Globalisierung

"Die Globalisierung hat ihre Macher"

Ausländische Gäste ist man ja gewohnt auf der kleinen britischen Kanalinsel Jersey. Solche, die zollfrei einkaufen wollen, und solche, die die Konferenzräume der zahlreichen Geldinstitute bevölkern. Doch so etwas wie diesen Samstag hatte man bisher noch nicht erlebt und daher eigens eine Anti-Terror-Einheit aus Nordirland einfliegen lassen: Eine Demonstration französischer Segler vor dem Hafen, zudem noch ein Tross von 170 Demonstranten und Presseleuten, der vom nahen französischen Festland herüber kam, um den Nerv der Volkswirtschaft der Insel in Frage zu stellen: Das Geschäft mit der Steuerflucht. Rund 55% des Bruttoinlandprodukts Jerseys werden durch Finanzdienstleistungen erwirtschaftet, sagen die Statistiken. Was die kleine Insel so attraktiv macht ist, dass Steuern auf Zinsgewinne klein, das Bankgeheimnis jedoch groß geschrieben werden. Die Finanzbehörden der Herkunftsländer der Kunden beißen sich an ihm regelmäßig die Zähne aus.

Genau das machte am vergangenen Wochenende Jersey zur Zielscheibe vor allem französischer Protestaktionen. Organisiert hatten die Aktionen Attac Frankreich. Hinter dem etwas umständlichen Namen "Vereinigung für die Besteuerung von Finanztransaktionen zum Wohle der Bürger" verbirgt sich ein mehrere Zehntausend Mitglieder umfassendes Netzwerk, dass sich gegen die negativen Folgen der neoliberalen Globalisierung wendet. Ableger gibt es inzwischen in zahlreichen Ländern, u.a. auch in Deutschland. LinX sprach mit Felix Kolb, Sprecher der deutschen attac-Kampagne "Stoppt Steuerflucht" über den Sinn und Zweck dieser Aktion. (wop)

LinX: Attac Deutschland demonstrierte am 9.6. auf Jersey gegen Steuerflucht. Warum nicht in Frankfurt?

Felix Kolb: In der Tat gibt es nicht nur auf Inseln wie Jersey Steueroasen, sondern auch in Deutschland einige Regime, die man als Steueroasen bezeichnen kann. Aber dies war eine gemeinsame Aktion mit Attac Frankreich. Hinzu kommt, dass auf Jersey und ähnlichen Orten mehr Geschäfte, die man als Steuerflucht bezeichnen kann, abgewickelt werden, als z.B. am Börsenplatz Frankfurt. Zudem hat Jersey als Steueroase eine gewisse Symbolfunktion, die es uns erleichtert, auf unser Anliegen aufmerksam zu machen. Auf Jersey gibt es nur sehr geringe Steuern auf Kapitalerträge und das Bankgeheimnis ist sehr umfassend, sodass es kinderleicht ist, Zinseinkünfte, die eigentlich hier versteuert werden müssten, zu verstecken. Daher ist es für Wohlhabende Einzelpersonen oder auch Unternehmen sehr reizvoll, ihre Einlagen auf diese Kanalinsel zu transferieren. Ansonsten demonstrieren wir durchaus auch in Frankfurt. Z.B. beteiligen wir uns diese Woche an der Demonstration gegen Bankenmacht anlässlich des Kirchentages.

LinX: Nun ist die Steuerflucht zwar unerfreulich, aber doch eher eine Randerscheinung im europäischen Kapitalismus. Warum nicht lieber gleich die Steuergeschenke angehen, die die Regierung den Unternehmern und Banken machen?

F. K.: Es gibt da einen starken Zusammenhang. Seit einer ganzen Reihe von Jahren befinden wir uns auf einer abwärtsgerichteten Steuerspirale. Das funktioniert so: Auf der einen Seite gibt es massive Steuerflucht. Schätzungen gehen davon aus, dass allein in Deutschland in diesem Jahr 30 Mrd. DM an Steuereinnahmen dadurch verloren gehen. Auf der anderen Seite wird dies dann als Argument genutzt, die Steuern weiter zu senken. Wenn wir die Steuern so hoch lassen, heißt es, dann werden die Unternehmen ihr Geld ins Ausland bringen, also müssen wir sie eben senken. Unsere Postion hingegen ist, diese Spirale zu durchbrechen und die Steueroasen trockenzulegen.

LinX: Wenn man aber nun das internationale Finanzsystem anschaut, das ja eines der Schwerpunkte der Arbeit Attacs ist, dann sind doch nicht so sehr die Steueroasen das Problem, sondern eher das reguläre Bankgeschäft. Ich denke da z.B. an die Verantwortung deutscher und anderer europäischer Banken, die in den 90ern mit der massiven Vergabe von ungedeckten Krediten erheblich zur Asienkrise beigetragen haben.

F. K.: Man muss da zwei Sachen unterscheiden: Die Steueroasen wie Jersey spielen nicht nur als Ankerplatz für Steuerflüchtlinge eine Rolle, sondern sie haben auch eine wichtige Funktion für die Hedge-fonds, die mit ihren Spekulationsgeschäften die Krisen mit verursacht haben. An denen sind natürlich auch hiesige Banken ganz massiv beteiligt, und zwar nicht nur die Deutsche Bank, sondern auch sehr viele mittelgroße Geldhäuser, wie z.B. die Raiffeisenbanken.

LinX: Wie grenzen sie sich gegenüber rechter Propaganda ab, die das ganze Problem Globalisierung auf amerikanische Multis schieben will und alte Nazibegriffe vom "raffenden" und "schaffenden" Kapital aufleben lässt?

F. K.: Das ist in der Tat ein sehr schwieriges Thema. Wir versuchen das Problem zu vermeiden, in dem wir auch nach rechts und links gucken und die Komplexität der Verhältnisse darstellen. Des Weiteren vermeiden wir Personalisierungen wie "die Spekulanten" und stellen statt dessen die Logik das Kapitalismus in das Zentrum unserer Kritik. Ganz allgemein kann man sagen, dass wir immer versuchen, unser linkes Politikverständnis in den Vordergrund zu stellen.

LinX: Was heißt das konkret?

F. K.: D.h. darauf hinzuweisen, dass wir für weitergehende Umverteilung sind und dass wir für eine internationale und solidarische Bewegung eintreten, die auch einen Blick hat für die Probleme der Länder des Südens. Wir weisen z.B. darauf hin, dass die Steueroasen besonders auch für die Entwicklungsländer ein immenses Problem darstellen. Die können sich viel weniger wehren, als die Industriestaaten; z.B. gegen internationale Konzerne, die inzwischen dort fast ohne Körperschaftssteuer operieren, weil sie jederzeit mit der Abwanderung des Firmensitzes drohen können. Und wir fordern z.B. auch die Streichung der Schulden der Länder des Südens.

LinX: Deshalb werden sie auch gegen den G7-Gipfel Mitte Juli in Genua demonstrieren?

F. K.: Ja. Wir halten es für sehr wichtig, den vorherrschenden Diskurs zu brechen, der die Globalisierung als Naturphänomen erscheinen lässt. Treffen wie in Genua sind daher gute Gelegenheiten zu zeigen, dass die Globalisierung ihre Macher hat, dass es die Führungen der großen Industrienationen und Konzerne sind, die entscheiden, wo und wie lange die Globalisierung stattfindet. Mit Demonstrationen wie der geplanten in Genua kann deutlich gemacht werden, dass es sehr viele Menschen gibt, die damit nicht einverstanden sind. Wir werden daher auch Busse organisieren, die nach Italien fahren.

LinX: Wir danken für das Gespräch.

Kontakt wegen Bus nach Genua: Tel.: 04231-957591, Email: info@attac-netzwerk.de. Weitere Informationen im Internet unter: www.attac-netzwerk.de

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