Antifaschismus

Urteil im Rendsburger Skinhead-Prozess:

Türken plattgemacht ohne böse Absicht

Am Mittwoch, dem 2. Mai, wurden am Amtsgericht Rendsburg nach mehreren Verhandlungstagen die Urteile gesprochen in einem besonders krassen Fall rechter Gewalt, der sich am 9. Februar 2000 ereignet hatte. Vier stadtbekannte Neonazis aus Schacht-Audorf und Haßmoor entdeckten bei McDonalds in Büdelsdorf einen jungen Türken und seine deutsche Freundin. Umstandslos kam es zu Provokationen, die dazu führten, daß Ilker Ö. und Silke W. fluchtartig das Restaurant verließen und sich mit ihrem Golf über die Kieler Straße entfernen wollten. Die Skins (19, 19, 18 und 16 Jahre alt) rasten in ihrem Kombi hinterher (das Gericht nahm an, dass etwa 130 km/h gefahren wurden) und rammten das Auto des Türken in Höhe der Nobiskrug-Werft, das daraufhin an einem Laternenmast zerschellte. Ilker Ö. wurde lebensgefährlich verletzt, lag tagelang im Koma, seine Freundin erlitt zahlreiche Knochenbrüche. Die Skins entfernten sich vom Tatort, ohne Hilfe zu holen oder irgendjemanden zu informieren.

Das Jugendschöffengericht befand nun den 19-jährigen Fahrer Markus W. und den gleichaltrigen Daniel B. aus Schacht-Audorf schuldig - nicht des Mordversuchs, sondern - der fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung und Körperverletzung mit Unfallflucht und verurteilte beide zu vier Wochen Jugendarrest und insgesamt 5.000 DM Schmerzensgeld, die beiden anderen Täter zu weit niedrigeren Arreststrafen, 2.000 DM Bußgeld und 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der junge Türke sich durch die Schwere seiner Verletzungen nicht an den Tathergang erinnern kann und seine Freundin ebenfalls keine genaueren Angaben machen konnte, muss die Interpretation des Gerichts streckenweise als skandalös bezeichnet werden. So ließ sich angeblich nicht klären, ob es in dem McDonalds-Restaurant nur zu Blicken oder auch zu einer "verbalen Auseinandersetzung" gekommen war, obwohl doch zahlreiche Zeugen anwesend waren. Des Weiteren zeigt schon die Verurteilung wegen "Unfallflucht", dass das Gericht nicht von einem Attentat, sondern von einem Unfall ausgeht. Dies mag aber z.T. daran liegen, dass die Haftpflicht-Versicherung der Täter bei einem Unfall an die Opfer zahlt, nicht aber bei einer vorsätzlichen Straftat. Die Zeugin der Nebenklage hielt sich mit Aussagen auffällig zurück, offenbar im Bewußtsein, dass von den jugendlichen Straftätern im Falle einer Verurteilung wegen Mordversuchs nur wenig zu holen gewesen wäre. Es blieb jedenfalls der ungute Eindruck, dass die Ermittlungen von wirtschaftlichen Überlegungen beeinträchtigt wurden und eine juristische Verharmlosung der Neonazi-Taten zumindest erleichterte. Hier wird deutlich, wie wichtig es wäre, einen Fonds zur unbürokratischen Entschädigung und Hilfestellung für die Opfer rechtsradikaler Gewalttaten ins Leben zu rufen, der dann ja immer noch versuchen könnte und sollte, das Geld von den Tätern gerichtlich wieder einzutreiben, auch wenn dies erst Jahre später erfolgen könnte. Die offiziöse "Kampagne gegen rechts", deren erstes Anliegen das hätte sein müssen, scheint allerdings folgenlos eingeschlafen zu sein, bevor sie überhaupt begonnen hat.

Die Nazis waren damals schnell identifiziert worden, da sie unter Schulfreunden mit ihrer Tat geprahlt hatten, woraufhin der zuständige Streetworker, Thomas Schmid, nichts Eiligeres zu tun hatte, als die Täter zuhause aufzusuchen und vor weiteren öffentlichen Äußerungen zu warnen. Vor Vernehmungsbeamten hatten die Nazis zunächst jede Beteiligung an dem Geschehen geleugnet. Erst durch einen Sachverständigen im Auftrag des Anwalts der Geschädigten konnten Lackreste des Nazi-Autos auf dem verunglückten Golf nachgewiesen werden. Dadurch konnte das Gericht die Berührung der Autos und ein Fremdverschulden an dem "Unfall" nicht mehr leugnen. Ansonsten führte der Vorsitzende Richter jedoch aus, es habe sich nicht um "Vorsatz", sondern um eine "Spontan-Tat" gehandelt. Daran würde auch nichts ändern, dass die Nazis sich während der Verfolgung gegenseitig aufgestachelt hatten, den Türken "platt zu machen", denn damit sei nur gemeint gewesen, ihn einzuholen. Aggressiv sei die Stimmung im Nazi-Auto schon gewesen, aber, kein Wunder, es handelte sich ja auch "bei dem Fahrer des anderen Wagens um einen Ausländer ..., der eine deutsche Freundin hatte". Die Jugendrichter hielten es auch weiterhin für möglich, daß Ilker Ö. den Zusammenstoß sogar selbst mitverursacht habe. Zwar glaubten sie den Tätern nicht, sie hätten den Zusammenprall mit dem anderen Auto nicht bemerkt, aber zu ihren Gunsten unterstellte das Gericht, dass ihnen der Aufprall des Golf auf den Laternenpfahl entgangen war. Deshalb kam eine Verurteilung wegen unterlassener Hilfeleistung nicht in Betracht. Die Idee, dass der Zweck des "Plattmachens" die Beschädigung des Gegners und deshalb eine Hilfeleistung nicht erwünscht war, schien zu weit hergeholt (oder eben "nicht beweisbar").

Am gleichen Tag gab es auch eine Zeugenanhörung im Flensburger Prozess gegen zwei Skinheads, die am 12. September 2000 in Schleswig einen Obdachlosen totgetreten hatten. Eine 18-jährige Freundin eines der Angeklagten sagte aus: "In meinen Augen sind das auch keine Skinheads, sondern allenfalls Leute, die etwas gegen Scheinasylanten haben." Das brauchte sie sich nicht selbst auszudenken, sondern sie bekam es in groben Zügen vom Staatsanwalt vorgesagt, nach dessen Überzeugung die Tat keinen rechtsextremistischen Hintergrund hat, u.a. weil Täter und Opfer zur Tatzeit "stark alkoholisiert waren". Vermutlich wird man auch hier von "unterlassener Hilfeleistung" absehen können, da die Angeklagten ja nicht wissen konnten, ob der Mann bewegungslos herumliegt aufgrund des Alkohols, der Tritte oder weil er schon tot war, wo Hilfe dann ja sowieso nichts mehr gebracht hätte. 30 weitere Skins aus Rendsburg konnten die guten Nachrichten aus dem Jugendgericht gar nicht abwarten und fühlten sich auch vorher schon ermuntert, auf der 1.-Mai-Feier in der Nobiskruger Reiterhalle eine Schießerei mit einigen Ausländern anzufangen, die zu einer polizeilichen Räumung der Halle morgens um 4 Uhr führte. Sowohl die örtliche "Landeszeitung" als auch die Stadt Rendsburg ignorierten den Vorfall jedoch getreu dem Motto: "Wir haben kein Problem mit Nazis." Da ist was Wahres dran, denn es sind ja immer die Anderen, die das Problem haben.

(BG)

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