von Verwandlungskünstlern fehlte eigentlich nur noch jemand, der sich für gottgleich hält. Doch so jemand gibt es in Gestalt des schon immer etwas spezielleren Daniel Cohn-Bendit nun auch. Dem einstigen "Dany le rouge" werden vom politischen Gegner eine angeblich bedenkliche Sexualmoral während seiner Tätigkeit als Erzieher in einem Frankfurter Kinderladen vorgeworfen. Doch Cohn-Bendit kann dies nicht erschüttern In einem Anfall monströser Selbststilisierung dröhnt er, "eine Ikone des Mai ’68" könne man nicht zerstören.

Bei so viel Opportunismus und Großkotzigkeit freut man sich doch, wenn man richtige senkrechte Revolutionäre an Orten trifft, an denen man sie am wenigsten vermutet. Da wäre z. B. der unbekannte Redakteur der Illustrierten "Bunte", der für die IN/OUT-Listen zuständig ist. "In" sei zur Zeit, so unser U-Boot im Burda Verlag, nicht nur Two-Step-Musik und Sushi-Bars sondern auch - bitte festhalten - "Widerstand". Und zwar der antifaschistische. Regensburger BürgerInnen hätten, so der wackere Journalist, so lange Druck gemacht, bis die Geschwister Scholl nicht nur mit einer kleinen Gedenktafel sondern mit einer großen Büste posthum geehrt wurden. Ein ähnlicher Kämpfer an der unsichtbaren Front muss im Softwareverlag DATA Becker zuständig für das 10-Finger-Tipp-Lernprogramm "Tipp-Topp" sein. Mit seinen Beispielsätzen, die mehrmals hintereinander anzutippen sind, leistet er vorbildliche Wühlarbeit: "Jede Klasse löse das Fell!" (Ihr habt nichts zu verlieren außer euren Ketten, nannte Friedrich Engels das damals) oder auch die kecke Aufforderung zur Vergesellschaftung "Lade alle Kaffeelöffel jedes Klasseadels!" Klar, dass der gute Mann auch davon ausgeht, dass die Revolution schon kommt, wenn es den Leuten nur schlecht genug geht: "Dieser Ausfall löse das Feuer aus." Nur mit der Israel/Palestina-Frage tut er sich - wie die meisten deutschen Linken - schwer: "Der Jude aus Israel fiel leider auf, als er auf die Ölfelder lief."

Wie dumm sind Sozialdemokraten eigentlich? Da bekommen sie die einmalige Chance, 87 Jahre nach ihrer verhängnisvollen Zustimmung zu den Kriegskrediten, diesmal etwas abgeklärter auf den (leider unberechtigten) Vorwurf, vaterlandslose Gesellen zu sein, zu reagieren und verreißen es wie immer völlig: Da sagt der unerträgliche Johannes Rau einmal in seinem Leben etwas Vernünftiges, etwas, das ausnahmsweise nicht in der Bibel steht, nämlich, dass man selbstverständlich auf so etwas wie ein Land gar nicht stolz sein könne, da wird er auch schon zurückgepfiffen und muss windelweich auf Patrioten machen. Als wenn Patriotismus irgendwie angenehmer und erträglicher als Nationalismus sei.

Apropos dumm: Woran sich manche Mitmenschen erfreuen ist schon erstaunlich. Da gibt es die RTL-Sendung "Die dümmsten Verbrecher der Welt". In einer Art Hardcore-Variante von "Pleiten, Pech und Pannen" werden Kriminelle gezeigt, die sich selbst in Kühlhäusern einsperren, mit dem Kopf in irgendwelchen Gittern hängenbleiben oder bei der Verfolgungsjagd durch die Polizei mit ihrem Wagen in die Luft fliegen Widerlich! Ganz, klar! Versöhnt wäre der Kolumnist allerdings, wenn in der nächsten Folge dieser Reihe die Bombardierung der amerikanischen Militärbasis in Kuwait durch amerikanisches Militär von Anfang März gezeigt würde. Das wäre immer noch weniger zynisch als der Titel der neuen Quiz-Show: "Der Schwächste fliegt ‘raus!" Warum nicht gleich "Darwin" oder "Selektion"?

(cs)

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