Globalisierung

G8-Gipfel:

Genua, offene Stadt

Vom 20. bis 22.Juli kommen in Genua die Regierungs- und Staatschefs der G8, der größten Industriestaaten, zu ihrem jährlichen Gipfeltreffen zusammen. Sie treffen hier Entscheidungen, die das Leben von Milliarden Menschen auf dem gesamten Globus betreffen. Begleitet werden sie von ihren Finanzministern und wichtigen Entscheidungsträgern des Kapitals. Sie stellen Weichen für den Fortgang des Globalisierungsprozesses.

Auf dem diesjährigen G8-Gipfel wird ein zentrales Projekt besprochen: das GATS (General Agreement on Trade in Services - Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen), es bezweckt die weitere Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Mit dem GATS schaffen sich die G8 eine anonyme Macht, die sie zwingt unter Beweis zu stellen, dass die öffentliche Hand die Versorgung mit Bildung, Gesundheit oder Wasser "wirtschaftlich effizienter" gestaltet als Privatunternehmen; widrigenfalls private Firmen über das Schiedsgericht der Welthandelsorganisation (WTO) eine Privatisierung erzwingen können sollen. Das wäre für die Bevölkerung katastrophal: Die Privatisierung von Arbeitsämtern, Schulen, Universitäten, Krankenhäusern u.a. könnte die Folge sein.

Welche Konsequenzen die Übergabe des Dienstleistungssektors an die private Verfügungsgewalt der Konzerne für die Bürgerinnen und Bürger haben wird, wird weder von den Parteien noch von den Gewerkschaften in Deutschland angemessen diskutiert. Ihnen ist auch nicht klar, dass die Privatisierungswelle im Dienstleistungssektor deutscher Kommunen überhaupt etwas mit dem GATS und der WTO zu tun haben. Dabei ist das GATS nur eine weitere Konsequenz der neoliberalen Globalisierungspolitik, deren Hauptdurchsetzungsinstrument in Europa die EU-Kommission ist. Die EU-Kommission ist es auch, die für die Länder der EU über das GATS bei der WTO verhandelt - unter völligem Ausschluss der Öffentlichkeit, ohne irgendeine Möglichkeit der Einflussnahme durch die Öffentlichkeit.

Die Maastricht-Kriterien, die auf die Haushalte in den EU-Ländern keine anderen Kriterien anwenden als die Strukturanpassungsmaßnahmen des IWF auf die Haushalte der Dritten Welt und Osteuropas und ihnen eine strikte Ausgabendisziplin vorschreiben, haben zur Folge, dass Länder und Gemeinden unter sinkenden Steuereinnahmen leiden und deshalb versuchen, sich durch den Verkauf von Dienstleistungsunternehmen an private Investoren zusätzliche Mittel zu verschaffen. Gefahr droht dabei nicht allein durch den Verlust von Arbeitsplätzen, es drohen auch die Unterminierung der Gemeindeautonomie, der Verlust an Demokratie, die Erhöhung von Gebühren und Preisen, negative Folgen für die Umwelt.

In Kanada haben Städte und Gemeinden zum Widerstand gegen das GATS aufgerufen; sie fordern, dass die Autorität der lokalen Regierungen, ihre öffentlichen Aufgaben zu regeln, erhalten bleiben. Und sie fordern die Zentralregierung auf, eine umfassende Beratung mit der kanadischen Bevölkerung und den gewählten lokalen Volksvertretern durchzuführen, ehe sie irgendwelche Entscheidungen bezüglich des GATS fällen. Auch in Frankreich gibt es zahlreiche Initiativen, die sagen, das sei die Hintertür, durch die das MAI wieder auf die Tagesordnung gesetzt wird.

Natürlich steht auch die Schuldendebatte wieder auf der Tagesordnung der G8; was dabei herauskommen wird, kann man allerdings jetzt schon ahnen. Beim vorletzten Gipfeltreffen in Köln hatten die G8 versprochen, den ärmsten Ländern 200 Mrd. DM zu erlassen - realisiert wurden bisher gerade mal 18 Mrd. Eine lächerliche Summe, wenn man berücksichtigt, dass allein im Jahre 1992 die armen Länder 450 Mrd. US-$ an die 10 reichsten Länder zurückgezahlt haben.

Aber auch in den so genannten reichen Staaten des Nordens leiden immer mehr Menschen unter den Folgen der schrankenlosen Konzernherrschaft und der Diktatur des Profitstrebens und der Konkurrenz. Allein in der Europäischen Union leben inzwischen 60 Millionen Menschen in Armut, 16 Millionen Menschen sind offiziell erwerbslos, fünf Millionen obdachlos. In den USA leiden 30 Mio. Menschen an Unterernährung.

Die Aufhebung aller Regulierungsschranken in den Bereichen Arbeit, Soziales, Handel, Finanzen, Dienstleistungen führen auch in den Ländern der G8 selbst zu Stellenabbau, Arbeitslosigkeit, Reallohnsenkung, Verarmung, qualitative Verschlechterung der Dienstleistungen. Allein durch die Privatisierung der Bahn gingen in Deutschland binnen fünf Jahren 120000 Arbeitsplätze verloren - weitere 60000 sollen bis zum Jahr 2005 "wegrationalisiert" werden.

Die katastrophalen Folgen dieser Politik für die Umwelt (genannt sei nur, daß die USA unter dem Beifall der Ölkonzerne das Kyoto-Protokoll gekündigt haben) und den Frieden tragen ein weiteres dazu bei, daß die globale Bedrohung der Menschheit auf allen Kontinenten durch die Diktatur der Konzerne und des privaten Profits immer deutlicher wird.

Deshalb wird Genua wie bisher kein anderer G8-Gipfel Zielscheibe einer riesigen Mobilisierung sein. Den italienischen Aufruf haben bislang über 375 Organisationen aus dem In- und Ausland unterzeichnet, darunter auch die Metallarbeitergewerkschaft FIOM, die unabhängigen Gewerkschaften SinCobas, Rifondazione Comunista, die deutsche PDS, der WWF, Ya Basta, Pax Christi, die griechische Koalition der Linken (Synaspismos), der Weltfrauenmarsch, die Emmaus-Brüder, die Erlaßjahrkampagne, Jubilee South, die Centri Sociali, und natürlich die Euromärsche, ATTAC u.v.a. Täglich kommen weitere hinzu. Daneben gibt es in Europa zahlreiche nationale und lokale Aufrufe.

Das Bündnis Genoa Social Forum ruft zu vielfältigen Protestaktionen in Genua auf - zu einer Aktionswoche vom 16. bis 22. Juli, Blockaden, Aktionen des zivilen Ungehorsams wie einer Umzingelung der "roten Zone" am 20., einem Tag der ImmigrantInnen mit einer Demonstration am 19. Juli und einer Grossdemonstration am 21. Juli.

Der Wahlsieg Berlusconis hat dem Mobilisierungsschub in Italien keinen Abbruch getan, im Gegenteil: Kaum eine Woche nach der Wahl traten fast die gesamten Belegschaften der italienischen Metallbetriebe und darüberhinaus viele Buden der New Economy in einen eintägigen Streik, in zahlreichen Städten wurden die größten Demonstrationen seit 1994 organisiert. Jetzt bedeutet Genua für alle, die gegen die Rechtsentwicklung ein Zeichen setzen wollen, einen weiteren wichtigen Höhepunkt, der demonstrieren soll, dass Berlusconi seine Mehrheit nur einem undemokratischen Wahlrecht verdankt und sich auf ihr nicht ausruhen können wird.

Die erfolgreiche Blockade und das Scheitern der "Millenium Round" der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle im November 1999 war Auslöser einer sich weltweit formierenden Bewegung gegen Neoliberalismus und Konzernherrschaft unter Beteiligung verschiedenster Bewegungen, Netzwerke, Verbände, Parteien. Seitdem gibt es kaum ein Gipfeltreffen der Herrschenden und ihrer Institutionen, das nicht von massiven antikapitalistischen Protesten begleitet wird. Washington, Melbourne, Prag, Nizza und zuletzt Quebec reihen sich hier ein. Genua wird das nächste Glied in dieser Kette der Globalisierung des Widerstands sein, und nach Meinung einiger "kann der Protest in Genua zu einem europäischen Seattle" werden.

Die hinter dem Bündnis Genoa Social Forum stehenden Kräfte sind (vor allem in Italien) so breit, dass ihm von dem europäischen Vorbereitungstreffen Anfang Mai bereits die Qualität einer internationalen Koordination zugesprochen wurde; die italienischen Bewegungen sind auf dem besten Weg, neben Frankreich eine führende Rolle im Kampf gegen die imperialistische und neoliberale Globalisierung auf dem europäischen Kontinent einzunehmen. Gut möglich, dass Genua zum europäischen Ankerplatz des Weltsozialforums wird, das in Porto Alegre seinen Ausgang genommen hat. Jedenfalls sieht sich das italienische Bündnis in direkter Kontinuität zu Porto Alegre.

Angela Klein, Euromarsch-Netzwerk

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Genua:

Widerstand - überall

"Fahren Sie doch ans Meer." Der Bankangestellte aus Genua, der in der sog. gelben Zone wohnt und in der roten Zone arbeitet (beide sind in den Tagen des G8-Gipfels komplett abgeriegelt), versucht dieser Tage, einen Paß zu erhalten, damit er vom Wohnort zur Arbeitsstelle gelangen kann. Doch er findet niemanden, der ihn ausstellt. Die Carabinieri (eine Art Polizei mit besonderen Aufgaben), die er befragt, antworten ausweichend und raten ihm, es am besten gar nicht erst zu versuchen. Wie aber soll der Mann ans Meer fahren, wenn der Fährverkehr schon vor Monaten für diese Zeit storniert wurde? Just an dem Wochenende, an dem die hohen Herren sich treffen, beginnt die Urlaubszeit; traditionell sind die Fähren zu den Inseln dann überfüllt. In diesem Ja hr aber heißt es: No. Bleiben Sie zu Hause, Ihr Urlaubsbeginn wurde verschoben. Zu Hause aber ist die Bevölkerung auch nicht gelitten, wie der Bankangestellte gerade erfährt, da rät man, ähnlich wie in Prag: Verlassen Sie die Stadt. Aber wohin? Ans Meer geht nicht; die Strände werden in der Zeit geschlossen sein.

Das ist nur ein Beispiel für das Chaos, das die italienische Regierung derzeit in Genua anrichtet, weil sie am liebsten jegliche Bewegung in den Tagen des Gipfels, und sei es den normalen Alltagsverkehr, unterbinden möchte. Die ôSicherheits"maßnahme n steigern den Unmut und Zorn der ortsansässigen Bevölkerung und werden dazu beitragen, die Ränge der Demonstrierenden weiter zu füllen. Die Feuerwehrleute sollten als Ordnungskräfte eingesetzt werden - als Antwort darauf haben sie sich dem Streik anges chlossen, den die unabhängigen Basisgewerkschaften Cobas für den 20.Juli ausgerufen haben; die BewohnerInnen des historischen Zentrums, die das Pech haben, daß die G8 ausgerechnet sie heimsuchen, müssen in den Tagen ihr Auto am Stadtrand parken und mit einem Pendelbus verkehren. Es ist weiter unklar, ob Demonstrierende von außerhalb überhaupt in die Stadt kommen werden. Das Bündnis Genoa Social Forum hatte monatelang umsonst einen Verhandlungstermin mit der Regierung gefordert, um den Empfang von über 100000 Demonstrierenden aus dem In- und Ausland zu regeln. Schließlich hat es einen Brief an den neuen Innenminister gerichtet, in dem es drei Fragen stellt: Werden die Grenzen zu den europäischen Nachbarländern geschlossen und die italienischen Eisenbahnlinien lahmgele gt? Werden die Demonstrationen erlaubt? Wird es in Genua Räume geben, in denen diskutiert und übernachtet werden kann? Auch hierauf gibt es bislang keine Antwort; die Regierung gibt sich zugeknöpft, hat aber vorsichtshalber zusätzlich zu bisher vorgesehenen 20 Mio. DM weitere 33 Millionen bewilligt, um die ôSicherheitsstandards der G8 einzuhalten" und holt sich u.a. bei der Bundesregierung Rat, was man aus Göteborg über die Bekämpfung von DemonstrantInnen lernen kann. Die zahlreichen Netzwerke, die das Bündnis Genoa Social Forum bilden, bereiten sich seit Wochen aktiv auf die heißen Tage vor. Ende Mai sah es eine Weile danach aus, als würde sich das Bündnis an der Frage zerstreiten, ob gegen den Gipfel demonstriert, oder ob er verhindert werden soll. Insbesondere ein Aufruf der Tute Bianche, der den Titel ôKriegserklärung" trug, was an die lokalen Behörden gerichtet war, hatte für Aufregung gesorgt, und die Regierung in Rom hatte in Aussicht gestellt, sich mit den ôGuten" an einen Tisch zu setzen, um die ôBösen" von vornherein und gemeinsam zu isolieren. Die Taktik ist in die Hose gegangen. Die Tute Bianche haben, wie auch andere Netzwerke, ihre vollständige Gewaltfreiheit und ihren festen Willen betont, nichts z u tun, was sie in Gegensatz zur Bevölkerung der Stadt bringen könnte. Die ôguten" Nichtregierungsorganisationen haben es abgelehnt, sich unter den herrschenden Bedingungen mit der Regierung zu treffen und die Spaltungspolitik mitzumachen. Statt dessen w eitet sich die Mobilisierung aus und bezieht nun auch soziale Konflikte mit ein, die mit den G8 vordergründig nichts zu tun haben: So hat sich das Bündnis solidarisch erklärt mit den Arbeitern bei Ilva, eine Kokerei, die geschlossen werden soll. Die Arbeiter organisierten am 13.Juni eine Protestdemonstration durch die Straßen von Genua und wurden dabei gewaltsam von der Polizei angegriffen. Ein Zeichen für ihre Nervosität? Am 17.Mai hatten in Genua MigrantInnen friedlich demonstriert und waren dabei gewaltsam von der Polizei angegriffen worden; es hatte acht Verletzte und zwei Abschiebungen gegeben. Das Liliput-Netz, ein Netzwerk von etwa 500 Umwelt-, Friedens-, Frauen- und Solidaritätsgruppen mit der Dritten Welt, das nach Seattle entstanden ist, hat sich Anfang Juni zu einem landesweiten Vorbereitungstreffen gefunden und ist die verschiedenen Szenarien durchgegangen. Ziel bleibt in jedem Fall, in Genua zu demonstrieren; sollte die Stadt gesperrt sein, will man sie auch zu Fuß erreichen. Sollte es unmöglich sein, überhaupt in ihre Nähe zu kommen, soll es Demonstrationen und Blockadeaktionen an d en Stellen geben, wo die Weiterfahrt verhindert wird - Bahnhöfe oder Autobahnen. Nach demselben Muster soll im Ausland verfahren werden, so dass der Widerstand sich wie ein Leopardenfell über ganz Europa legt.

Angela Klein

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