Internationales

Prager Proteste:

In einigen Fällen war es Folter

Mehr als 850 Menschen wurden im vergangenen September in Prag festgenommen, als 10.000 bis 12.000 Menschen aus aller Welt gegen die Jahrestagung der Weltbank und des Internationalen Währungsfond protestierten. Bereits als die ersten von ihnen entlassen wurden, wussten sie von am eigenen Leib erfahrenen oder beobachteten Misshandlungen zu berichten, die allem Anschein keine Ausrutscher oder Einzelfälle waren. Mitte März veröffentlichte die internationale Menschenrechtsorganisation amnesty international in London einen Bericht, in dem sie ihre fünf-monatigen Untersuchungen der Vorfälle zusammenfasst und schwere Vorwürfe gegen die tschechischen Behörden erhebt.

Nach der Sichtung zahlreicher Zeugenaussagen kommt ai zu dem Schluss, dass die große Mehrheit der Festgenommenen an keinen gewaltsamen Protesten beteiligt gewesen war. "Die Entscheidung, sie festzunehmen", heißt es in dem Bericht, "scheint willkürlich durch das Motiv der Behörden bestimmt, ihre Effektivität im Umgang mit den Protesten zu demonstrieren." Vor allem das tschechische Innenministerium hatte bereits Monate vor den Protesten über die Medien in der Bevölkerung eine regelrechte Bürgerkriegsstimmung geschürt gehabt. Als es dann in einer der fünf Marschsäulen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit einigen Hundert tschechischen und ausländischen Demonstranten kam, war das der willkommene Anlass, zur Jagd zu blasen. Ein bisschen half man auch nach: Die tschechische Menschenrechtsorganisation oph, die mit zahlreichen Beobachtern die Proteste begleitete, hat nach eigenen Angaben Video-Aufnahmen von Polizeiprovokateuren, die die nächtlichen Krawalle am Wenzelplatz, die auf die großen Demonstrationen folgten, angeheizt haben sollen.

Doch die überwiegende Mehrzahl der Festnahmen erfolgte nicht einmal während der Proteste, sondern eher zufällig in den Straßen mehr oder weniger fern ab des Geschehens. Einige der 60 Festgenommenen, von denen amnesty detaillierte Berichte vorlagen, seien lediglich aufgrund ihres Aussehens verhaftet wurden. Andere Aussagen, die die LinX bereits im Oktober (siehe LinX 21/00) veröffentlicht hatte, belegen, dass auch vollkommen unbeteiligte Passanten verhaftet und über mehr als 24 Stunden festgehalten wurden. "Allen Anschein nach erfolgte die Festnahme in der großen Mehrzahl der Fälle willkürlich und verletzte internationale Menschenrechtsstandards", heißt es im ai-Bericht.

Zitiert werden z.B. Betroffene aus Großbritannien, die sich am Abend des 26.9. auf dem Weg von einer Gaststätte zu ihrem Bus befanden, um die Heimfahrt anzutreten. Dabei seien sie auf einen Polizeibeamten gestoßen, der auf einen am Boden Liegenden einschlug, und einen anderen, der eine Frau schlug. Als eine Frau aus der Gruppe die Geschlagene anspricht, seien sie von sechs weiteren Polizisten angegriffen wurden. "Ein Beamter packte mich an der Gurgel und drückte mich gegen eine Wand", zitiert amensty Deirdre Melia, eine Frau aus der britischen Gruppe. Sieben von ihnen seien festgenommen und erst nach 32 Stunden wieder freigelassen worden.

Was dann mit vielen auf den Polizeiwachen geschah, könnte, so amnesty in vorsichtigen Worten, in einigen Fällen als Folter bezeichnet werden. In einigen Stationen hätten die Verhafteten durch Gassen von Beamten laufen müssen, die auf sie eingeschlagen haben. In einigen Fällen seien offensichtlich die Durchsuchungen auf eine bewusst entwürdigende Weise durchgeführt worden.

Unter den Zeugenaussagen, die der Bericht zitiert sich auch die Tadzio Müllers aus Deutschland, der von einer regelrechten Folterzelle berichtet: "Jeder von uns wurde in diesen Raum gebracht. Sie drückten mir den Kopf zwischen die Beine und dann trat mir ein Polizist ins Gesicht. Dann warfen sie mich auf den Boden, und traten mich dort weiter." Vier oder fünf Beamte seien daran beteiligt gewesen und hätten mehrere Minuten auf ihn eingeschlagen. Als Folge von Schlägen auf den Kopf, so amnesty, sei ihm das Trommelfell geplatzt.

Neben den Misshandlungen und der Willkür bei den Verhaftungen beklagt amnesty auch, dass den Festgenommenen Kontakt zu Angehörigen und Rechtsanwälten vorenthalten wurde. Den über 500 Ausländern unter den Betroffenen wurde nicht einmal Beistand durch ihre Botschaft ermöglicht.

Die Menschenrechtler stellen fest, dass die Misshandlungen zu früheren Berichten aus der Tschechischen Republik passen und fordern die Prager Regierung auf, den Klagen über Misshandlungen und Folter nachzugehen und unverzügliche, unparteiische Untersuchungen zu ermöglichen.

(wop)

Englisches Original des ai-Berichtes

.

LinX-Startseite