Repression

Erklärung der Solidaritätsgruppe Göteborg

 

Urteil nach Volkes Stimme in Göteborg

Schöffen überstimmen Richter in einem fragwürdigen Urteil

"Das Urteil erschüttert mein Verständnis vom Rechtsstaat." Mit diesen ungewöhnlich harschen Worten charakterisierte der Stellvertretende Berliner Landeschef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Andreas Köhn, das Urteil gegen Hannes Heine. Das Mitglied des Landesbezirksjugendvorstandes der IG Medien Berlin-Brandenburg war Ende letzter Woche zu einer Haftstrafe von 14 Monaten ohne Bewährung verurteilt worden, weil er sich bei Protesten gegen den EU-Gipfel am 15.Juni an gewalttätigen Ausschreitungen beteiligt haben soll.

Das zumindest behauptet die Anklage. Sie stützt sich allein auf die Aussage eines Zivilpolizisten, der einen vermummten Mann von hinten bei Krawallen beobachtet und ihn 7 Stunden später ohne Vermummung zufällig auf der Straße wieder erkannt und festgenommen hat. Zum Zeitpunkt seiner Festnahme befand sich Hannes Heine in einer Gruppe friedlicher Demonstranten. Heine versicherte in einer Erklärung, er habe sich nicht an Gewalttaten beteiligt und sei von dem Zivilpolizisten verwechselt worden.

Die fünfköpfige Delegation des Landesbezirksfachbereichsjugendvorstandes von Verdi, die sich in Göteborg an den Protesten gegen den EU-Gipfel beteiligt hatte, bestätigte die Aussagen ihres Kollegen: "Wir haben - wie die Mehrzahl der Protestierenden - gemeinsam friedlich demonstriert." Auch der zuständige Richter Hakan Ernström plädierte auf Freispruch, weil er die Aussage des Zivilpolizisten für eine Verurteilung als nicht ausreichend erachtete. Er wurde jedoch von den drei Schöffen überstimmt, die allesamt keine Juristen sind.

"Das Urteil ist erschütternd", sagte der schwedische Anwalt des Angeklagten, Jürgen Koch, der Berliner Zeitung. Für den Juristen widerspiegelt das Urteil eine Law and Order Stimmung, die sich in den letzten Wochen in Schweden Gehör verschafft hat. So hätte sich besonders die Boulevardpresse mit harscher Justizschelte hervorgetan und die bisherigen Urteile gegen vermeintliche Krawallmacher von Göteborg als "zu milde" kritisiert.

Im Gegensatz dazu haben Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International heftige Kritik an den Haftbedingungen der in Göteborg Festgenommenen geäußert. "Die Behandlung der Gefangenen ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen .... nicht zu vereinbaren", schrieb auch der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele in einer Presseerklärung.

Die Gefangenen waren in den ersten drei Wochen totalisoliert und durften weder telefonieren noch Besuche empfangen. Das Licht in der Zelle konnte nur von den Wärtern ein- und ausgeschaltet werden. "Du lagst den ganzen Tag auf der Pritsche, hattest Rücken- und Kopfschmerzen. Die einzige Abwechslung war das tägliche Duschen und die drei Mahlzeiten", schildert einer der Festgenommenen, Ronny K., die Situation im Knast. Er saß 14 Tage unter diesen Bedingungen in Untersuchungshaft und wurde dann ohne Begründung, wie eine Reihe weiterer Festgenommener, freigelassen und nach Deutschland abgeschoben.

Ausländische Anwälte wurden zu dem Verfahren nicht zulassen. So konnte der Berliner Rechtsanwalt Volker Ratzmann, obwohl er die Vollmacht eines der Gefangenen besitzt, seinen Mandanten weder besuchen noch juristisch für ihn tätig werden. "Da ist sogar die türkische Regierung moderater", erklärte Ratzmann.

Neben Heine befinden sich noch 29 weitere Personen im Zusammenhang mit den Protesten gegen den EU-Gipfel in Untersuchungshaft. 19 Urteile wurden schon gesprochen. Immer gab es Haftstrafen zwischen 1 Monat und 3 Jahren. Obwohl sämtliche Angeklagte nicht vorbestraft waren, wurde allen Verurteilten die Aussetzungen der Strafen zur Bewährung verweigert.

Zu den Verurteilten gehört auch der 43jährige italienische Gewerkschaftler Luigino Longo. Zweieinhalb Jahre Gefängnis wegen Gewalttätigkeit bei den EU-Protesten verhängte das Amtsgericht Göteborg. Dabei hat er ein gutes Alibi. Zum Zeitpunkt der Ausschreitungen befand er sich noch bei der Anreise im Bus und wurde von einem norwegischen Fernsehteam gefilmt und interviewt. Weil der Polizist, der Longo beim Steinewerfen während der Demonstration gesehen haben will, den Zeitpunkt seiner Beobachtungen plötzlich um einen Tag rückverlegte, wurde er verurteilt. "Mit diesen politischen Prozessen will die Machtelite das Volk am Demonstrieren hindern", erklärte der Vertrauensmann der schwedischen Lokführergewerkschaft Rolf Jürgensen der Frankfurter Rundschau.

Selbst eine Berufung gegen die Urteile ist für die Betroffenen eine schwierige Entscheidung. Denn ein Prozess in der nächsten Instanz kann bis zu 5 Monate dauern. Solange bleibt der Häftling den widrigen Bedingungen der Untersuchungshaft unterworfen. Nimmt er das Urteil an, kommt er in Strafhaft, wo er mit anderen Gefangenen zusammen ist, regelmäßig Post und Besuch empfangen kann. Hannes Heine hat trotzdem über seinen Anwalt Berufung gegen das Urteil eingelegt.

Peter Nowak, 09.08.2001


Von: Solidaritätsgruppe Göteborg

Für alle Freunde ein paar Informationen über die politischen Gefangenen in Göteborg


Während des EU-Treffens wurden 51 Personen verhaftet. Einer war ein Irrtum und wurde eine Woche später freigelassen, nachdem die Polizei ihren Fehler bemerkt hatte. Einige wurden ohne Kaution wieder freigelassen seitdem, und einige davon werden noch beobachtet. 6 Personen wurden gerichtlich für unschuldig erklärt, einer wurde verurteilt, weil er Haschisch in seiner Wohnung hatte als Ersatz für die Krawalle, weil ihm keine Beteiligung nachzuweisen war, 23 Leute wurden für schuldig befunden im Zusammenhang mit den Krawallen, und die Strafen reichten von 8 Monaten bis zu 4 Jahren. Das übliche Strafmaß war 1 Jahr. 2 Personen wurden zu zweieinhalb Jahren und eine zu 4 Jahren verurteilt. Diese Leute wurden wegen Rädelsführerschaft angeklagt. 8 Leute warten im Gefängnis noch auf ihren Prozessbeginn, der nicht vor Ende August erwartet wird. Die meisten haben Revision eingelegt.

Die Person, die angeschossen wurde, ist wieder wohlauf und arbeitet bei uns im Büro. Er soll noch angeklagt werden, über den Zeitpunkt wurde noch nicht entschieden.

Die 16 Menschen, die noch im Gefängnis sind, haben unter Restriktionen zu leiden. 5 sind Ausländer, ein Engländer, ein Norweger-Italiener und 3 Deutsche. Eine Gruppe von 8 Schweden ist sehr jung und hat die Inhaftierung satt. Die meisten Inhaftierten sagen, dass sie vom Wachpersonal gut behandelt wurden. Ein paar wenige sind geschlagen worden von der Polizei. Das größte Problem ist das Essen, denn für Vegetarier oder Veganer (die Mehrheit) wurde bis zur zweiten Woche nicht extra gekocht. Besucher, die keine Verwandtschaft zu den Inhaftierten nachweisen können, werden in der Regel nicht vorgelassen, aber das ist normal in Schweden. Ein Brief braucht eine Woche bis zur Aushändigung, aber die meisten kommen an. Sie können auch Briefe nach draussen senden, so dass du ihnen deine Adresse geben kannst, wenn du ihnen schreibst. Denk dran, dass die Polizei die Briefe liest!

Eine Menge Leute beklagen sich bei der Regierung und Polizei über die Behandlung während des EU-Treffens. Wir haben ein paar Adressen angehängt, an die man sich mit seiner Klage wenden kann, sowie unsere Adresse. Wir bringen den Gefangenen fast täglich Briefe, Geld, Bücher und kleine Gebrauchsgegenstände - wenn du willst, kannst Du uns Post für die Gefangenen schicken, die wir dann aushändigen. Wir sammeln auch Geld für Rechtshilfe, dafür haben wir unsere Kontonummer angegeben.

Diese Soli-Gruppe fand sich hastig zusammen vor dem EU-Gipfel. Am Anfang waren wir nur 2 Leute, aber am Wochenende der Krawalle kamen 4 weitere dazu. Seitdem haben einige uns verlassen, andere sind dazugestossen. Die meisten von uns arbeiten seit 2 Monaten an dem Thema und werden das fortsetzen, solange unsere Freunde im Knast sind. Es gibt aus Soli-Gruppen in Malmö und Stockholm, die mit uns zusammenarbeiten. Wir haben beschlossen, keine Presseerklärungen herauszugeben, weil wir kein Info-Zentrum sind und auch keine politischen Statements abgeben wollen, das wollen wir anderen überlassen.

Heute gab die Polizei bekannt, dass keine Untersuchungen gegen Polizisten eingeleitet wurden. Es gebe zur Zeit kein Personal, sich mit solchen Fällen zu befassen. Lasst sie bitte wissen, was Ihr davon haltet!

Anschrift der Gefangenen:

(Name des Gefangenen)
Box 216
401 23 Göteborg
Sverige

Anschrift der Solidaritätsgruppe:

Solidaritygroup GBG
c/o Syndikalistiskt Forum
Box 7267
402 35 Göteborg
Sverige

Telefon: 0046 733 16 42 96

Wenn Du uns Geld schicken willst, dann nur so:
Sag deiner Bank, dass du Geld auf ein schwedisches Postgirokonto überweisen willst.
Kontonummer "PG 27602-2"
Kontoinhaber: "Nisse Latts minnesfond"
Bei: Postgirotbank SE 105 06 Stockholm
Du brauchst auch einen SWIFT-Code: "pgsi sess"

Klagen an die schwedische Regierung am besten unter:
www.utrikes.regeringen.se/inenglish/missions/index.htm

Beschwerden an die Polizei:
Polismyndigheten i Vastra Gotaland Box 429 401 26 Gothenburg SWEDEN

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