Internationales

National polarisierte Wahl im spanischen Baskenland:

Showdown in der Wahlkabine

Ein demokratisches Europa kann nur auf dem Selbstbestimmungsrecht der Völker aufgebaut werden", so Arnaldo Otegi, Sprecher der Partei EH, Baskische Bürger, im Endspurt für die Wahl vom 13. Mai zum Regionalparlament der Autonomen Region Baskenland bei einem Auftritt in Pasajes drei Tage zuvor. Der einzige Europaabgeordnete, von EH, Koldo Gorostiaga, pflichtete ihm bei:

Das Recht auf Selbstbestimmung sei der einzige Weg, der Globalisierung entgegenzutreten und die politischen, wirtschaftlichen Interessen des Baskenlandes in Europa zu vertreten: "Jetzt ist der Vertrag von Nizza beschlossen, und das Baskenland hat immer noch keinen eigenen Sitz in den europäischen Institutionen." Beide Vertreter der linksnationalen Partei EH waren sich einig: "Wir müssen einen eigenen Staat aufbauen". Im Moment hat das Umfeld von EH aber erstmal Probleme mit einem anderen Staat. Vier Tage vor der Wahl wurde die linksnationale baskische Jugendorganisation Haika verboten. Die Begründung des verantwortlichen Richters Baltasar Garzón: "Sie entstand mit dem Segen von ETA, welche Haika in einer Erklärung einlud, den Kampf für die Unabhängigkeit des Baskenlandes fortzuführen, im ganzen Baskenland, dem Spanischen, Französischen Teil und in der Provinz Navarra, als ob keine Grenzen bestehen würden." Haika hatte etwa 5.000 Mitglieder. 17 von ihnen, die Leitung, sitzt seit einer Großrazzia im März in Untersuchungshaft. Zuvor waren seit Jahresanfang bereits die NGOs Ekin, Xaki und die Zumalabe-Stiftung verboten worden - mit der Begründung, sie seien integraler Bestandteil von ETA. Die Zeitschrift Ardi Beltza wurde am 5. Mai von der Belegschaft aufgelöst, um dem angekündigten Verbot als angebliches Kommunikationsorgan der ETA zuvor zu kommen. Ihr Chefredakteur sitzt seit nunmehr vier Monaten im Gefängnis. Seit einem halben Jahr war gegen Ardi Beltza wie auch gegen Haika eine massive Medienkampagne gelaufen, mit dem Ziel, sie mit ETA in Verbindung zu bringen und zu kriminalisieren. Außer baskischen Nationalisten protestierten dagegen auch linke, ETA-kritische Gruppen - wie die Vereinigte Linke (IU) oder Batzarre: "Diese Hexenjagd kann jede Organisation treffen, die der abertzalen (baskisch-nationalen) Linken nahesteht - nicht wegen ihrer Handlungen, sondern wegen ihrer Ideen."

Der harte Kern der abertzalen Bewegung, von dem bisher kein Wort der Kritik an ETA zu hören war, verstärkt angesichts der Verbote den Agit-Prop für ein unabhängiges Baskenland. Eine Woche nach den Wahlen demonstrierten am 19. Mai Tausende in San Sebastián unter dem Motto: "Vorwärts mit dem Baskenland, Vorwärts mit der baskischen Jugend."

Die spanische Rechte trat zu den Regionalwahlen mit einem eindeutigen Konzept an: Ein klares Bekenntnis zum spanischen Staat, und Härte gegen alle Unabhängigkeitsbestrebungen. Damit ist nicht nur ETA gemeint. Die Wahlkampagne der PP richtete sich vorrangig gegen die PNV, die Baskische Nationale Partei. Seit das erste Mal nach der Franco-Diktatur 1980 ein Regionalparlament im Baskenland gewählt wurde, stellt die PNV dort die Regierung. Bis vor drei Jahren saßen PP und PNV noch nebeneinander im christdemokratischen Verbund auf EU-Ebene (EVP), die erste gesamtspanische Regierung der PP wurde 96 im spanischen Parlament auch mit den Stimmen der PNV gewählt, die dafür mehr regionale Steuerautonomie bekam. Im Baskenland regierte die PNV zu jener Zeit mit den Koalitionspartnern EA, Baskische Solidarität, und PSOE (Sozialdemokraten). Doch im Sommer 98 trat die PSOE unter Protest aus der Regierung aus, und im Herbst brach die PP die Kooperation ab und verlangte den Ausschluss der PNV aus der EVP: Die PNV hatte intensive geheime Gespräche mit der ETA geführt und Verhandlungen zwischen allen baskisch-nationalen Parteien angeregt. Das Ergebnis war die Verkündung der ersten unbefristeten Waffenruhe von ETA im September 98 und der Vertrag von Lizarra, in dem sich die unterzeichnenden Organisationen verpflichteten, sich für das Selbstbestimmungsrecht des Baskenlandes einzusetzen, was auch eine mögliche Unabhängigkeit bedeuten könnte. Unter dem Papier standen PNV, EA, EH, weitere abertzale Organisationen - und auch die linken Parteien IU, Zutik und Batzarre.

In dieser Situation der Hoffnung auf einen Dialog zwischen Staat und ETA fanden die letzten Regionalwahlen im Oktober 98 statt: PNV und EA verloren an EH, die das beste Ergebnis einer linksnationalen Partei bei allen Wahlen erzielte: 17,9%. EH tolerierete zunächst im Regionalparlament eine Minderheitenregierung von PNV und EA, kündigte die Unterstützung jedoch im Mai 2000 auf, weil die Regierung zuwenig für die baskische Unabhängigkeit tue. Einige Monate zuvor, im Dezember 99 hatte ETA die Waffenruhe für beendet erklärt und seitdem 30 Menschen getötet. Zuletzt erschoss sie vor knapp drei Wochen, am 6. Mai, einen PP-Politiker in der Nachbarprovinz Aragon mit zwei Kugeln in den Hinterkopf. Am 11. Mai ließ ETA nachts im Madrider Stadtteil Salamanca vor einer Bank eine Autobombe hochgehen, wobei trotz einer Vorwarnung 14 Menschen verletzt wurden. Zwei Tage nach der jetzigen Wahl schickte ETA dem Journalisten Gorka Landaburu eine Briefbombe, die ihn an den Händen und im Gesicht verletzte.

Im Dezember unterzeichneten PP und PSOE in Madrid den sogenannten Pakt der Freiheit. Darin verpflichteten sie sich, jede wahlpolitische Konkurrenz zurückzustellen, wenn es gegen ETA geht. Die PSOE ließ sich von der PP darauf festlegen, dass ETA kein politisches, sondern ein polizeiliches Problem sei. ETA und allen, die mit ihren Sympathisanten kooperierten, müsste die Front der Demokraten entgegenstehen. Das zielte auf eine Isolierung der PNV. Nachdem PP und PSOE mit einem entsprechenden Stimmverhalten die PNV/EA-Regierung lahmgelegt hatten und im März den Haushalt scheitern ließen, musste diese vorzeitige Neuwahlen ansetzen. PP und PSOE starteten die aufwendigste Wahlkampagne, die es je für Regionalwahlen in Spanien gegeben hat, Zeitungen und Nachrichten waren voller Vorwürfe gegen PNV und ETA. Und voller Versprechen, wie friedlich doch alles wäre, wenn PP und PSOE die Regierung im Baskenland übernehmen würden - mit einem Ministerpräsidenten Oreja an der Spitze.

Die Beteiligung der 1, 8 Mio. Wahlberechtigten war entsprechend mit 80% die höchste, seit es Regionalwahlen gibt. Fast alle Parteien gewannen absolut Stimmen dazu, nur EH verlor 80.000 Stimmen und sackte von 17,9% auf 10,1 %: Das war der Preis dafür, ETA nie kritisiert zu haben, obwohl viele EH-Anhänger deren Anschläge nicht mehr verstehen. Parteisprecher Otegi sprach denn auch offen über die Niederlage, hilet aber dennoch daran fest, ETA nicht öffentlich zu kritisieren. Eine kleine Strömung innerhalb von EH, Aralar, welche die Anschläge von ETA kritisiert und für einen gewaltfreien Nationalismus eintritt, forderte deshalb eine Woche nach der Wahl Konsequenzen. Aralar-Sprecher Patxi Zabaleta, verlangte einen grundlegenden Wechsel der Strategie und der Personen an der Spitze von EH. Der EH-Sprecher Otegi erwiderte, Aralar hätte mit ihrer Kritik, EH sei gegenüber ETA zu unkritisch, für Stimmenverluste gesorgt. Aralar wurde im Mai 2000 von 30 Mandatsträgern von EH gegründet, die unzufrieden waren mit der Beendigung der Waffenruhe durch ETA, kann aber nur eine kleine Minderheit der Mitglieder hinter sich vereinigen.

Bei der linksradikalen Organisation Zutik, baskisch für Aufrecht, die bei EH mitarbeitet, gab es Ende März eine heftige Kontroverse: Während der trotzkistische Flügel weiterhin auf eine Mitarbeit setzt, hat sich dem gegenüber der ex-maoistische Flügel durchgesetzt: Kein Wahlaufruf für EH, solange EH sich nicht von ETA und deren für alle Linken katastrophal polarisierende Anschlagsstrategie abgrenzt. Anders als bei den Regionalwahlen 1998 wurde beschlossen, dass diesmal keine Mitglieder von Zutik auf den Listen von EH kandidierten. Bereits im Februar 2001 hatten fünf Mitglieder von Zutik, die Mandate für EH innehatten, zum wiederholten Male ein sofortiges Ende der Anschläge von ETA gefordert, die "sowohl ethisch als auch politisch absolut inakzeptabel seien".

Nach dem schlechten Abschneiden von EH bei der Wahl kommt nun aber auch verstärkt Kritik aus einem anderen Sektor von EH, der dort mehr Einfluss hat, als die radikalen nichtnationalen Linken: LAB, die Baskischer Arbeiter Versammlung. Diese linksnationale Gewerkschaft stellt 16% der Betriebsräte im spanischen Baskenland. Ihr Generalsekretär, Rafael Díez Usabiaga, bezeichnete das Wahlergebnis von EH "sehr negativ" und erklärte, "es ist nötig einige grundlegende Überlegungen anzustellen, weil die Situation und dieses Wahlergebnis nach Korrekturen verlangen."

PNV und EA erzielten hingegen ihr bestes Ergebnis aller Zeiten (42,7% gegenüber 36,7% 1998), während PP (23 %) und PSOE (17,8 %) auch zusammen weniger Stimmen haben. Der PSOE wurde ihre Unterordnung unter den spanisch-nationalen Konfrontationskurs der PP nicht gedankt. IU, das Wahlbündnis der KP, legte als einzige Partei, die sich der nationalen Polarisierung entzog, lediglich 8.000 Stimmen (5,5% insgesamt) zu.

Regionale Nationalisten aus anderen Teilen Spaniens, fühlen sich bestätigt: "Dies ist eine klare und eindeutige Niederlage des antinationalen Kreuzzuges", erklärte der katalanisch Ministerpräsident, Jordi Pujol. "Es ist ein Beleg für die neue politische Kultur, welche dem plurinationalen Charakter Spaniens Rechnung trägt, erklärte Xosé Manuel Beiras, der im Oktober bei den Regionalwahlen in Galizien als Ministerpräsidentenkandidat antritt. Ihre beiden Parteien, die katalanische konservative Demokratische Übereinstimmung CDC und der mit sozialistischer Programmatik auftretende Nationalistische Block Galiziens, haben vor zwei Jahren zusammen mit der PNV die "Erklärung von Barcelona" beschlossen, in der mehr regionaler und weniger zentralspanischer Nationalismus propagiert wird. Zwischen diesen beiden Polen bleibt wenig politischer Raum. Bereits am Wahlabend war klar, dass der alte Ministerpräsident im Baskenland auch der neue sein wird, und dass bei ETA nicht die einzigen baskischen Nationalisten sitzen: Seine Anhänger feierten Ibarretxe ausgelassen und riefen Parolen wie "Unabhängigkeit!" So forderte Ibarretxe den Wahlverlierer EH denn auch nicht etwa auf, von der Forderung nach einem baskischen Staat abzulassen, sondern sich von ETA zu distanzieren. Die Forderung nach einem eigenen baskischen Staat steht auch im Parteiprogramm von PNV. Am 18. Mai hat Ibarretxe vom spanischen Kanzler Aznar ein Mitspracherecht für das Baskenland in Steuerfragen im Ministerrat der EUgefordert. Aznar erklärte postwendend, Europa hätte klare Regeln, und PNV und EA sollten sich an die staatliche Ordnung halten. Auch der spanische Vizekanzler und Innenminister Mariano Rajoy hat den Vorstoß von PNV und EA umgehend zurückgewiesen: Er erinnerte daran, dass sich die Europäische Union aus Staaten zusammensetze, und nur diese im Ministerrat vertreten seien. Das wäre aber gar nicht Ibarretxes Problem, wenn es den einen bestimmten Staat mehr in der EU gäbe. (Gaston Kirsche, gruppe demontage)

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