Anti-Atom

Nachlese zum Castortransport

Nach dem Castor ist vor dem Castor

Die Aktionen gegen den Castortransport vom 24. bis 29.03. waren ein voller Erfolg. Darin sind sich Anti-AKW-Bewegung, BI-Lüchow-Dannenberg und Umweltschutzverbände einig, auch wenn es am letzten Tag des Strassentransportes keinen nennenswerten Widerstand mehr gab. Viele hatten das vorausgeahnt und sich noch vorher abgeseilt: "Ich tu mir den Frust nicht an, zuzuschauen, wie der Transport ins Zwischenlager fährt".

Extreme Wetterbedingungen konnten nicht verhindern, dass zu der Auftaktdemo in Lüneburg ca. 12.000 Menschen erschienen, und dass ca. die Hälfte davon tagelang im Wendland ausharrte, z.T. in Camps bei starkem Nachtfrost, z.T. in Kirchengemeinden, Schulen, Sporthallen und privaten Unterkünften. Schon am Samstag gab es Ärger mit der Polizei, die praktisch alle geplanten Camps aufgelöst hatte. Trotzdem fanden diese ein paar Kilometer weiter statt. Von dort aus brachen kleine und große Gruppen zu Störaktionen aller Art an der Schiene auf.

Ebenfalls noch am Samstag stellten ein paar eifrige Besatzer einen "ungenehmigten Sandsacktransport" - drei Trecker, vier Anhänger. Die Bauern wurden zur Umkehr in die Scheunen gezwungen. Trotzdem sah man die Sandsäcke zwei Tage später auf einer einst belebten Dannenberger Kreuzung. Weitere Schikanen für die Bauern gab's am Sonntag. Die Stunkparade konnte erst nach erheblichen Veränderungen der Fahrstrecke abgehalten werden und nachdem die Anmelder eine schriftliche Erklärung unterschrieben hatten, dass von der Stunkparade keine Treckerblockade ausgehen würde. Später versuchten kleine, radikale Trupps von Bauern trotzdem - weit entfernt von der Stunkparade -, zwei Blockaden zu errichten. Sie wurden unter Knüppeleinsatz und mithilfe von Räumpanzern minutenschnell geräumt, wenngleich diesmal die Reifen nicht zerstochen, sondern nur die Ventile herausgedreht wurden.

Es stellte sich heraus, dass es richtig war, den Schwerpunkt auf die Schienenstrecke zu verlagern, denn erstens ist diese so lang, daß auch ein noch so großes Polizei- und BGS-Aufgebot sie nicht lückenlos überwachen kann, zweitens gibt es keinen Alternativweg zum Schienenstrang. Das bekamen die "Besatzer" besonders am Montag und Dienstag zu spüren, als es sowohl X-1000-mal-Quer als auch autonomen Gruppen immer wieder gelang, die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen und auf die Schiene zu gelangen. Überhaupt lief diesmal die X-1000-mal-Quer-Aktion wesentlich solidarischer ab als vor 4 Jahren, was nicht nur an der großen Distanz zu den anderen Camps lag.

Zwar wurden die Schienen nur an einer Stelle so beschädigt (wahrscheinlich mit Wagenhebern), dass eine Reparatur notwendig wurde, aber allein durch die große Zahl von Festnahmen legte sich der Besatzungsapparat selbst lahm. So blockierten sich der Castorzug und ein Zug zum Abtransport der Gefangenen gegenseitig. Die Kaserne Neutramm war überlaufen, die Gefangenentransporter wurden so oft angefordert, dass Gefangene manchmal überstürzt wieder aus den Wagen geworfen wurden.

Die so oft zitierten "Konfliktmanager" der Polizei, von denen sowieso kaum jemand etwas erwartet hatte, konnten oft weitab des Geschehens beobachtet werden (an der Bundesstrasse nach Uelzen z.B.), oder sie mischten sich nicht ins Geschehen ein. Das war auch rein von ihrer Anzahl nicht anders zu erwarten: Ganze 12 von über 15.000 hatten sich die rote Jacke übergezogen.

Mit fortschreitender Destabilisierung des Castor-Fahrplans wurde auch sichtbar, dass das Einsatzkonzept der Besatzer nicht anders aussah als vor vier Jahren - ein Bankrott des behaupteten Dialogs, des Konsens, des Konfliktmanagements. Und dies umsomehr, als der Anti-Atom-Widerstand weder zahlenmäßig noch aktionsmäßig unter der Trittinschen Atompolitik schwächelte.

Zahlreiche Medienvertreter, darunter auch die bewegungseigene "indymedia.org", bekamen immer wieder etwas geboten, was Nachrichtenwert hatte. Positiv wirkte sich auch aus, dass sich die Umweltschutzgruppen "Greenpeace" und "Robin Wood" diesmal handfest in die Ereignisse einmischten. Die Besetzung des Verladekrans durch Greenpeace mithilfe eines Hubwagens vor dem X-Minus-Wochenende lenkte die Aufmerksamkeit auf das Wendland und mobilisierte vielleicht noch Unentschlossene, die Hängepartie an der Jeetzelbrücke war dagegen mehr als Spendenaufruf zu verstehen. Vollends aus dem Terminplan lief der Castor-Zug aber durch die Einbetonierung der fünf Robin-Wood-AktivistInnen nahe Neetzendorf. Es geschah, was noch nie vorher geschehen war, der Zug musste im Rückwärtsgang bis Dahlenburg, das Erreichen des Verladekrans verzögerte sich um einen ganzen Tag. Dies alles ist in den Medien ausreichend beleuchtet worden.

Also alles eitel Sonnenschein? Nicht ganz. Eine Manöverkritik muss erlaubt sein. Denn die Aktionen, die den Transport tatsächlich wirkungsvoll verzögert und teuer gemacht haben, gingen ausschließlich von den so genannten "Gewaltfreien" aus. Ziemlich frustig war die Erfahrung mit Barrikadenbau auf Wald- und Schienenwegen. Obwohl technische Tipps überall zu haben waren, wie man eine Barrikade möglichst dauerhaft konstruiert, die aber mangels Zeit und Riesen-Nägeln meist nicht umgesetzt wurden, hielten auch recht solide aussehende Bollwerke den Räumfahrzeugen kaum 10 Minuten stand. Am Mittwoch hatten die Besatzer erhebliche Personalprobleme. Einerseits mussten sie - oft erfolglos - verhindern, dass in der Nähe der Einbetonierten Gruppen auf die Schiene kamen, gleichzeitig sicherten sie die Umgebung des Verladekrans in Erwartung einer Fortsetzung der Schlacht vom Vorabend, wollten aber auch den Aufbau neuer Camps an den beiden Straßenstrecken verhindern, die eigentlich an diesem Tag schon hätten passiert werden sollen. Dadurch verloren sie ein großes Stück Schiene zwischen Hitzacker und Leitstade völlig aus der Kontrolle. Gerade für dieses Stück waren die Widerstandscamps "Govelin" (also Schmessau), Nahrendorf und "Tollendorf" (Köhlingen) zuständig, wo sich eher die Gruppen aufhielten oder aufhalten sollten, die sich nicht auf Ratschläge an den Bundesumweltminister bzw. "Unter-Protest-wegtragen-lassen" beschränken wollten. Auch topographisch war dieser Bereich durch einen dichten Wald auf beiden Seiten der Schiene stark begünstigt. Trotzdem trieben sich hier über viele Stunden nur kleine Gruppen von mäßig handwerklich begabten Menschen herum, geschweige denn, dass am Mittwochabend ein Stück Schiene oder Bahndamm fehlte. Zeit und Gelegenheit wäre genug gewesen, hier ein autonomes Gegenstück zu den Sitzblockaden zu setzen, aber es geschah nichts. Wo war der autonome Widerstand? Wenn der nicht durch die kalten Nächte und die langen Fußmärsche allzufrüh schlapp gemacht hatte, bleibt mir nur eine Erklärung: Immer dort, wo auch die Besatzer waren - da rief das Abenteuer! Als die Polizei gegen Abend den Streckenabschnitt wieder in Besitz nahm, als der Reparaturtrupp in Süschendorf bei den Robin-Wood-Leuten seine Arbeit abgeschlossen hatte und der Zug aus Dahlenburg losfuhr, da war das Gleis noch in gutem Zustand, und daher erreichten die Castoren auch kurz darauf - wenn auch im Schritttempo - den Verladebahnhof.

Von diesem Moment an verstellten alle 15.000 BesatzerInnen (wenigstens einmal wollte ich darauf hinweisen, dass der Frauenanteil bei denen stetig zunimmt) die Strassen nach Gorleben: alle 2,30 Meter ein Polizist / eine Polizistin, alle 250 m ein Nachtsichtgerät! Es wäre ein Wunder gewesen, wenn unter diesen Bedingungen und bei der Eiseskälte plötzlich ein Haufen Schaufeln aus dem Hut gezaubert worden wären und im Morgengrauen ein Tunnel unter der Straße aufgetaucht wäre. Das Wunder geschah nicht. Wer von dem Aufbruch der Karawane am Donnerstag um 6 Uhr früh überrascht war, muss naiv gewesen sein. Die Besatzer hatten schlecht geschlafen, die Widerständler anscheinend besser, nämlich zu lange. Trotzdem organisierte man noch eilig, eilig eine Blockade in Laase, aber die unausgeschlafenen Ordnungshüter hatten die Faxen jetzt dicke und wollten nach Hause. Ihrem rigorosen Einsatz verdankt Einsatzleiter Reimer einen späten Triumph: 90 Minuten - Rekordzeit auf dem Strassenstück. Gleichzeitig äußerte er aber auch Bedenken und rief sogar zu Straftaten auf: "Die 50 km Gleisstrecke - das packen wir nicht noch mal. Die sprengen uns doch die Schiene weg."

Kaum war der Transport vorüber, wurden Resümees gezogen. Für die Grünen muss die Bilanz vernichtend gewesen sein. Ihre Teilhabe an den Fleischtrögen hat nicht einmal im Ansatz die Akzeptanz für die Atompolitik erhöht - im Gegenteil, die Umweltgruppen engagierten sich bei diesem Transport sogar mehr und kompromißloser als bei vorigen. Claudia Roth und Kerstin Müller, die gerne einen netten Presseauftritt im Wendland absolviert hätten, flohen sichtlich derangiert vor wütenden AtomgegnerInnen. Sie und ihre Partei sind überflüssiger als je zuvor. Nun gewinnen wieder die Scharfmacher die Oberhand, und das ist gut so, denn sie zeigen die unmaskierte Arroganz, aber auch Ohnmacht des Atomstaates: Ausnahmezustand als Normalzustand. Außerkraftsetzung von Bürgerrechten, massive Repressionen, Belagerungszustand, Bespitzelung, Provokation - genau davor hatten Anti-AKW-Gruppen schon vor 25 Jahren gewarnt. Wenn jetzt Politiker fordern, Robin Wood und Greenpeace die Gemeinnützigkeit zu entziehen und die Castor-GegnerInnen (wie auch immer man an ihre Namen gelangen will) für den Polizeieinsatz zur Kasse zu bitten, dann bestätigen sie nur, was sowieso alle annehmen: Nämlich dass Atomenergie Fakten schafft, die einen späteren Dialog nicht mehr zulassen. Und dass es ein Finanzierungsproblem gibt.

Auch in einem weiteren Punkt haben die Castor-GegnerInnen recht behalten: Nur zwei Wochen nach Gorleben rollen schon wieder Castoren von Philippsburg, evtl. Biblis und Grafenrheinfeld nach La Hague. Wir dürfen die Franzosen nicht auf unserem Müll sitzen lassen? Darum ging es natürlich und völkerrechtlich nie, sondern der Gorleben-Transport hatte eine Türöffnerfunktion, nicht um Atommüll aus Frankreich heraus-, sondern massenhaft hineinzuschaffen.

An diesen Transporten wird sich zeigen, ob die lange proklamierte Kampagne gegen Atomtransporte über einen Gorleben-Hype hinausgewachsen ist, und ob auch in Frankreich irgendeine Sensibilisierung entstanden ist, die der Umweltverschmutzung um die WAA La Hague wenigstens ein bißchen angemessen ist.

(bg)

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