Internationalismus

Grenzcamp 2001

Ein Tagebuch

Dieser Artikel ist reine Aktionsberichterstattung, er unternimmt nicht den Versuch einer inhaltlichen Bewertung oder Einschätzung. Neben den vielen Aktionen fanden auf dem Camp noch etliche Workshops, Diskussions- und Infoveranstaltungen statt.

Freitag, 27.07.2001:

Der Aufbau des Camps beginnt in den Mittagsstunden. Der Platz ist genehmigt und somit entfällt die obligatorische Platzbesetzung der letzten Jahre. Auf einer Wiese direkt zwischen Main und der B 43 kurz vor Kelsterbach entsteht unter sengendem Sonnenschein eine Zeltstadt.

Samstag, 28.07.2001:

Von Wiesbaden aus bewegte sich eine Wanderkundgebung per Bahn in die Frankfurter City. Ein Flohmarkt am Mainufer wurde mit der Campzeitung versorgt und eine Fußgängerbrücke über dem Main von einem Tranparent geschmückt. Bei der Kundgebung auf dem Römer (Frankfurter Rathausplatz) waren über 600 Leute. Nach der Kundgebung machten sich die meisten Leute auf den Weg zum italienischen Konsulat. Die Spontandemo war trotz der vielen Berichte (und Selbsterfahrungen) aus Genua ziemlich lahm, was an der Hitze und der langen Strecke gelegen haben dürfte.

Sonntag 29.07.01:

Die Betreibergesellschaft des Flughafens (Fraport) wollte partout die Demo gegen Abschiebungen durch das Terminal nicht genehmigen. Lieber hat sie ihre Terminals abgesperrt und nur noch Leute mit Flugtickets rein gelassen. Was am Flughafen schon zu Chaos führte als alle Camper gerade erst aus ihren Zelten gekrochen waren. Durch die Meldungen im Radio motiviert, machten sich über 1000 Leute auf den Weg zum Flughafen. Dort angekommen wurde dem Chaos noch etwas nachgeholfen.

Das für die Besucherplattform geplante klassische Konzert gegen Abschiebungen musste auch vor den Terminaltüren stattfinden. Für die meisten Leute verlief die Anreise problemlos, aber vor allem der Pink-Silver-Block (inspiriert durch Prag, Genua etc.) hatte so seine Probleme. Aus Raunheim kommend musste zum Hauptbahnhof in Frankfurt weitergefahren werden, ein Aussteigen am Flughafen wurde nicht erlaubt. Von dort ging es zurück, aber am Flughafen nicht aus der unterirdischen S-Bahnstation raus. Gegen Abend erlaubte die Fraport doch noch eine Kundgebung im Terminal C. In dem gut abgesperrten Bereich durften die Pink-Silver-Leute endlich dazustoßen. Nach Redebeiträgen, klassischer Musik und Cheerleading wurde der Flughafen erstmal verlassen.

Montag 30.07.01:

Einmal einen Tag im Camp verbringen. Der Montag bot die Chance dazu. Keine Veranstaltung lockte dazu das Camp zu verlassen. Es gab Infoveranstaltungen und Workshops zum NS-Durchgangslager in Kelsterbach, zu Einwanderungsdebatte und soziale Revolution, zu Genua, zu den anderen Grenzcamps des Sommers, zum Flughafenausbau und Vorbereitungen zum Innenstadtaktionstag am Mittwoch.

Dienstag 31.07.01:

100 Leute warfen von der Besuchertribüne Flugblätter in den Handelsraum der Börse. Nach zehn Minuten wurde das Gebäude gemeinsam verlassen und die Wahrzeichen der Börse (Bär und Stier) mit roter Farbe verziert. Die Aktion richtete sich gegen börsennotierte Unternehmen, die NS-Zwangsarbeiter beschäftigten. Das SPD-Büro im Frankfurter Rathaus wurde von 100 Leuten besetzt um Solidaritätsfaxe wegen Genua zu verschicken. Vor dem Haus standen 250 Leute. Auf dem Rückweg an der S-Bahnstation Hauptwache drehten ein paar Berliner Polizisten durch. Es gab mehrere grundlose, brutale Festnahmen und für ein paar Stunden war der S-Bahnverkehr gestört. Im Stadtteil Fechenheim bekam ein CDU-Lokalpolitiker von 70 Leuten einen Gartenzwerg in den Vorgarten betoniert als Würdigung für beschissenes Deutschtum. Er hatte vor drei Jahren nach einem Brandanschlag auf ein von Roma bewohntes Haus den Opfern eine Mitschuld unterstellt. Als Parolen an das Haus gesprüht werden sollten stürmte er aus seinem Haus und es kam zu einer kurzen Handgreiflichkeit, die jedoch Folgen hatte. Die Polizei stoppte zwei Fotografen (ap und dpa), die auf bei der Aktion dabei waren, in ihren Autos mit gezogenen Waffen und nahm sie fest. Dieses Verhalten blieb von Presseagenturen, -verbänden und einigen anderen nicht ohne Kritik. In Walldorf fand eine Führung über den Lehrpfad des ehemaligen KZ-Außenlagers statt.

Mittwoch 01.08.01:

Innenstadtaktionstag – In der gesamten City von Frankfurt finden Aktionen statt. Im Arbeitsamt wird eine Alternative Jobbörse aufgebaut. Die Informationen über die angebotenen Jobs (Schlepper, Bankräuber) werden mit Interesse gelesen. In einer Seitenstraße der Zeil (Haupteinkaufsstraße) wird ein Grenzpunkt aufgebaut. Passanten, die die Frage ob sie deutsch sein mit ja beantworten, müssen sich einer Personalienkontrolle unterziehen. Die Aktion soll das Gefühl vermitteln auf offener Straße kontrolliert zu werden. Die Reaktionen reichen von Pöbeleien bis zu einem bereitwilligen Ausfüllen der Formulare. Nach zwei Stunden beendete die Polizei die Aktion. Auf dem "Eisernen Steg" wird ein weiterer Kontrollpunkt eingerichtet. Er trennt zwei Postleitzahlenbezirke. Kriterien sind z.B. das Tragen von Sandalen, Brillen etc. Ist das Bedürfnis in einem PLZ-Bezirk an einer bestimmten Personengruppe gedeckt, muss die angehaltene Person, die zu jener Personengruppe gehört, warten bis eine passende Person (z.B. ein anderer Sandalenträger) den anderen PLZ-Bezirk verlässt. Den ganzen Tag über werden hunderte Fahrkartenautomaten mit dem Aufkleber "Außer Betrieb" versehen. Andere Leute verteilen offiziell wirkende Faltblätter, die die Fahrgäste darüber informieren, dass ab November keine Fahrscheinkontrollen mehr stattfänden würden. Die Begründung im Text wird gut angenommen. Die Verteiler werden sogar von zwei Kontrolleuren gefragt ob das heißen würde, dass sie dann arbeitslos seien. Der Pink-Silver-Block ist auf der Zeil unterwegs. Bevor die Polizei reagiert sind fünf oder sechs Kaufhäuser besucht worden. Dort gab es jeweils akrobatische Einlagen zu bewundern. Die anfangs anwesenden hessischen Polizisten sind total überfordert und planlos. Ihnen gelingt es nicht die 100 Leute aufzuhalten. Erst als die Verstärkung von Berliner Kollegen erhalten gelingt es ihnen die Demo auf der Konstablerwache einzukesseln. Nach halbstündigen Verhandlungen löst die Polizei den Kessel auf und lässt die Leute mit der S-Bahn wegfahren. Am Nachmittag wurde im Hauptbahnhof eine neue Lounge zum Verweilen eröffnet. Auf dem großen Bahnsteig (Sackbahnhof) wurden Sessel, Klappstühle, Tische und Blumen aufgestellt, Teppiche verlegt und Freibier verteilt. Der massiv anwesende BGS agierte zurückhaltend. Gegen 19 Uhr zogen an die 1000 Leute vom HBF als kurze Demo zum Kaisersack (Sackgasse direkt am Bahnhof). Dort standen schon der Bühnen-LKW und die Vokü. Die Stimmung beim Konzert (Egotronic, Microphone Mafia, Blumfeld,...) war durch die Nachricht vom Tod von Alexis getrübt. Er war am Tag im Badesee beim Camp ertrunken. An vielen Laternenpfählen, Ampel, Parkautomaten usw. war das Camp präsent. Es gab viele verschiedene Spucki- und Aufklebermotive.

Donnerstag 02.08.01:

200 Leute demonstrierten in Wölfersheim gegen Faschismus. In dem 9000-Seelen-Ort bekam die NPD bei den Kommunalwahlen 1997 22%, dieses Jahr immerhin noch 10%. In Frankfurt wurde vor der Ausländerbehörde eine symbolische Mauer errichtet um Unbeteiligten die unsichtbaren Grenzen in Deutschland sichtbar zu machen. Aus Angst vor weiteren Aktionen war das Betreten des Flughafenterminals erneut nur Besitzern von gültigen Flugtickets gestattet.

Freitag 03.08.01:

In Frankfurt demonstrierten 1000 Leute gegen die Residenzpflicht für Flüchtlinge. Im Anschluss daran wurden aus einem SPD-Büro erneut Soli-Faxe für Genua-Gefangene verschickt. Bei der Demo von 300 Leuten gegen den Abschiebeknast in Offenbach musste die Polizei wieder mal Stärke zeigen. Auf dem Flughafen war ein Saal für ein internationales Hearing angemeldet worden. Ein paar Stunden vor Beginn kündigte die Fraport mit Verweis auf die öffentliche Sicherheit des Flughafens den Mietvertrag. Zum Thema "Tod im Transit" fanden sich dann in einem Raum der Frankfurter Uni neben den Besuchern auch etliche internationale ExpertInnen ein.

Samstag 04.08.01:

2500 Menschen bei der Abschlussdemo am Flughafen. Geplant war eine Demo durch die Terminals, aber diese waren nur mit Flugtickets zu betreten. Viel Polizei und BGS aus ganz Deutschland. Der Pink-Silver-Block wurde auf seinem Weg vom Fernbahnhof zur Demo auf der Straße vor dem Terminal in einem Glastunnel festgesetzt und mit Pfefferspray/CS-Gas besprüht. Sie durften aber noch zur Demo. Die Demo zog zum Tor 3. Dort ist die Einfahrt zum Bereich C183, dem Internierungslager für am Flughafen ankommende Flüchtlinge. Der Bereich um Tor 3 (kleine Stichstraße von der Hauptsraße ab, ca. 100m, dann das Tor) war von einer Doppelreihe Absperrgittern und 3-5 Rollen Nato-Draht gesichert. Auf diesen Käfig waren fünf Wasserwerfer gerichtet, über deren Einsatz sich viele bei der Hitze gefreut hätten. Dazu kam es nicht. Auf dem Rückweg gab es noch den eher symbolischen Versuch von Pink-Silver in das Terminal einzudringen. Trotz guter Polsterung (Isomatten im Transparent und um die Körper, Schwimmbrillen etc.) gab es kein Durchkommen durch die Polizeikette. Besonders unschön waren die Zivilpolizisten, die wie wild mit Pfefferspray/CS-Gas um sich schossen und dabei nicht einmal auf ihre uniformierten Kollegen Rücksicht nahmen. Zum Abschluss fand ein großes Abschlussplenum statt, aber nicht wie geplant an einem öffentlichen Ort in Kelsterbach, sondern auf dem Camp. Um 3.30 Uhr war es zu Ende.

Sonntag 05.08.01:

Abbauen und nach Hause fahren. Dieses Jahr ohne einen "Besuch" der Polizei auf dem Camp.
(B.E.)

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