Ökologie

Balkan:

Flächendeckende Verseuchung

Das von der NATO auf dem Balkan verschossene abgereicherte Uran hat offensichtlich das letzte Glied der Nahrungskette erreicht, den Menschen. Eine im Auftrag der britischen BBC vorgenommene Untersuchung im Kosovo und in Bosnien hat gezeigt, dass dort auch Zivilisten das radioaktive Schwermetall im Körper haben. Menschen aus drei Orten, einer in Bosnien, zwei in Kosovo wurden getestet, berichtete das gälische BBC-Programm für Schottland kurz vor Ostern. Bei allen Testpersonen, darunter ein einjähriges Kind, wurde abgereichertes Uran im Urin gefunden. Nach Ansicht der britischen Wissenschafter muss es durch die Nahrung aufgenommen worden sein. Laut Nick Priest, der die Untersuchung durchgeführt hat, kann es keinen Zweifel daran geben, dass die Ursache die Munition der NATO ist. Flugzeuge der Allianz haben in Bosnien 1994 und 1995 rund drei Tonnen abgereichertes Uran verschossen. Im Krieg gegen Jugoslawien 1999 waren es sogar neun Tonnen, zumeist im Kosovo. Abgereichertes Uran kommt in der Natur in dieser Form nicht vor. In einer Vergleichsgruppe mit Testpersonen, die nicht aus der Krisenregion kamen, fielen die Proben negativ aus. Die Laborarbeiten wurden am Royal Holloway College der Universität von London untersucht.

Betroffen von der radioaktiven Verseuchung scheint übrigens nicht nur das unmittelbare Kriegsgebiet zu sein. Der schottische Sunday Herold berichtete am Sonntag, dass Mazedonien in der Grenzregion zum Kosovo bereits zehn Tonnen radioaktivverseuchter Erde hat abtragen lassen. Die Tatsache, dass das radioaktive Material inzwischen in der Nahrungskette angekommen ist, könnte bedeuten, dass es für Aufräumarbeiten, wie sie vor einigen Monaten begonnen wurden, inzwischen zu spät sein könnte. Italienische Soldaten waren im Januar in Schutzanzügen an die Dekontaminierung von radioaktiv verseuchten Flächen gegangen, in deren Nachbarschaft zuvor Zivilisten 18 Monate ohne jeden Schutz gelebt hatten.

Abgereichertes Uran ist ein Abfallprodukt der Herstellung von Brennstäben für Atomkraftwerke und als solches in großer Menge verfügbar. Es wird gerne als Geschoss-Ummantelung oder auch -Kern eingesetzt, da es wesentlich schwerer als Eisen oder auch Blei ist. Diese so genannte DU-Munition trägt wegen des hohen Gewichts weiter und kann Panzerungen durchbrechen. Beim Aufprall verbrennt das Uran, wodurch sehr feine Partikel von Uranoxid entstehen, die vom Wind verweht werden können und sich in der Umgebung verteilen. Wenn es heißt, dass das abgereicherte Uran nur sehr gering strahlt, ist damit vor allem gemeint, dass die Strahlung nicht weit reicht und einfach abgeschirmt werden kann. Aufgrund der feinen Zerstäubung können die Partikel aber leicht eingeatmet werden und sich im Körper ablagern. Anfang März hatten Radiologen in Bristol, Großbritannien, den Unterschied in einem Bericht für das UN-Umweltprogramm so beschrieben: Uranmunition anzufassen ist relativ ungefährlich. Trägt man sie aber mehrere Wochen in der Hosentasche, dann kann man sich eine schwere lokale Verstrahlung einhandeln.

Um so schlimmer also, wenn das Uran pulverisiert wird und in den Körper gelangt. Dort kann die ionisierende Strahlung ungehindert ihre Wirkung entfalten. Trifft sie auf Zellkerne, so werden diese zerstört. Die Folgen können Lungenkrebs und Leukämie sein. Hinzu kommt die chemische Komponente: Wie alle Schwermetalle ist Uran hochtoxisch. Anfang des Jahres war bekannt geworden, dass inzwischen zahlreiche KFOR-Soldaten aus verschiedenen Ländern an den Folgen der DU-Munition gestorben sein könnten. U.a. starben sechs italienische Soldaten an Leukämie. Trotzdem sieht man bei der Mission der Weltgesundheitsorganisation WHO im Kosovo und der Protektorats-Verwaltung UNMIK bisher keine Veranlassung, flächendeckend die Gefährdung und Verseuchung der Zivilisten zu untersuchen. Aus Nato-Kreisen und seitens der Bundesregierung heißt es immer wieder, ein Zusammenhang zwischen den Erkrankungen und dem abgereicherten Uran sei nicht erwiesen. Das mag vom statistischen Standpunkt stimmen. Doch um den Nachweis zu führen bzw. den Zusammenhang auszuschließen, müssten repräsentative Erhebungen und Langzeitbeobachtungen angestellt werden. An beidem zeigt man bisher keinerlei Interesse.

(wop)

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