Volksfeste

CSD Parade 2001 in Berlin:

Schwule "Oberkommandierende"? – Und das ist ...so?

Schrill-bunt, lärmend, auf und zwischen dutzenden Lkws strömten die Teilnehmer der Christopher Street Day (CSD) Parade am 24. Juni in Berlin über fünf Stunden den Kudamm runter, über den Nollendorf- und Potsdamer Platz, vorbei am Brandenburger Tor zur Abschlusskundgebung an der Siegessäule (!). 500.000 Menschen standen sich am Rande die Beine in den Bauch, tanzten oder liefen mit. Von Blümchensex-Darstellern bis zu martialischen Uniform- und Militaria-Look-Darstellern war alles was Botschaft und Performance bieten wollte auf den Beinen. Die Umzugswagen waren gesponsert von BVG bis WEST. Dass auch eine blanke Möse und einige freihängende Schwänze gesichtet werden konnten, wird – angesichts der visuellen Dominanz von mehr oder weniger entblößten Kurven in den Alltagsmedien – selbst betulich-konservative oder ältere Menschen nicht in Aufregung versetzen. Vereine wie "Homosexuelle und Kirche", "Ost-Frauen-Lesben-Camp" oder der "Homosexuelle AK der Polizei Berlin-Brandenburg" stoßen da wohl eher an die Grenzen der Toleranz.

Unter dem Motto "Berlin stellt sich que(e)r gegen rechts" war es die 23. CSD Parade in Berlin. Die Paraden – in Großstädten der ganzen Welt – erinnern heute weniger an den 27. Juni 1969, als sich Homosexuelle in New York in der Christopher Street gegen Diskriminierung zur Wehr setzten. Ausgelöst durch einen Polizeieinsatz gegen eine Schwulen-Bar flogen hier zwei Tage die Fetzen. Heute fliegen bei den Demonstrationen für die Gleichberechtigung der gleichgeschlechtlichen Lebensformen mehr die Hüllen und Küsse.

Dass demnächst sogar die Kugeln, unter einem sich outenden schwulen Oberkommandierenden der "Krisen- und Interventionsstreitkräfte" der BRD, fliegen werden, wird (kapital)gesellschaftlich Akzeptanz erfahren. Mit seinem Ausspruch "Ich bin schwul – und das ist gut so" hat der Regierende Bürgermeister von Berlin K. Wowereit hinsichtlich überkommener gesellschaftlicher Konventionen einen Meilenstein gesetzt. T-Shirts und Plakate sowie die Reden unter der Siegessäule – mit güldenen Kanonen bestückt ein Phallussymbol des preußisch-deutschen Militarismus – waren bedruckt und durchzogen mit dem Ausspruch. Vergleiche mit dem Ausspruch des Alten Fritz "Jeder nach seiner Facon" werden gezogen. Wie ein Popstar wurde das neue Stadtoberhaupt jubelnd empfangen. Erstmals dabei war auch der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Von beiden wurde – bezogen auf das Motto "Berlin ... gegen rechts" – der praktizierte "staatliche Antifaschismus" als Politik gegen jede Art von Intoleranz dargestellt. Dass Thierse auf Vorteile des städtischen Lebens für Pluralität im Zusammenleben verwies, war banal. Er ist wie andere ein Vertreter der amtierenden Politiker, die der Verschärfung der Asylgesetzgebung, dem Angriffskrieg gegen Jugoslawien, dem Sozialabbau etc. zugestimmt haben. Hiergegen wandte sich auch ein Aufruf eines alternativen CSD in Kreuzberg.

Am darauffolgenden Montag hat der Innenausschuss mit den Stimmen von "Rot-Rot-Grün" ein Berliner Ausführungsgesetz beschlossen: Schwule und Lesben können ihre Partnerschaft in Zukunft vor dem Standesamt besiegeln. Vorausgesetzt das Gesetz der rouge-olivgrünen Bundesregierung zur "Eingetragenen Lebenspartnerschaft" tritt an diesem Tag in Kraft. (Bayern hat dagegen Verfassungsbeschwerde erhoben)

Die gesellschaftliche Etablierung unterschiedlicher (Zusammen)Lebensentwürfe – ob gesetzlich legitimiert oder nicht – ist seit Mitte der 60iger Jahre eine gesellschaftliche Entwicklung, die das Leben der Menschen im System erträglicher macht und bisher durchweg dem kapitalistischen Gesellschaftssystem Agilität und Stabilität verliehen hat. Schwule lösen biedere Hausfrauen in der Fast-Food Werbung ab.

Im kommenden Berliner Wahlkampf wird eine Auseinandersetzung zwischen den in unterschiedlichen Lagern liegenden, aber auf Bewahrung orientierte Menschen vertretende, Parteien CDU und PDS zu beobachten sein. Waghalsig die vom Bundeskanzler favorisierte "Ampelkoalition" aus den auf innovativen Kapitalismus setzenden Parteien SPD/FDP/ GRÜNE schon als Sieger zu sehen. Darauf könnte man wetten, wenn nicht die GRÜNEN Teile des "Bewahrer-Lagers" in sich trügen und zerrieben zu werden drohen!

Und das ist alles gut oder schlecht so? Die Frage stellt sich nicht! Es ist so!
(W. Jard)

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