Kommentar

Bildungspolitik:

Leistungsfähige Kinder für den Standort D

Es soll ja immer noch Leute geben, die meinen, wenn in Seattle oder demnächst in Doha, Katar, Wirtschaftsminister aus aller Welt über den Welthandel sprechen und die EU die Gelegenheit nutzt, für eine radikale Privatisierung weltweit zu werben, dann hat das alles nichts mit ihnen zu tun. Insbesondere ist bisher kaum ins öffentliche Bewusstsein gedrungen, dass es auch eine entwickelte Diskussion über die Privatisierung der Bildung gibt.

Dass der Motor dieses Trends nicht eine anonyme Welthandelsorganisation ist, sondern Politiker und Konzerne nicht zuletzt aus Deutschland, war unlängst selbst dem hiesigen Provinzblättchen zu entnehmen. Karl-Martin Hentschel, Sprecher der Grünen Landtagsfraktion, outete sich diesbezüglich im KN-Gespräch am 23.8. einmal mehr als Neoliberaler (siehe Artikel von Wiljo Heinen in dieser Ausgabe).

In der gleichen Ausgabe beschrieb der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof das "moderne" Bildungs- und Erziehungsideal (das in Wirklichkeit so extrem nach Moder aus irgendwelchen preußischen Grüften riecht): "Unsere Zukunft hängt von leistungsfähigen und freiheitsbereiten Kindern ab." Und nicht etwa von glücklichen und freien Kindern. "Freiheitsbereit" ist aus dem juristischen Neusprech Kirchhofs zu übersetzen in die Bereitschaft, sich in die gegebenen Verhältnisse zu fügen. Verantwortlich für die "Produktion" dieser Zukunft ist natürlich die Familie: "Insbesondere unsere Freiheit vom Staat baut auf die enge Bindung und Hilfe unter Freiheitsberechtigten. Die Wahrnehmung verantwortlicher Elternschaft erübrigt die staatliche Lebensbegleitung des Kindes. Familiärer Unterhalt erspart öffentliche Sozialhilfe. Private Pflege ersetzt die Dienstleistungen von Seniorenheimen und Krankenhaus durch persönliche Zuwendung." Der das schreibt, ist kein Außenseiter, sondern war, wie gesagt, 12 Jahre lang Verfassungsrichter und prägt mit zahlreichen Veröffentlichungen über Steuer-, Wirtschafts- und Verwaltungsrecht die öffentliche Debatte mit.

Auch am Kieler Institut für Weltwirtschaft, einem der führenden neoliberalen Think-Tanks der Republik, macht man sich Gedanken über die Zukunft von Bildung und Erziehung in Zeiten der Globalisierung. Den Titel, den Institutsmitarbeiter Federico Foders für seine jüngst vorgelegte Studie wählte, verrät in aller wünschenswerten Klarheit, wohin die Reise geht: "Bildungspolitik am Standort D". Mehr Wettbewerb zwischen den Schulen sei nötig, um "die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung von Leistungsstandards", die die allgemein bildenden Schulen haben, zu überwinden. Um dies zu erreichen, müsse das Schulwesen für "private Anbieter" geöffnet werden. Schließlich, aber das spricht Foders nicht aus, wissen wir bereits aus dem Fortbildungsmarkt, dass das ein lohnendes Geschäft sein kann. Den Hochschulen empfiehlt er gar, "ihre Personalpolitik von den Vorgaben des öffentlichen Dienstes (zu) befreien", um in Zeiten knapper staatlicher Haushalte zu überleben; und natürlich: Studiengebühren, die nach seiner Rechnung ein Drittel des Finanzbedarfs der Hochschulen decken könnten.

Bei allem Gerede von Liberalität sollte man sich nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass Foders Vorschläge, die weder neu noch isoliert sind, für die Lernenden vor allem mehr Selektion und Druck, also Unfreiheit bedeuten werden. Foder geht sogar soweit, landesweit einheitliche Tests, die an einem Stichtag stattfinden sollen, zu fordern. Was ihm vorschwebt, ist ein allein an Leistung und Verwertbarkeit für die Produktion orientiertes Schulwesen, mit dem zudem private Unternehmen noch ihren Schnitt machen sollen. Entsprechend kommt ihm das Wort Bildung gar nicht erst über die Lippen. In Staaten wie Japan oder Korea kann man übrigens noch heute beobachten, zu welch schrecklichen Deformationen und hohen Selbstmordraten ein derartiges, leistungsorientiertes System führt.

Die Frage bleibt allerdings, was angesichts des desolaten Zustandes des unterfinanzierten, zum Teil überalterten und - was die Hochschulen angeht - gnadenlos verknöcherten Bildungswesens die emanzipatorische Antwort auf den Angriff der Neoliberalen ist. Die Verteidigung des Status quo dürfte kaum eine zugkräftige Alternative sein, wenn man auch in der Frage z.B. der Studiengebühren kaum drum herum kommt.
(wop)

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