Betrieb und Gewerkschaft

Nachlese zum 1. Mai 2001

Das Lied vom "gerechten Lohn"

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Am 3.Mai habe ich im Gegenwind-TV an einer vom Offenen Kanal übertragenen Sendung über den 1. Mai 2001 in Kiel teilgenommen. Weitere Studiogäste waren Cord Johannsen vom BASTA-Bündnis und Horst Herchenröder, DGB-Chef Region KERN.

In den paar Minuten einer solchen Sendung lassen sich bestimmte strittige Themen nur anreißen, vieles bleibt ungesagt - nicht nur weitere Kritik, sondern notwendigerweise auch das, was es an Positivem zu vermelden gegeben hätte. Das gilt natürlich für alle Teilnehmer der Sendung. Horst Herchenröder allerdings hatte am 1. Mai als Redner die Gelegenheit, seine Ansichten zum Tage ausführlich vorzutragen. Und gerade seine Rede halte ich für kritikwürdig; mit dieser auch in der Sendung ansatzweise vorgetragenen Kritik beginnt der folgende Beitrag. Sie trifft teilweise auch auf Ausführungen des Kollegen Feddersen (ver.di) zu: Ich habe kein Verständnis

- für die Lobpreisung des Marinefetischisten und Privatisierungsspezis Norbert Gansel (bloß weil er wie jeder OB Industrieansiedlungen in "einer" Stadt fördert bzw. halten möchte - zu welchem (von den Beschäftigten zu zahlenden) Preis auch immer; sollen doch woanders Arbeitsplätze verloren gehen... (die "Konkurrenz" muß gar nicht in Schottland sitzen);

- für eine Pro-Mitbestimmungs-Kampagne, die den Unternehmern vorrechnet, wie sehr doch deutsche Betriebsräte zu ihrer Profitsicherung (gemeinhin Standort- und Wettbewerbssicherung geheißen) und zur Abwiegelung von Empörung in den Belegschaften, nämlich zur Streikvermeidung, zum "sozialen Frieden" beitragen;

- für den Stolz auf die ökonomische Kompetenz "unserer Betriebsräte", wenn er damit begründet wird, daß so viele von ihnen wegen dieser Eigenschaft in Unternehmensleitungen berufen werden - diejenigen, die unter den neuen Chefs weiterarbeiten müssen (oder von den neuen Chefs gefeuert werden), haben in der Regel ein anderes Bild von den ehemaligen KollegInnen... Im Übrigen liegt die Krisenhaftigkeit kapitalistischen Wirtschaftens nicht im Kompetenzmangel einzelner Geschäftsleitungen begründet, sondern gehört zum Wesen dieses Systems;

- für das Festhalten am Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit, auch wenn es von hundertmal gehörten Zusätzen wie "Wenn die Unternehmer nicht endlich auch Leistungen erbringen, dann ... !" begleitet wird. Wenn Hinrich Feddersen sich in den nächsten Tagen und Wochen persönlich für kräftige Lohnerhöhungen im ehemaligen HBV-Bereich stark machen will, ist das eine gute Sache. Immer wieder bitter ist es allerdings, Gewerkschaftsführer das Lied vom "gerechten Lohn" singen zu hören, ist es doch das Lied des grundsätzlichen Einverständnisses mit kapitalistischer Ausbeutung (gehört zum Grundkurs-Wissen gewerkschaftlicher Bildungsarbeit). Es stimmt mich auch nicht gerade fröhlich, wenn mit dem Schritt zu ver.di der Beschluss der IG Medien zum Ausstieg aus dem "Bündnis für Arbeit" einfach kassiert wird...

Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als selbst von der IG Metall öffentlich ein Ausstieg erwogen wurde, musste ja auch der neue ver.di-Chef Bsirske (B 90/Grüne) erklären, damit würde man nur "den Scharfmachern das Feld überlassen".

Nun gab es diesmal in Kiel auch andere Reden. Auch Hinrich Feddersen hat Schröders Ausfällen gegen Arbeitslose eine Absage erteilt und bezugnehmend auf den Armuts- und Reichtumsbericht eine Umverteilung von oben nach unten gefordert. Und es sprach Uli Stangen für den Runden Tisch gegen Rassismus und Faschismus in Kiel (was der DGB gern auch so auf seinen Plakaten hätte ankündigen können, aber nicht getan hat). Er stellte die Arbeit des Runden Tisches vor, erläuterte die Kieler Erklärung, sprach den KollegInnen in den Städten, in denen die Nazis den 1. Mai zu Aufmärschen missbrauchen durften, unsere Solidarität aus und rief dazu auf, die Auftritte von Nazis in Kiel zu unterbinden. Es sprach außerdem Christian Godau vom AWO-Betriebsrat, der eindringlich schilderte, wie die Politik der AWO den Beschäftigten gegenüber im Widerspruch zu ihren politischen Grundsätzen steht; er sprach den notwendigen Kampf gegen Privatisierung und den Widerstand gegen "Globalisierung" (Demonstration in Göteborg) an. Es sprach kein/e Lokal- oder Landespolitiker/in. (Nochmal Heide Simonis wäre auch ein sehr guter Grund, der Maikundgebung ganz fernzubleiben...) Allerdings hatten sich die eh schon wenigen Teilnehmer der diesjährigen Demonstration nach der Rede von Hinrich Feddersen schon ziemlich zerstreut.

Die beiden letztgenannten Reden wurden übrigens sehr kurzfristig ins Programm genommen: es geht doch! Und noch viel einfacher, als die Redebeiträge kurzfristig festzulegen bzw. zu ergänzen, ist es, unbürokratisch auf Wünsche von Initiativen zu reagieren, die sich mit eigenen Konzepten an der Demonstration beteiligen möchten. Wiederum aber wurden in diesem Jahr Initiativen abgewiesen, begründet unter anderem mit "zu später Anmeldung". Ich halte das - abgesehen von unterschiedlichen Darstellungen über den Zeitpunkt, zu dem diese Wünsche angemeldet wurden - für Blödsinn und für schädlich. Auch solches Verhalten trägt nicht dazu bei, den 1. Mai attraktiver zu machen. Dass der 1. Mai in der Tradition der ArbeiterInnenbewegung begründet ist und eine "Rettung", eine Wieder-Belebung des 1. Mai als Kampftag gegen Ausbeutung und Unterdrückung, für internationale Solidarität nur aus der ArbeiterInnenbewegung selbst erfolgen kann, davon bin ich auch überzeugt. Wie das zu bewerkstelligen wäre, darüber ist zu reden. Aber jeder, der nicht krampfhaft die Augen verschließt, kann sehen, wie hilfreich für die Gewerkschaftsbewegung schon oft Anstöße "von außen" gewesen sind; und was heißt schon "von außen": in den Initiativen, die mit ihrem Wunsch zur Teilnahme am und womöglich zur Mitgestaltung des 1. Mai gestandene FunktionärInnen in Verwirrung stürzen, arbeiten in der Regel Gewerkschaftsmitglieder mit, bilden nicht selten sogar die Mehrheit der Mitglieder.

Eine PassantInnen-Befragung, die das Gegenwind-TV-Team vor dem 1. Mai durchführte, ergab eine beachtliche Ahnungslosigkeit bezüglich der Bedeutung dieses Feiertages. Wenn das, wie Horst Herchenröder erklärte, ein Problem mangelnder Bildung, mangelnden Geschichtsbewusstseins ist, so liegt die Lösung des Problems doch sicher nicht hauptsächlich in der Schule. Wenn die Gewerkschaftsbewegung gesellschaftlich als Gestaltungskraft und Gegenmacht zur Unternehmerpolitik erkennbar ist und im Rahmen ihrer Kämpfe für die Rechte und die Emanzipation der arbeitenden und zur Erwerbslosigkeit gezwungenen Menschen den 1. Mai wieder als den zentralen Tag der Darstellung ihrer aktuellen und grundsätzlichen Ziele nutzt, wenn die Gewerkschaften als kämpfende Organisationen in den Betrieben wieder Anhänger gewinnen statt verlieren, werden sie diesen Tag und seine Bedeutung wieder ins Bewusstsein der Bevölkerung rücken können. Außerdem spiegelt die Beteiligung an der Maidemonstration auch auf andere Weise den Zustand der real existierenden Gewerkschaftsbewegung. Schließlich fahren auch die meisten Gewerkschaftsmitglieder, die noch eine gewisse Ahnung vom Inhalt dieses Tages haben, lieber ins Grüne. Wenn man das nur damit kommentiert, dass dies - in diesem Jahr unter Ausnutzung des "Brückentages" (Montag) - ihr gutes, ihr erkämpftes Recht ist, zeigt man damit, dass für einen selbst die Aktivitäten am 1. Mai bestenfalls ein Späßchen am Rande sind. So kann manīs sehen. Ich sehe es anders. Aber nur weil "schon immer" am 1. Mai demonstriert wurde, muss man es überhaupt nicht tun. Die Begründung dafür liegt im Heute, die Tradition ist nur aufbauend auf dem Willen kämpferisch eingestellter und entsprechend mobilisierter Belegschaften zu beleben. Ein Maiausschuss auf der Grundlage betrieblicher Maikomitees - das wäre was. Das ist allerdings nicht auf Zuruf zu machen. Damit so etwas überhaupt wachsen kann, ist aus meiner Sicht ein grundlegender Wandel, eine dem aktuellen DGB-Grundsatzprogramm in den wesentlichen Punkten widersprechende Orientierung in der Gewerkschaftspolitik erforderlich. Die von einigen Gewerkschaftsgruppen vorbereiteten Programmpunkte sollen mit diesen Erwägungen nicht abgewertet werden. Die HDW-Kollegen etwa nahmen in T-Shirts, die mit der IG-Metall-Traditionsfahne bedruckt waren, an der Demonstration teil, und es hat ihnen offensichtlich Spaß gemacht. Für die Vertrauensleute, die sich das ausgedacht hatten, also ein Mobilisierungserfolg. An der grundsätzlichen Beurteilung ändert das nichts.

Die Kieler Demonstration wäre erheblich langweiliger gewesen ohne die Beteiligung und das lebendige Auftreten unserer "türkischen" GenossInnen. Dass schließlich ein Ordner, der wohl völlig die Orientierung verloren hatte, die hinter einem Transparent der DIDF gehenden Menschen daran hindern wollte, in die Legienstraße einzubiegen (da habe ich mich dann kurz eingemischt), ist sicher eine eher skurrile Randerscheinung; dennoch peinlich genug.

Wer immer sich in die Gestaltung des 1. Mai 2002 einmischen möchte, sollte das bereits in diesem Jahr tun. Der 1. Mai kommt natürlich jedes Jahr immer wieder überraschend plötzlich, aber mit etwas Konzentration sollte es gelingen, ihn schon ein paar Monate früher in die jeweilige Aktionsplanung einzubeziehen... Dietrich Lohse

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