Globalisierung

G7-Treffen:

Raubritter unter sich

Nichts als heiße Luft sei beim G7-Treffen in Genua herausgekommen, meint Philipp Hersel von Attac im jW-Interview. Sicher: Die Staats- und Regierungschefs der mächtigsten Staaten haben keinen Kurzwechsel beschlossen, hin zu einer sozialeren Welt - was allerdings auch niemand ernsthaft erwartet hat. Insofern hat er also Recht. Dennoch lohnt sich ein Blick auf die Erklärungen der Mächtigen, denn was sie vorhaben, ist wesentlich mehr, als die Erhaltung des Status quo.

Zunächst ist da vor allem die Welthandelsorganisation WTO zu nennen. Die EU drängt, nicht zuletzt auf Veranlassung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, bereits seit langem auf eine neue Verhandlungsrunde. In Seattle war sie 1999 damit am Widerstand der Entwicklungsländer gescheitert, die USA hatten seinerzeit aus innenpolitischen Gründen das Ansinnen nur halbherzig unterstützt. In Genua wurde nun bekräftigt, was sich bereits seit längerem abzeichnet, nämlich, dass das Vorhaben gemeinsam angegangen werden soll: "... verpflichten wir uns heute, uns auf der IV. WTO-Ministerkonferenz in Dohar, Katar, im November persönlich und gemeinsam für die Einleitung einer neuen ehrgeizigen Runde weltweiter Handelsverhandlungen einzusetzen."

Den europäischen und amerikanischen Konzernen geht es bei dieser neuen Verhandlungsrunde nicht nur um verbesserten Marktzugang für ihre Exporte weltweit. Mehr noch sind sie daran interessiert, die Märkte für Dienstleistungen zu öffnen, sowie alle ca. 140 WTO-Mitglieder zur Privatisierung der profitablen Teile des öffentlichen Dienstes zu zwingen. Der Dienstleistungsmarkt ist vor allem für Versicherer und Medienkonzerne von Interesse, die sich frühzeitig in den aufstrebenden Schwellenländern ein gehöriges Stück vom Kuchen sichern wollen. Auf die Privatisierungen sind hingegen vor allem die großen Versorgerkonzerne wie RWE und Vivendi scharf, die sich u.a. vom Zugriff auf das Trinkwasser Profite erhoffen. Damit diese auch langfristig gesichert bleiben, möchte die EU in die neuen WTO-Verträge, die sie anstrebt, auch gleich eine möglichst weitgehende rechtliche Absicherung der Position ausländischer Investoren festgeschrieben haben. Es geht letztendlich um die Wiederauferstehung des MAI (Multilaterales Abkommen über Investitionsschutz) im neuen Gewande.

In Seattle war ein entsprechender Vorstoß der Europäer am Widerstand der Entwicklungsländer gescheitert. Inzwischen hat Brüssels hartnäckige Diplomatie einige wichtige Staaten aus der Ablehnungsfront des Südens herausbrechen können. Namentlich Südafrika geht derweil unter seinen Nachbarn und anderen Entwicklungsländern für eine neue WTO-Verhandlungsrunde hausieren. Daraus zu machen, dass vor allem die Entwicklungsländer Verhandlungen für eine weitere Liberalisierung des Welthandels wollen, wie es dieser Tage ein großes national-liberales Wochenmagazin tat, ist allerdings gelinde gesagt irreführend. Vermutlich hat der Autor einfach ein entsprechendes Propagandapamphlet der Bundesregierung abgeschrieben.

Die Gründe, weshalb die Entwicklungsländer in Seattle eine neue Runde ablehnten, sind vielfältig. Unter anderem beharrten sie darauf, dass erst die bestehenden Probleme aus den alten Verträgen gelöst werden müssten und vor allem auch die Industriestaaten endlich ihre Verpflichtungen erfüllen müssen. Die führen nämlich gerne den Freihandel auf den Lippen, finden aber dennoch tausend Wege, ihre heimischen Industrien vor Importen aus dem Süden zu schützen. Vor allem die afrikanischen Staaten forderten zudem Nachverhandlungen über das Abkommen über Handelsaspekte des Schutzes von Patenten und Urheberrechten (TRIPS). Wie den Regierungen im Nachhinein aufgegangen war, waren sie hier seinerzeit in der Uruguay-Runde schlicht weg über den Tisch gezogen worden, in dem sie Privatunternehmen aus dem Norden weitgehende Rechte einräumten, die genetischen Ressourcen ihrer Länder zu patentieren.

Die Genua-Erklärung der G7 - an der Russland nicht beteiligt war - lässt indes keinen Zweifel daran, dass man nicht gedenkt, den Anliegen der Länder des Südens entgegen zu kommen. Deren angebliche Prioritäten werden einfach umdefiniert, in dem sie allein auf verbesserten Marktzugang im Norden reduziert werden. Hier gibt es die seit Seattle üblichen wohlfeilen Willensbekundungen, denen bisher wenig Taten gefolgt sind. Ansonsten gibt es nach wie vor nackte Erpressung: "Wir erkennen an, dass es bei der Umsetzung der Vereinbarungen der Uruguay-Runde (d.h. der bestehenden WTO-Verträge) legitime Anliegen gibt. Wir ... sind bereit, Wege zu prüfen, wie wir (in der Lösung dieser Frage) weitere Fortschritte im Zusammenhang mit der Einleitung einer neuen Runde erzielen können." Auf Deutsch: Wir sprechen nur über eure Probleme, wenn ihr zuvor grundsätzlich einer neuen Verhandlungsrunde zustimmt.

Bemerkenswert ist, dass die G7-Chefs sich offensichtlich in der arabischen Wüste persönlich für den Startschuss zu einem neuen Verhandlungsmarathon stark machen wollen. Soviel Engagement hätte man sich vielleicht auch einmal in Fragen wie den weltweiten Klimaschutz erhofft. Doch bei den Klimakonferenzen handelt es sich ja um einen Prozess im Rahmen der Vereinten Nationen, in dem jeder Staat zumindest formell das gleiche Gewicht hat. Anders in der WTO. Hier bestimmen die Mitglieder, wer zugelassen ist, und der Eintritt ist nicht umsonst zu haben. Derzeit kann man das an den Verhandlungen mit China ablesen, dem die EU und die USA hohe Zugeständnisse bezüglich der Marktöffnung abverlangt haben, bevor es demnächst beitreten darf.

Bei den gleichzeitig in Bonn stattfindenden Klimaverhandlungen ließ sich jedoch kein Regierungschef blicken. Statt dessen verkündete man aus Italien: "Wir bekräftigen unsere Entschlossenheit, globale Lösungen für die unseren Planeten bedrohenden Gefahren zu finden." Nicht die fast 180 Mitgliedsländer Klimarahmenkonvention, sondern die führenden Industrienationen werden also die Lösung finden. Da ist sie wieder die Kolonialherrenmentalität. Dabei hatte man sich doch angesichts der Proteste mit so vielen schönen, bunten Seifenblasen über die Einbeziehung der Zivilgesellschaft Mühe gegeben, nicht zu deutlich zu werden.

Während in Bonn auf der UN-Konferenz noch über einen schwindsüchtigen Kompromiss gestritten wurde, verkündeten die Herren in Genua, man wolle für 2003 eine "Konferenz über Klimawandel (einberufen) unter Beteiligung von Regierungen, Unternehmen, Wissenschaftlern und Vertretern der Zivilgesellschaft ... ." Soll heißen: Was kümmern uns die Verhandlungen im Rahmen der UN-Konvention, was kümmert uns die große UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung 2002 in Südafrika ("Rio plus 10"), wir bestimmen selbst, wo es lang geht. Nachdem mit der WTO die UNO in Handelsfragen kastriert wurde, macht man sich wohl inzwischen Gedanken, wie man diesen Erfolg auf anderen Gebieten wiederholen könnte. (wop)

Berlusconi und sein Vize im Schwarzen Block. Fotomontage von Indymedia Italia
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