Militarismus

Kriegsdienstgegner verurteilt

Das Landgericht Hamburg hat am Freitag, dem 18.05.01, in der Berufungsverhandlung gegen den Totalen Kriegsdienstverweigerer Jan Reher eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten, ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung, verhängt. Reher war am 03.11.00 vom Amtsgericht Hamburg-Harburg überraschend vom Vorwurf der ‘Dienstflucht’ vom Zivildienst (§ 53 Zivildienstgesetz) aufgrund der in Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) garantierten Gewissensfreiheit freigesprochen worden. Es handelte sich dabei um den ersten auf dieser Grundlage basierenden Freispruch für einen Totalverweigerer seit fast fünfzehn Jahren. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen dieses Urteil Rechtsmittel eingelegt.

Das Berufungsverfahren erstreckte sich über drei Verhandlungstage und war in weiten Teilen von Auseinandersetzungen zwischen der Verteidigung (mit Jörg Eichler, Dresden und Detlev Beutner, Frankfurt a.M., selbst zwei totale Kriegsdienstverweigerer) und dem Vorsitzenden Richter, Michael Kaut, geprägt. Kaut hatte durch zahlreiche Maßnahmen dokumentiert, dass er dem Verfahrensgegenstand nicht unvoreingenommen gegenüber stand.

Am ersten Verhandlungstag hatte Reher in seiner Einlassung erklärt, warum der Zivildienst auch — lediglich waffenloser — Kriegsdienst ist und dass daher die gleichen Gründe, die zu seiner Verweigerung des Wehrdienstes geführt hatten, nunmehr auch der Verweigerung aller Wehrersatzdienste zugrunde lägen. Die Verteidigung hatte zum Beweis der Einplanung des Zivildienstes in das militärische Konzept der so genannten "Gesamtverteidigung" beantragt, u.a. Rudolf Scharping zu laden. Der Beweisantrag war vom Gericht jedoch am zweiten Verhandlungstag abgelehnt worden, da die zu beweisenden Tatsachen zum Teil erwiesen, im übrigen aber ohne Bedeutung für die Urteilsfindung seien, da die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) davon ausgehe, dass selbst im Falle der Totalen Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen eine Bestrafung möglich sei. Damit hatte das Gericht bereits signalisiert, dass es nicht bereit sein würde, den freisprechenden Gründen des Amtsgerichts Hamburg-Harburg zu folgen. Schließlich hatte die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, beantragt.

Am letzten Freitag folgten dann zunächst die Plädoyers der Verteidiger. Diese legten in zwei Stunden dar, dass die Rechtsprechung des BVerfG einen Freispruch sehr wohl zuließe, und dass dieses Ergebnis vor dem Hintergrund der in Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes proklamierten allgemeinen Freiheit des Gewissens und des weltanschaulichen Bekenntnisses auch zwingend sei. Soweit sich das Bundesverfassungsgericht in den sechziger Jahren zur möglichen Strafbarkeit von Totalverweigerern aus Gewissensgründen geäußert habe, gehe diese Rechtsprechung auf inzwischen erwiesenermaßen fehlerhafte Interpretationen der Entstehungsgeschichte des Art. 4 GG zurück. Im übrigen habe es auch in der Rechtsprechung des BVerfG einen Wandel hinsichtlich der Bedeutung der Gewissensfreiheit im Strafrecht gegeben. Die Verteidigung beantragte, die Berufung der Staatsanwaltschaft zu verwerfen und den Freispruch des Amtsgerichts Hamburg-Harburg aufrecht zu erhalten.

Als das Gericht nach einer anderthalbstündigen Pause das Urteil verkünden wollte, kam es erneut zum Eklat: Der Richter forderte das Publikum auf, sich zu erheben. Dem kamen jedoch vier ZuschauerInnen nicht nach, die erklärten, vor diesem Gericht, welches im Verlauf der Verhandlung seine Position zur Genüge deutlich gemacht habe, sich nicht erheben zu wollen. Der Richter verhängte daraufhin ein Ordnungsgeld von jeweils 500,- DM wegen "ungebührlichen Verhaltens". Die Verteidiger erklärten hierzu, diese Maßnahme erinnere sowohl ihrer Art als auch ihrer Höhe nach an den Untertanengeist, den deutsche Richter bis in die sechziger Jahre eingefordert hätten, der — in dieser drastischen Form — inzwischen aber weitgehend überwunden geglaubt gewesen sei. Letztlich sei aber "von diesem befangenen Vorsitzenden Richter nichts anderes zu erwarten" gewesen.

Schließlich verurteilte das Gericht Reher zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, die auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt werden soll. Zur Begründung führte es wiederum an, durch die Entscheidungen des BVerfG gebunden zu sein: Das Gericht "fühlte sich verpflichtet und gezwungen", Reher, dem auch vom Gericht eine Gewissensentscheidung zuerkannt wurde, zu bestrafen. Mit den Argumenten der Verteidigung setzte sich das Gericht nicht weiter auseinander. (nach einer Pressemitteilung der TKDV-Initiative)

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