Kultur

Interdisziplinäre Wochen an der Muthesius-Hochschule: Thomas Y. Levin über Guy Debord und das Kino

Bilder rettender Bilderstürmer

Guy Debord mochte das Kino nicht. In seinem Hauptwerk "La société du spectacle" (Die Gesellschaft des Spektakels) sah er es als Teil eines das Bewusstsein kolonisierenden Spektakels, in dem "das Kapital zu Bildern akkumuliert wird". Dennoch hat der Kopf der "Situationistischen Internationale" selbst sechs Filme gedreht. Der Literatur- und Medienwissenschaftler Thomas Y. Levin spürte in seinem Vortrag "Ciné qua non" diesem (scheinbaren) Widerspruch nach und eröffnete damit die Vortragsreihe im Rahmen der Interdisziplinären Wochen an der Muthesius-Hochschule. Unter dem Oberthema "Stadt und Körper" geht es darin bis zum 3. Mai um den sich ins Virtuelle verflüchtigenden öffentlichen Raum. Der Rückblick auf die Avantgarde der Situationisten schien auch deshalb angebracht, weil namentlich Debord zu den schärfsten Kritikern der "Verdinglichung durch Entkörperlichung" zählt.

Debord opponiert gegen das Kino als Bewusstseinsindustrie, gegen die Ablösung der Wirklichkeit durch ihre bloße Repräsentation in Bildern. Dennoch, so erläuterte Levin mit engagiertem Esprit, wollte Debord "das Medium im Medium selbst und mit den Mitteln des Mediums" kritisieren. Vor der Ausrufung der "Situationistischen Internationale" stand Debord den Lettristen nahe. Die hatten in einer Neuauflage des Dadaismus, allerdings theoretisch fundierter als dessen Protagonisten in den 20er Jahren, filmische Techniken der Dekonstruktion des Mediums entwickelt. Der Lettrist Maurice Lemaitre kompilierte in "Le film est déjà commencé" (1951) unterschiedlichstes vorgefundenes Filmmaterial. Diese Technik des "détournement", des "Verdrehens" von Bildfragmenten in einer Collage (verwandt dem heute in der Musik verbreiteten Sampling) sollte ein "Anti-Kino" begründen, in dem die Kritik des Mediums Film Bestandteil des Films ist. Debord trieb das "détournement" auf die Spitze, indem er in seinem 1952 gedrehten Film "L’anti-concept" einen weißen Ballon aufnahm, der wiederum auf einen weißen Ballon projiziert wurde. Eine radikale Reduktion der filmischen Mittel, um das Bild vor dem Zugriff der bild-lüsternen "Spektakel-Gesellschaft" zu retten.

In den 70er Jahren entwickelte Debord seine Filmtechnik weiter zu einer Art ästhetisch-theoretischem Diskurs. Anknüpfend an Sergej Eisenstein, der in den 30ern plante Karl Marx’ "Das Kapital" zu verfilmen, montierte Debord in der "Verfilmung" von "La société du spectacle" Sequenzen aus der Traumfabrik Hollywood unter anderem mit Werbefilmen und unterlegte als Soundtrack eine Lesung aus "La société". Der "Theorie-Text als Film-Praxis" entstellte damit die Bilder zur Kenntlichkeit.

Debords Arbeiten haben im Angesicht heutiger Bilderfluten im Fernsehen eine ungemeine Aktualität. So empfahl Levin am Ende seines Vortrags in Anlehnung an Debord "nur mit einem gleichzeitig aufnehmenden Videorecorder fernzusehen", um sich durch das Festhalten der sonst ins Nichts eines entleerten Bewusstseins flutenden Bilder deren "Verführung zu entziehen". (jm)

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