Herr send’ Hirn!

Irgendwann in den 70ern wollte das Kieler Programmkino Regina einen Film zeigen, in dem die Volksrepublik China eine zentrale Rolle spielte. Worum es da genau ging, konnte der Kolumnist bis Redaktionsschluss nicht mehr recherchieren. Anyway - Teilen der Kieler Linken, damals noch etwas größer als heute, ging die Tendenz des Films so auf den Sender, dass sie die Vorführung verhindern wollten. Es kam zu den üblichen Rangeleien mit der natürlich sofort herbeigerufenen Polizei. Angeblich soll sogar eine Pistole gezogen worden sein. Weiß der Geier, ob die ganze Aufregung einen triftigen Grund hatte oder lediglich irgendwelche durchgeknallten Maoisten Götzenschändung witterten.

Interessant jedenfalls die Tatsache, dass sich damals schon bei Ereignissen von eher geringerer Relevanz eine Menge Leute zum Reagieren bemüßigt fühlten. Heute kann sonstwas passieren, ohne dass jemand auch nur zuckt. Sonstwas ist zum Beispiel diese Wirtschaftsnachrichtensendung, die Anfang April auf NTV lief. Wie mittlerweile bei jedem Sender auch hier die obligatorische Live-Schaltung vom Studio zum so genannten Börsenexperten auf dem Frankfurter Parkett. Bei der vom Moderator gestellten Frage handelte es sich ausnahmsweise mal um eine wirklich interessante: Warum steigt der Kurs der Lufthansa-Aktie, wenn doch gleichzeitig die Pilotengewerkschaft Cockpit unter dem Motto "Top pay für top performance" einen Streik angedroht hat? Ein Widerspruch, den der Ökonomieschlaumeier nicht erklären konnte. Da aber nun mal eine Kamera auf ihn gerichtet war, führte er sich auf wie ein angetrunkener Yuppie auf einer After-Work-Party. Er zeterte über Streiks im Allgemeinen und Streiks, die den Flugverkehr behindern, im Besonderen. Mit leuchtenden Augen schwärmte er von der harten Linie eines Ronald Reagan, der Anfang der 80er einem Streik den Garaus bereitet hatte, indem er die Fluglotsen einfach rausschmeißen ließ. Genau das sei die richtige Haltung, so solle man doch in Deutschland auch endlich verfahren. Mit der Anspruchshaltung müsse jetzt Schluss sein. Hetzte pur - das volle Programm! Zu einem Handgemenge vor dem Fernsehsender kam es allerdings nicht. Rumgefuchtel mit Pistolen: Fehlanzeige. Nicht mal eine Protestnote der Gewerkschaften. Aber die haben wahrscheinlich genug zu tun mit der Frage, wie sie auf den 1. Mai-Kundgebungen Schröders Faullenzer-Gequatsche soft tadeln können, ohne ihn dabei ernsthaft zu kritisieren.

Auch bei Linken oder so genannten Linken befleißigt man sich nämlich immer noch gerne eines ganz bürgerlichen Arbeitsethos. Dem idealistischen Marx-Spruch, dass der Mensch sich über Arbeit definiere, sozusagen erst durch produktives Schaffen Mensch werde, wird nicht widersprochen. Marx hat zwar Recht, wenn er dieses Diktum auf die Arbeit jenseits der Lohnsklaverei bezieht. Allein, die existiert derzeit nicht. "Es gibt kein richtiges Leben im falschen" (Adorno). Insofern wartet man nach wie vor vergeblich auf eine linke Kampagne zum "Lob der Faulheit" (vermutlich, weil es kein gleichnamiges Brecht-Gedicht gibt, das sich auf Plakate drucken ließe). Im Gegenteil: Es wird munter (selbstausbeuterisch) weiter malocht, im Dienste der Revolution, versteht sich. LinX hier, Bündnis dort und mitten drin irgendwelche Runden Tische, an denen man Mitte der Gesellschaft spielt, um diese irgendwie "nach links zu ziehen". Löblich, klar, aber doch nicht mehr als das richtige Leben, das im falschen auch falsch wird. Auch klar: Das so zu sehen, ist nichts als ein nicht minder pseudo-revolutionäres pubertäres Slacker-Spielchen. Manchmal ist es eben links vom wirklichen Leben einfach nur noch zum Verzweifeln. (cs, jm)

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