Gegendarstellung

zu dem Bericht über den EU-Gipfel in Göteborg in der LinX vom 23.6.01

Dieselbe Art von Lüge...

(ein entsprechender Artikel wurde in der "jungen welt" vom 18.6.01 veröffentlicht)

Wir sind eine Gruppe von AktivistInnen, die für die Dauer der Proteste in Göteborg waren und an den unterschiedlichsten Aktionsformen teilgenommen haben.

Wir wissen, dass einige Geschehnisse, die der Autor oben genannter Artikel beschreibt, nicht der Wahrheit entsprechen, bzw. entscheidende Fakten unterschlagen wurden. Wir fragen uns, ob sich "LinX" und "junge welt" über die politische Tragweite solcher Berichterstattung im Klaren sind.

Unsere Gegendarstellung:

Der Autor berichtete, dass im Hvitfeldska-Gymnasium in der Innenstadt gewaltfreie Gruppen ihren Protest vorbereiteten. Dies ist falsch! Diese Schule wurde von Gruppen mit sehr unterschiedlichen politischen Ausdrucksformen als Treffpunkt und Informationszentrum genutzt. Des weiteren befand sich dort eine große Volksküche, die von AktivistInnen aller Spektren in Anspruch genommen wurde. Nach der erfolgten Umstellung des Gebäudes durch die Polizei, wurde nach zähen Plena beschlossen, nicht der Forderung nach Einzeldurchsuchungen nachzukommen. Grundlage dafür waren verschiedene Erwägungen: Rechtzeitig zur Anti-Bush-Demo zu kommen, die für die folgenden Demos benötigten Materialien mitzunehmen und deutlich zu machen, dass wir unseren Protest bestimmen und nicht die Polizei. Es sollte durchgesetzt werden als geschlossene Gruppe aus dem Kessel zu gelangen. Dazu sollten, wenn nötig, auch die Polizeiketten durchbrochen werden. Menschen, die an dieser Aktion nicht teilnehmen wollten, konnten der Aufforderung der Polizei entsprechend nach Durchsuchungen einzeln den Kessel verlassen. Der Ausbruchsversuch missglückte und während des Rückzuges griff die Polizei äußerst brutal mit Schlagstöcken, Reiterei und Hunden an. Daraufhin wurde versucht die Polizei zurückzuschlagen und sich in der Schule zu verteidigen. Nicht erwähnt wurde außerdem die Verbarrikadierung der Schule, sowie die zum Teil erfolgreichen Ausbruchsversuche.

Dieselbe Art von Lüge ist es, zu schreiben, dass am Freitag Abend "eine friedliche Menge aus dem gewaltfreien Hippie-Spektrum eine Reclaim-the-Streets-Party" feierte. Dieses Zurückerobern der Strasse gehörte genauso zu den Protesten wie viele andere Aktionsformen, und war nicht bloß ein unpolitisches Feiern, wie der Autor suggeriert. Die Stimmung dort war sehr kämpferisch und konzentriert. Die folgenden Riots entstanden aus den Versuchen die dort eingekesselten Menschen zu befreien.

Besondere Erwähnung schenkt die "LinX" /"junge welt" in ihrer Berichterstattung biertrinkenden und/oder deutschen Straßenkämpfern (es gab und gibt übrigens auch Straßenkämpferinnen). Betrunkene und Deutsche gab es bestimmt. Nationalität und Alkoholpegel waren jedoch nicht verantwortlich für die Riots, sondern Neoliberalismus, Kapitalismus und Herrschaft.

Unserer Meinung nach ist eine derartige Verdrehung von Tatsachen Taktik und führt zu einer Entpolitisierung des Widerstandes und fördert die innerlinken Grabenkämpfe und Spaltungstendenzen.

"LinX" / "junge welt" konstruieren ein Szenario das moralisch integere, gewaltfreie Hippies oder wahlweise auch ReformistInnen den unpolitischen und gewaltgeilen Autonomen gegenüberstellt. Unabhängig davon, ob von "LinX" / "jungen welt"resp. ihrem Autor eine solch katastrophale politische Situation gewünscht wäre, gab es vor Ort diese Trennung nicht.

Tenor Eurer EU-Gipfelberichterstattung ist zudem, dass die ProtagonistInnen der Protest- und Widerstandsaktivitäten hilflose Opfer der Polizeiwillkür und -brutalität waren. Dies ist eine einfältige und entmündigende Darstellung linksradikaler Formierungsprozesse. Eine solidarische Begleitung dessen ist schon erst recht nicht mehr auszumachen. Ob es Euch gefällt oder nicht: Das Geschehen wurde sehr wohl selbstbewusst und offensiv mitbestimmt.

Juristerei ist das Handwerk der Herrschenden und wohl niemand bezweifelt, dass die Schützen von Göteborg unbehelligt bleiben werden.

Dass Schüsse fallen könnten, damit mussten wir rechnen, wir sehen sie jedoch als Angriff auf die wachsende antikapitalistische Bewegung an. Dem linksradikalen Widerstand die Schuld für staatliche Gewalt zu geben, rechtfertigt jede Repression. Menschen, die das behaupten, stellen die Welt auf den Kopf und sich selbst auf die Seite der Herrschenden.

Von einer linken Zeitung / Zeitschrift hätten wir erwartet, zumindest Ursache und Wirkung unterscheiden zu können. Dies umso mehr, da es sich bei dem behandelten Themenkomplex um die Auseinandersetzung zwischen Herrschaft und Widerstand handelt. So bleibt uns anzunehmen, dass ihr die übliche bürgerlich-reformistische Rezeption der Riots und ihrer ProtagonistInnen à la "Krawalltouristen, die nur einen Anlass suchen" teilt.

Zum Schluss noch eine kleine Anmerkung zu den erwähnten entglasten Tante Emma-Läden und dem Buchladen: Wir denken, dass Kritik an linksradikalen Aktionen wichtig und nötig ist, aber nur wenn eine solidarische Diskussionsbasis vorhanden ist.

Kapitalismus, Ausbeutung und Unterdrückung weltweit bekämpfen! Für eine herrschaftsfreie Gesellschaft!

einige der desperad@s

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