Globalisierung

Interview

Attac schon am Ziel?

Nach Genua sind Europas Regierende mit einem Mal voller Einsicht: Jospin unterstützt die Tobin-Steuer, die belgische EU-Ratspräsidentschaft will einen "konstruktiven Dialog mit Gewerkschaften, Managern und Nichtregierungsorganisationen" und Gerhard Schröder will die Finanzmärkte besser kontrollieren. Frankreich und Deutschland vereinbarten Anfang September zudem, eine Arbeitsgruppe einzurichten, die dafür sorgen soll, dass die Globalisierung "wirtschaftlich effektiv aber dennoch sozial verantwortlich" verläuft. Wir wollten wissen, was Attac Deutschland zu dieser Simulation von Politik sagt, und sprachen mit Felix Kolb, der im zentralen Büro der jungen Organisation als Pressesprecher arbeitet. (wop)

LinX: Bundeskanzler Schröder hat versprochen, sich um die "Verselbständigung spekulativer Finanzströme" zu kümmern. Ist Attac damit schon am Ziel?

Felix Kolb (F.K.): Nein, auf keinen Fall. Was Herr Schröder gestern von sich gegeben hat, ist sehr, sehr vage gewesen und ist allenfalls rhetorisch. Er hat einfach gemerkt, dass immer mehr Menschen sehr besorgt sind über die Durchökonomisierung der Gesellschaft. Was er gesagt hat, ist für uns allenfalls der erste Schritt. Wir werden jetzt den Druck intensiveren um die Regierung weiter vor uns herzutreiben.

LinX: Schröder sprach davon, dass es vor allen Dingen junge Menschen seien, die vor der "Weltraumkälte der Globalisierung" Angst hätten. Hat Attac nur jugendliche Mitglieder?

F.K.: Nein, natürlich nicht. Das ist der Versuch, uns als Jugendbewegung darzustellen und uns damit auch ein bisschen runter zu spielen. Wir haben eine sehr gemischte Mitgliedschaft; von Senioren bis zu Schülerinnen und Schülern, aber wir sind keine reine Jugendbewegung.

LinX: Haben Sie nicht Angst, in der Umarmung von Bundesregierung und Grünen zu ersticken?

F.K.: Durchaus nicht. Unsere Antwort ist, die Bundesregierung vorzuführen. Wir werden in Zukunft verstärkt auf Forderungen abheben, bei denen die Regierung nicht einfach sagen kann: "Na ja, finden wir ja ganz gut, geht aber nicht, wegen den USA." Ein wichtiges Thema wird die Reform des Gesundheitswesens, weil die Bundesregierung eine Privatisierung plant. Wir werden uns da ganz entschieden gegen die Zweiklassen-Medizin engagieren. Außerdem werden wir anlässlich der WTO-Tagung im November gegen die weitere Globalisierung des Welthandels protestieren. Da wird die Bundesregierung große Probleme haben, uns zu umarmen.

LinX: Was hat die Reform des Gesundheitswesens mit Globalisierung zu tun?

F.K.: Direkt nicht sehr viel. Aber Attac geht es nicht nur um Globalisierung, sondern um die Durchökonomisierung der Gesellschaft und darum, weitere Privatisierungen zu verhindern. Daher ist das einfach auch ein Thema für uns. Eine Verbindung zur Globalisierung gibt es insofern, als durch eine Privatisierung wiederum den Kapitalmärkten weiteres Kapital zugeführt würde. Aber wir sind nicht nur eine globalisierungskritische Bewegung, uns geht es um soziale Gerechtigkeit.

LinX: Also mehr als eine Ein-Punkt-Bewegung?

F.K.: Auf jeden Fall. Nach unserem Kongress in Berlin im Oktober planen wir, unseren Forderungskatalog auf die Bereiche Welthandel und soziale Sicherungssysteme auszudehnen. Wir sind mittlerweile ganz klar über die Finanzmärkte hinaus.

LinX: James Tobin meint, dass ihr Applaus für seine Vorschläge von der falschen Seite käme. Haben Sie ihn missverstanden?

F.K.: Ich denke nicht. Herr Tobin steht weiterhin zur Tobinsteuer, aber ihm gefallen andere Sachen nicht, die wir vertreten. Aber im Kern der Tobinsteuer haben wir keinen nennenswerten Unterschied. Im Prinzip geht es um eine Art Umsatzsteuer auf Devisen-Transaktionen. Täglich werden Währungen im Gegenwert von 1,5 Billionen US-Dollar getauscht, ganz überwiegend aus rein spekulativen Motiven. Die Steuer würde einen Großteil dieser Transaktionen unwirtschaftlich machen und damit die Märkte ein Stück weit stabilisieren.

LinX: Tobin outet sich im Spiegel-Interview als Anhänger des Freihandels. Würden Sie das auch unterstützen?

F.K.: Nein, auf keinen Fall. Attac fordert einen Stop weiterer Liberalisierungen. Wir treten allerdings dafür ein, dass die Industrieländer ihre Märkte für Entwicklungsländer öffnen, allerdings ohne - wie es in der Regel geschieht - Auflagen in anderen Bereichen zu erzwingen.

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