Antifaschismus

Neonazi-Gewalt erreicht neue Qualität:

NPD-Landesvorsitzender sucht aktive Antifaschistin zu Hause auf und verletzt unbeteiligten Nachbarn

Kiel. Der NPD-Kreisverband Kiel-Plön führte am Samstag, den 25. August 2001 im Kieler Stadtteil Mettenhof eine Flugblattverteilaktion durch. Gegen 10 Uhr bauten sie hierfür auf dem Kurt-Schumacher-Platz einen so genannten Informationsstand auf und versuchten ca. zwei Stunden lang, ihre rassistischen und menschenverachtenden Pamphlete an die Mettenhofer Bevölkerung zu verteilen. Allerdings stießen sie dabei auf eher geringes Interesse seitens der dort einkaufenden Menschen. Da die Neonazis in den vergangenen Monaten bei ähnlichen Aktionen in der Kieler Innenstadt fast immer mit protestierenden AntifaschistInnen konfrontiert wurden, und die Nazis dabei meist den Kürzeren zogen und flüchten mussten, waren sie diesmal besser vorbereitet. Während einige Nazis äußerst zögerlich versuchten, ihre Flugblätter zu verteilen, postierte sich der weitaus größere Teil der insgesamt ca. 15-20 Nazis in den umliegenden Straßen, um die Propagandaaktion abzusichern. Nach knapp zwei Stunden brachen die Neonazis ihre Aktion sichtlich gelangweilt ab, da sich kaum jemand für ihre Hetzschriften zu interessieren schien. Mittlerweile hatten sich einige MettenhoferInnen am Kurt-Schumacher-Platz eingefunden, um die Nazis zum Abbruch ihres NPD-Standes zu bewegen. Als die Nazis, die gerade mit dem Einpacken ihres Materials beschäftigt waren, die Mettenhofer Jugendlichen erblickten, sprangen sie hektisch in ihre Fahrzeuge und rasten davon. Dies konnte jedoch nur unter lautstarkem Protest stattfinden. Wenig später ließ der Landesvorsitzende der NPD, Peter Borchert, seiner offensichtlich entstandenen Wut über das jähe Ende der Propagandaaktion freien Lauf und warf –während der Rotphase an einer Ampel- willkürlich die Heckscheibe eines neben ihm wartenden Autos mit einem größeren Gegenstand ein und flüchtete. Durch einen glücklichen Zufall wurde keiner der PKW-Insassen oder der nachfolgenden Autos verletzt; die Insassen des geschädigten PKW erstatteten daraufhin Anzeige gegen Borchert.

Peter Borchert ist für die Polizei kein unbeschriebenes Blatt: der 27jährige hat bereits als Jugendlicher zwei jeweils dreijährige Gefängnisstrafen wegen gefährlicher Körperverletzung, räuberischem Angriff, schwerer räuberischer Erpressung sowie Volksverhetzung abgesessen. Seit seiner Entlassung Anfang 1998 hat er sich innerhalb der militanten Neonaziszene Norddeutschlands zu einem der führenden Kader hochgearbeitet. Eng eingebunden in das Netzwerk der sog. "Freien Kameradschaften" um die Hamburger Neonazikader Christian Worch und Thomas Wulff, trat er anfangs v.a. als Koordinator faschistischer Ordnertrupps auf und beteiligte sich regelmäßig an Aufmärschen der militanten Neonaziszene. Mittlerweile gehört er selbst zu den Organisatoren diverser Naziaufmärsche, bei denen er oftmals auch als Redner auftritt. Außerdem ist er einer der MacherInnen des Nazi-Treffs Club 88 in Neumünster, als dessen Sprecher er seit anderthalb Jahren fungiert. Des Weiteren war er maßgeblich am Aufbau der Kieler Kameradschaft beteiligt, deren Mitglieder überwiegend dem neu aufgebauten NPD-Kreisverband Kiel-Plön angehören. Dieser gehört, als Teil des NPD-Landesverband Schleswig-Holstein zu den radikalsten und gewalttätigsten in Deutschland. Dies wurde spätestens durch die Machtübernahme des Landesvorstandes durch Mitglieder der Freien Nationalisten deutlich: Peter Borchert übernahm den Landesvorsitz, Jürgen Gerg aus Lübeck, der ebenfalls aus dem Umfeld des Hamburgers Christian Worch kommt, übernahm die Rolle des Schriftführers. Seit ungefähr einem dreiviertel Jahr tritt der Kieler NPD-Verband fast jedes Wochenende v.a. in der Kieler Innenstadt auf, um dort NPD-material zu verteilen. Versuchten sie anfangs noch, sich als ehrbare Demokraten darzustellen, zeigen sie inzwischen ihr wahres Gesicht. Aufgrund der meist erfolgreichen Gegenaktionen von AntifaschistInnen, die oftmals zum Abbruch der NPD-Aktionen führten, mussten sie zunehmend auf Verstärkung von außerhalb zurückgreifen. Außerdem bewaffneten sie sich mit in Jutebeuteln versteckten Bierflaschen und anderen Schlagwerkzeugen, um etwaige Gegendemonstranten anzugreifen. Peter Borchert beteiligte sich mehrfach an diesen Aktionen, indem er sich ankommende Antifaschistinnen ausguckte und diese dann gezielt körperlich angriff. So trat er z.B. einem Antifaschisten, der sich in der Kieler Fußgängerzone aufhielt, im Beisein der Polizei in die Genitalien.

Diese Gewaltbereitschaft manifestierte sich auch am 25. August wieder. Nachdem die Neonazis aus Mettenhof verschwunden waren, tauchten zwei von ihnen vor dem Haus einer dort wohnenden aktiven Antifaschistin auf und wohlwissend, dass sie zu diesem Zeitpunkt nicht zuhause war, betraten sie das Haus und brachten so den vollständigen Namen der Person in Erfahrung. Zufälligerweise trafen sie im Treppenhaus auf einen Nachbarn, der gerade im Begriff war, das Haus zu verlassen. Sich wohl auf frischer Tat ertappt fühlend, folgten sie dem Mann auf die Straße und Peter Borchert schlug ihm unvermittelt ins Gesicht. Von Nachteil für die Nazis war jedoch, dass diese Szene auch von einer Person beobachtet wurde, die umgehend die Polizei verständigte und sich als Zeuge zur Verfügung stellte.

Borchert, der Anfang des Jahres wegen des Besuchs einer Kieler Diskothek mit einer geladenen Waffe zu einer einjährigen Haftstrafe (auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt) verurteilt wurde, war seitdem mehrfach an gewaltsamen Übergriffen auf AntifaschistInnen und anderen einschlägigen Delikten mit neonazistischem Hintergrund beteiligt. Allein am 25. August wurden mindestens zwei Anzeigen gegen ihn erstattet. Bleibt abzuwarten, wie lange Borchert und Seinesgleichen noch ihren Terror gegen Andersdenkende oder nicht in ihr Weltbild Passende ausüben können, ohne auch nur irgendwie dafür belangt zu werden. Zwar zeigt dies, dass die Kieler bzw. schleswig-holsteiner Naziszene bereit ist, auf Methoden des individuellen Terrors zurückzugreifen, nichts desto trotz ist dies kein Grund für Antifaschistinnen, nicht auch weiterhin gegen die Aktivitäten der Neonazis in Kiel und anderswo Widerstand zu leisten. Wir werden weiterhin dafür sorgen, dass Nazis - jeglicher Couleur - der Raum für ihre faschistische und rassistische Propaganda und Aktivitäten genommen wird. Dies kann auf Dauer aber nur dann erfolgreich sein, wenn sich möglichst viele Menschen nachhaltig am Widerstand gegen Faschismus und Rechtsextremismus beteiligen.
(Pressemitteilung Enough is Enough)

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