Kommentar

Beinharte "Gefühlssozialisten"

Nicht nur die täglichen PS-Aggressionen sind Folge und Ausdruck der Individualisierung und Brutalisierung in dieser "Ellenbogengesellschaft". Manch jüngere Fahrradfahrer "surfen" rasant an betagteren Fußgängern vorbei, ohne sich dafür zu entschuldigen. Entschuldigungen sind angebracht, wenn der Vorsatz einer postwendenden Verhaltensänderung im Sinne von "Soll nicht wieder vorkommen!" besteht.

In Mode gekommen sind nachträgliche Entschuldigungen von sozialen Organisationen wie Staaten, Kirchen, Parteien hinsichtlich weit zurückliegender historischer Ereignisse: Die US-Regierung entschuldigte sich für den Genozid gegen die Ureinwohner Amerikas, Japan für den Überfall auf China, der Vatikan für die Kreuzzüge und andere blutige Aktionen. Entschuldigt haben sich kürzlich Gabi Zimmer und Petra Pau als Repräsentanten der PDS gegenüber (den) Sozialdemokraten, bei der Vorstellung der Erklärung zum 55. Jahrestag der Vereinigung von KPD und SPD : Weil bei der 1946 in der sowjetischen Besatzungszone stattgefundenen Vereinigung zur SED Zwang im Spiel war! Die Gründung der SED sei "auch mit politischen Täuschungen, Zwängen und Repressionen" vollzogen worden und en passant heißt es in der Erklärung:" Wir erwarten übrigens von der Sozialdemokratie keine Abbitte für Handlungen, mit denen sie der deutschen Linken Schaden zugefügt hat."

Wird die SPD auch nicht, weder für die Zustimmung zum Angriffskrieg 1914, die Aufweichung und Zerschlagung der Arbeiter- und Soldatenräte nach 1918, den "Blutmai" 1929, dem Stillhalten bei der – mit staatlichem und paramilitärischen Terror begleiteten – parlamentarischen Machtübernahme durch die Nazifaschisten 1933 noch für die Beteiligung am KPD-Verbot 1956 (Tausende KPD-Mitglieder landeten in den Gefängnissen und Zuchthäusern der BRD). Unter sonst gleichbleibenden Umständen würde und wird die SPD – wie auch andere soziale Organisationen – alles wieder tun. "Nachher ist man immer schlauer!" sagt der Volksmund, "Verhält sich aber zwangsläufig nicht anders!" ist anzufügen und auf den Angriffskrieg 1999 gegen die BR Jugoslawien zu verweisen.

Geschichtsdiskussionen (s.a. Artikel "Von der Huldigung zur Entschuldigung") in Form von Entschuldigungen zu führen bedeutet sich davonzustehlen. Rehabilitierungen und Entschädigungen sind dagegen eindeutige Zeichen dafür, dass man zu der Vergangenheit und den Fehlern steht oder stehen muss – auch zum Blut am Messer! Repressionsfrei und unblutig sind Revolutionen und v. a. nachfolgende Auseinandersetzungen nie verlaufen, auch nicht die bürgerlichen und proletarischen Revolutionen der letzten Jahrhunderte. Mit Sprüchen wie "Die Revolution ist kein Deckchensticken!" oder "Wo gehobelt wird fallen Späne!" sollte nicht über die Opfer dieser Auseinandersetzungen hinweggegangen werden. Gerade der harte "Bruderkampf" im Kontrast zum schwachen "Klassenkampf" ist nicht zu entschuldigen. An dieser Stelle eine Feststellung, die kein Trost für die Opfer sein soll und kann: Wenn in manchen Jahren sozialistische Führer, insbesondere dort wo der Sozialismus als Staatsform existierte, bis zu den Knöcheln durch Blut gewatet sind so haben manche religiöse oder adelige und später bürgerliche Führer in Jahren ihrer Regentschaft im Blut geschwommen. Päpste hätten es locker zum Tauchschein gebracht!

Freischwimmen und freitreten will sich nun die PDS-Führung – ins bürgerliche Parteienlager. Im Nachgang entschuldigen sich Spitzenvertreter des "Heimatvereins-Ost" beim "Standortverein-West" faktisch für den – gescheiterten – Versuch auf dem Boden der SBZ/DDR eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen. Die Erklärung zum Thema Vereinigung zur SED soll in der Mitgliedschaft diskutiert aber nicht – auf dem nächsten PDS-Parteitag – beschlossen werden. Der Sozialismus liegt in jeder Hinsicht am Boden – mit der Erklärung wurde aus dem PDS-Vorstand noch mal kräftig nachgetreten. Beinhart und ignorant gegen die Vertreter des Sozialismus – gefühlvoll und demütig für die Vertreter des Kapitalismus? Beinharte "Gefühlssozialisten"!

W. Jard

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