Ratssplitter

Graffitis scheinen so etwas ähnliches zu sein, wie industrieller Massenmord. Dieser Eindruck war zumindest am 10.5. in der Ratsversammlung zu gewinnen, als sich OB Gansel zu einem der periodisch wiederkehrenden Saubermann-Anträge, diesmal von der CDU, äußerte. Darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung der Sprühereien als "Pest" nicht gerade zur Versachlichung beitrage, legte der OB nach: Wenn man Faschismus als Verbrechen bezeichne, dann müsse es doch möglich sein, die Verunstaltung einer Fassade als Pest zu nennen. Die CDU bedankte sich recht herzlich für "die deutlichen Worte".

Krieg heißt jetzt Spannungs- und Verteidigungsfall, zumindest bei der Kieler Stadtverwaltung. Die CDU spricht allerdings lieber weiter von Krieg und macht sich Gedanken, ob Kiels Bürger denn im Falle eines solchen genug Beton über den Kopf haben. Geht so, meint das Dezernat für Stadtplanung (sic!). 15 funktionsfähige Bunker ergab die Inventur.

Für den Verkauf eines Teils der Stadtwerke an TXU gab es 448,1 Mio. DM, wovon nach Abzug der Unkosten (Commerzbank, Steuerberater, Rechtsanwälte) 443 Mio. übrig blieben. Davon gehen 104,24 an die VVK GmbH (im städtischen Besitz) und dienen dort vor allem zur Subventionierung der KVAG sowie 343,9 Mio. DM ins Stadtsäckel (Beträge gerundet). Wieviel davon an Steuern abzuführen ist, ist noch ungewiss. Gansel hofft, dass die Erträge aus den verbleibenden Stadtwerkeanteilen auch in Zukunft dafür reichen werden, dass Defizit der KVAG abzudecken.

Der ehemalige SPD-Fraktionsvorsitzende Jürgen Fenske ließ anlässlich der Debatte um den Nachtragshaushalt mal wieder den Neoliberalen raushängen: "Ich habe die Veräußerung des kommunalen Vermögens nicht nur zur Sanierung des Haushaltes getätigt, sondern auch aus ordnungspolitischen Gründen." Die Lage der Märkte sei heute so, dass viele Aufgaben auch anders organisiert werden könnten. Und: Man müsse weiter gehen.

Ein Antrag der Grünen, die neuen Straßen an der Hörn nach historischen Werftarbeiterberufen zu benennen, führte zu intellektuellen Höhenflügen bei den übrigen Fraktionen. Kottek (SUK): "Da sind ja gar keine Frauen bei." Das rief sogleich den OB in die Bütt, der anmerkte, es habe auf der Werft sehr wohl auch Arbeiterinnen gegeben, z.B. Telefonistinnen. Ansonsten sei ein Brandttaucher nicht etwa "einer, der taucht, um einen Brand zu löschen", sondern das erste in Kiel gebaute U-Boot. Daher hatte der Militaria-Fan ausnahmsweise auch einmal Lob für die Grünen über, dass sie eine Straße nach einem Kriegsschiff benennen lassen wollten. Der Antrag wurde dennoch zurückgestellt.

Beinahe wäre Kiel Mitglied im "Gesunde Städte-Netzwerk" geworden, doch die Mehrheit der Ratsversammlung war davor. Die Festlegung, dass ein entsprechender Beauftragter zu allen Entscheidungen gefragt hätte werden müssen, die Gesundheit beeinträchtigen könnten, wäre ja -- Gott bewahre -- "noch mal das Gleiche wie eine Frauenbeauftragte" gewesen, so Gansel. Das wollte man sich dann doch nicht zumuten. (wop)

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