Buchbesprechung

Einladung zum Dialog

Newo Ziro - Neue Zeit? Wider die Tsiganomanie" - unter diesem Titel ist, herausgegeben von Zazie Wurr, im kleinen und engagierten Kieler agimos verlag ein "Sinti- und Roma-Kulturlesebuch" erschienen. Das Buch versammelt Beiträge von einer Vielzahl von Autorinnen und Autoren. Gemeinsamer Bezugspunkt aller Texte ist das Thema der kulturellen Identität von Sinti und Roma in der heutigen Gesellschaft. Wie der Verlagsort Kiel vermuten lässt, liegt das Gewicht zunächst auf der Situation in Norddeutschland. Tatsächlich hat der Landesverband der Sinti und Roma in Schleswig-Holstein das Zustandekommen des Buches maßgeblich unterstützt. Wer nun aber erwartet, in dem Beitrag von dessen Vorsitzenden Matthäus Weiss die typischen Verlautbarungen eines Verbandsfunktionärs zu finden, wird angenehm enttäuscht: Weiss erzählt aus seinem eigenen Leben, von einer harten Kindheit und Jugend auf dem Kieler "Zigeunerplatz" und von der allmählichen Entwicklung seines politischen Engagements.

Die meisten Texte des Bandes zeichnen sich durch den Gestus des Erzählens aus, der sich von einer bis auf unsre Tage ausschließlich auf Mündlichkeit vertrauenden Kultur herschreibt. Die Zurückhaltung, mit der diese Haltung von der Herausgeberin verschriftlicht worden ist, zählt zu den einnehmendsten und sympathischsten Aspekten des Buches. Auch einige Nicht-Sinti, die in sozialen und wissenschaftlichen Projekten mit Sinti und Roma zusammenarbeiten, sind mit Texten in dem Band vertreten, darunter auch Günter Grass. Die Frankfurter Filmemacherin Melanie Spitta schildert ih ihren beiden Beiträgen eindringlich die Verfolgung der Sinti und Roma unter dem nationalsozialistischen Regime. Unnachsichtig zeigt sie die nicht nur personellen Kontinuitäten zwischen nationalsozialistischer Zigeunerpolitik und der Bundesrepublik auf.

Repräsentativ für das Verständnis von Integration, dem sich "Newo Ziro - Neue Zeit?" verpflichtet , ist der Bericht von Wanda Kreutz über ihre Arbeit als Mediatorin an einer Kieler Schule. Auf die Frage, mit der sich Matthäus Weiss in seinem Beitrag auseinanderstzt: wie Sinti und Roma ihre gesellschaftliche Marginalisierung überwinden können, ohne ihre kulturelle Identität preizugeben, scheint das Kieler Mediatorenprojekt wenigstens für den Bereich der Schule eine Antwort anzubieten.

Mehrere Beiträge verweisen auf die vielfältigen Beziehungen, die die Gemeinschaften der Sinti und Roma über Länder- und Staatsgrenzen hinweg verbinden. Hier sei nur der Text von Lalla Weiss hervorgehoben, Koordinatorin der Nationalen Sinti-Organisation in den Niederlanden, die einen doppelten Emanzipationsprozess als Frau und Angehörige einer Minderheit beschreibt.

Zuguterletzt bleibt noch auf ein zentrales Thema des Buches hinzuweisen: die Musik. Die Bedeutung der Musik, ihre Identität und Zusammengehörigkeit stiftende Funktion und ihr kommunikatives Potenzial sind Motive, die an vielen Stellen des Buches anklingen. Vor allem Musiker der jüngeren Generation äußern sich hier über ihr Traditionsverständnis und ihre Vorstellungen von einer Weiterentwicklung der Sinti-Musik. Herausgeberin und Verlag haben dem Buch eine CD mitgegeben, auf der verschiedene Gruppen aus Kiel und Hamburg zu hören sind. Insgesamt beeindruckt das Selbstbewusstsein und die Selbstverständlichkeit, mit der Sinti und Roma hier das Wort ergreifen, auf ihrer kulturellen Identität bestehen und ihre politischen und sozialen Rechte einfordern.
Arne Lauinger

Zazie Wurr (Hg.), Newo Ziro - Neue Zeit? Wider die Tsiganomanie. Ein Sinti- und Roma-Kulturlesebuch, agimos verlag, Kiel 2000, Br., 168 S. zahlreiche Abb., CD mit 5 Titeln, DM 24,90

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