Globalisierung

Protest gegen Ecofin

Bürgerkongress in Lüttich

Viele hatten sich am Freitag vergangener Woche frei genommen, nur Petrus machte Überstunden. Kaum waren die ersten Demonstranten aus den Bussen gestiegen, da öffnete er die Wolken und der Regen ergoss sich über der bunten Menge, die sich an Lüttichs alter Zitadelle versammelte. Regenschirme wurden aufgespannt und rundeten das farbige Bild der roten und grünen Blöcke ab, die langsam Aufstellung nahmen. Der europäische Gewerkschaftsbund und die ATTAC-Netzwerke verschiedener Länder hatten aufgerufen, gegen das Treffen der europäischen Finanz- und Wirtschaftsminister (Ecofin) zu demonstrieren. Gekommen waren vor allem belgische und französische Gewerkschafter. Aus dem britischen Dover war eine kleine Delegation von Hafenarbeitern angereist; die deutschen Gewerkschaften waren mit einem Bus voll Eisenbahnern aus Nordrhein-Westfalen und einem weiteren von ver.di organisierten aus Berlin vertreten. Aus der Hauptstadt waren zumeist Beschäftigte des öffentlichen Dienstes gekommen. Der Grund: Privatisierung war eines der großen Themen der Demo.

"Privatisierung bedeutet das Ende des öffentlichen Dienstes und der Renten", hieß es auf einem Transparent französischer Teilnehmer. Ein anderes forderte die Sicherung des Zugangs für jedermann zum Telefonnetz, die durch die Privatisierung gefährdet werde. In Frankreich und Belgien thematisieren viele Gewerkschaften des öffentlichen Sektors in den letzten Jahren besonders die Rolle, die kommunale und staatliche Betriebe in den verschiedensten Bereichen für die Grundversorgung der Bevölkerung spielen. Die EU-Ministerratstagung war daher auch die richtige Adresse, um gegen den allgemeinen Trend zum Ausverkauf öffentlichen Eigentums zu protestieren. Schließlich bestimmt dieser zusammen mit der EU-Kommission die entsprechenden Richtlinien und Verordnungen, die auf nationaler und lokaler Ebene den Druck für Privatisierung erzeugt.

Doch war das am Freitag in Lüttich weder für die Minister noch für die Demonstranten das einzige Thema. 15.000, meinten die Veranstalter, waren gekommen. Die Polizei sprach von mehr als 12.000. Für viele von ihnen stand die Forderung nach einer Devisenumsatzsteuer, der sogenannten Tobin-Steuer, ganz oben auf der Prioritätenliste. Belgien hatte versprochen, das Thema während seiner derzeitigen EU-Ratspräsidentschaft zur Sprache zur bringen. ATTAC Belgien nutzt daher viele der in Belgien stattfindenden EU-Treffen dazu, um für diese Forderung Druck zu machen. Auch aus Deutschland und Frankreich waren einige wenige ATTAC-Mitglieder angereist. ATTAC Deutschland hatte erst letzte Woche eine Expertise des Bremer Ökonomen Jörg Huffschmid vorgelegt, nach der die Tobin-Steuer in der EU im Alleingang eingeführt werden könnte.

Ein Teil der Demonstranten aus dem In- und Ausland blieb über das Wochenende in der Stadt an der Maaß und machte durch ihre Anwesenheit einige Polizisten nervös. Die waren zuvor wie Teile der Öffentlichkeit in Panik versetzt worden und waren etwas desorientiert, dass es keine Wiederholung der Göteborger Straßenschlachten gab. So mussten sie sich damit begnügen, jugendliche Passanten zu filzen, deren Äußeres ihnen nicht paßte.

Im Anschluss an die Demonstration hatten ATTAC Frankreich und Belgien einen "Europäischen Bürgerkongress organisiert", der zur Positionsbestimmung der sozialen Bewegungen beitragen sollte. Etwas über 1 000 Teilnehmer, hauptsächlich aus Belgien und Frankreich, aber auch aus anderen EU-Ländern waren zusammengekommen, um über "ein anderes Europa für eine andere Globalisierung" zu diskutieren. In vier Arbeitsgruppen wurde über Themen wie Privatisierung, Welthandel und WTO, Nord-Süd-Beziehung sowie Besteuerung von Devisenhandel gesprochen und eine gemeinsame Erklärung erarbeitet. Die Teilnehmer kamen hauptsächlich aus den ATTAC-Netzwerken in den verschiedenen Ländern und von Gewerkschaften.

Auch wenn der Schwerpunkt auf sozialen und ökonomischen Forderungen an die EU lag, so waren die Anschläge in den USA und ihre politischen Folgen in vielen Beiträgen präsent. "Nach den Anschlägen ist alles anders", meinte zum Beispiel Nicola Bullard, die in Bangkok für "Focus on the Global South" arbeitet, einem Institut, das sich der Lobby- und Aufklärungsarbeit aus Sicht der Interessen des ärmeren Teils der Bevölkerung in den so genannten Entwicklungsländern gewidmet hat. Politiker in den USA und Europa, so Bullard, würden die Anschläge schamlos ausnutzen, um gegen Globalisierungskritiker und Freihandelsgegner zu polemisieren. Handelsliberalisierung würde mit Freiheit und Zivilisation gleichgesetzt, wie z. B. in einem jüngsten Artikel des US-Handelsministers, und deren Gegner mit Terroristen in Verbindung gebracht. Aber auch wenn dadurch die Situation schwieriger geworden ist, so waren sich die Kongressteilnehmer doch in einer Reihe wichtiger Forderungen einig. So wurde z. B. eine neue Verhandlungsrunde in der WTO, wie sie die EU anstrebt, abgelehnt. Auch die bereits laufenden Gespräche über Dienstleistungen wurden stark kritisiert.

Grundversorgung und Bildung dürften auf keinen Fall privatisiert werden. Ansonsten wurde die Forderung nach der sogenannten Tobin-Steuer, das heißt eine Devisenumsatzsteuer, erneuert, ein Grundeinkommen für Arbeitslose verlangt und die Regierungen aufgefordert, eine wirksame Beschäftigungspolitik zu betreiben. (wop)

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