Terrorismus

Linksradikale VV am 23.9.

Terror spaltet Linke

Schon in der Einladung zu dieser Vollversammlung war deutlich geworden, was für eine Reaktion der Linken auf die Angriffe gegen die USA sich die Verfasser vorgestellt hatten: "Die Menschen in aller Welt müssen sich Gedanken darüber machen, wie sie den Mächtigen die Gewehre entreissen und eine Welt der Freiheit und Solidarität schaffen, in der wir selbstbestimmt und ohne Rassismus und Unterdrückung leben können - frei von HERRschaft und Macht. Die Alternative ist die Barbarei."

Die meisten interpretierten das als Anti-Kriegs-Aufruf, was sie auch am Samstag morgen mit einer eher bescheidenen Kundgebung zum Ausdruck brachten, zu der Gegenwind-Redaktion, Graswurzelgruppe Kiel, Avanti - Projekt undogmatische Linke und DKP KV Kiel aufgerufen hatten. Trotzdem ließ sich auch ein eher kleiner Kreis von Linken nicht abhalten, eine stark abweichende Position auf der Versammlung vorzutragen, was einigen Unmut hervorrief.

Beginnen wir trotzdem chronologisch. Es wurden Einschätzungen der Kundgebung vom Vortag gesammelt. Diese waren zwar uneinheitlich, die meisten fanden aber, daß die Flugblätter und klar und verständlich gesprochene Redebeiträge eher interessiert aufgenommen worden waren. Ein Genosse versuchte, die bisher andiskutierten Positionen zu umreissen, um die Diskussion zu eröffnen. Übereinstimmung herrschte noch soweit, als den Anschlägen auf WTC und Pentagon keine emanzipatorische Zielrichtung unterstellt werden könne und deshalb abzulehnen seien. Alle verwahrten sich gegen die Unterstellung, "klammheimliche Freude" (übrigens ein Begriff aus dem Buback-Nachruf) empfunden zu haben. Für den größeren Teil der Versammlung war dann allerdings das Hauptthema "Innere Sicherheit". Sie sagten eine europaweite Vereinheitlichung des §129a voraus und eine weitere Verschärfung des Rassismus, gerade weil die vermutlichen Attentäter, soweit bekannt, in relativer Unauffälligkeit und freundlicher Nachbarschaft "unter uns" gelebt hatten. Vereinzelt wurde die Aussenpolitik der USA oder auch ganz persönlich George W. Bush für die Krise verantwortlich gemacht. Z.B. sei Bush "hirnverbrannt", weil er die Option auf ABC-Waffen nicht kategorisch ausgeschlossen habe, oder, er zettele einen Weltkrieg an. Es gab aber auch die Vorstellung, der Imperialismus sei sehr wohl in der Lage, den Konflikt regional zu begrenzen, dies diene aber nur dem Ziel, eine neue Weltordnung durchzusetzen.

Ziemliche Sprengkraft in die Versammlung brachte die pointiert vorgetragene These, der Hauptfeind sei der islamische Fundamentalismus, und alle unter dem Banner des Friedens vorgetragenen Forderungen seien unverstandener oder verdeckter Antisemitismus. Hierzu kursierten zwei Papiere, u.a. von der BAHAMAS-Redaktion (Berlin), in denen es heisst: "Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder!" und "dem Koran (kommt momentan) eine ähnliche Rolle zu wie seinerzeit Hitlers Machwerk 'Mein Kampf' in Deutschland". Diese Fraktion behauptete auch, die Europäer, namentlich die deutschen Grünen, übten eine mäßigende Rolle auf die USA aus oder versuchten zumindest, sich so zu etablieren, während von anderen schlicht Kriegsgeilheit der deutschen Aussenpolitik angenommen wird (die Goebbels-Frage würde heute positiv beantwortet, genau wie damals). Auch die Fragen, ob die "totale Kontrolle" kommt oder schon da ist, ob der kommende Krieg sich gegen die Dritte Welt richtet oder gegen einen islamischen Faschismus, wurden konträr beantwortet.

Zum Teil wurde die Auseinandersetzung sehr persönlich, was in der Forderung mündete, jeder möge sich von der Veranstaltung entfernen, der nicht unmißverständlich gegen den Krieg eintreten wolle (und überhaupt gegen jeglichen Militarismus, wie von Gewaltfreien hinzugefügt wurde, denn Gewalt sei zur Lösung von Konflikten nicht geeignet - eine Position, die wohl selbst bei den mehrheitlichen Kriegsgegnern nur vereinzelt geteilt wird). Eine richtig demokratische Abstimmung über einen Rausschmiss der Minderheitsfraktion wurde zwar verlangt, fand dann aber doch nicht statt. Immerhin verließen Einzelne genervt den Raum. Der Versuch, die Wogen zu glätten, indem nur noch über praktische Anti-Kriegs-Arbeit und breite Allianzen, möglichst wenig über Inhalte (Sprechweise: "Ideologie-Debatte") geredet würde, scheiterte aber auch am Widerstand vieler, die sich selbst zur Anti-Kriegs-Koalition rechnen würden. Stattdessen wurden Einzelschicksale von in Deutschland lebenden Ausländern thematisiert und persönliche Einschätzungen abgegeben, von denen nur schwer gesagt werden kann, auf wieviel Gegenliebe sie stießen. Aus der Position "Ich fühle mich nicht angegriffen" entwickelte einer die Vorstellung, man könne sich doch einfach ganz raushalten. Es sei ein Fehler (der NATO), den Bündnisfall erklärt zu haben, und die Solidaritätserklärungen für Amerika seien - auch von der Menge her - unerträglich. Eine andere, vielleicht nicht unbedingt gegensätzliche Position war, es sei doch ganz einfach, die Linke brauche sich nicht auf eine der kriegführenden Seiten schlagen und "zwangsverorten", sondern stelle sich immer gegen die herrschenden Klassen überall. Der Feststellung, es sei doch allen klar - "es gibt keinen gerechten Krieg", wurde sofort entgegengehalten: "Hoch lebe die Rote Armee!"

Ob die Linke vor der Spaltung steht, und wenn ja, wie hoch die Verluste sein werden, ließ sich wegen der vermiedenen Kampfabstimmung nicht abschätzen. Klar war jedoch, dass so gut wie alle Anwesenden sich sofort und unmissverständlich zu dem Konflikt positionieren wollten. Konkrete Erkenntnisse wurden so gut wie nicht vorgetragen und auch nicht diskutiert, dies schien allgemein für die Zielrichtung keine Rolle zu spielen. Ohnehin hatten viele Gruppen schon längst mit der politischen Arbeit zum Thema begonnen, z.B. Flugblätter an Schulen verteilt. Als die Diskussion sich ausreichend in eine unproduktive Richtung entwickelt hatte, verließ auch der Autor den Schauplatz, mit wenig Hoffnung, dass noch wirklich Substantielles folgen würde, mit dem einzig greifbaren Hinweis, dass Teile der anwesenden Linksradikalen einen Anti-Kriegs-Arbeitskreis zur regelmäßigen vielleicht wöchentlichen Einrichtung werden lassen wollen. Ein Ort und Termin wurden noch nicht festgelegt. (BG)

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