Antimilitarismus

LabourNet Germany
Aldous Huxley Revival Serie Brave new world

DIE SPRACHE DER MOBILISIERUNG

Fünf Anmerkungen - geschrieben mit einigem zeitlichen Abstand zum 11. September und nach Lektüre diverser Erklärungen aus Gewerkschaften.

  1. Es erhoben sich zahlreiche Stimmen, die vor unüberlegten Schritten warnten. Was sich, einmal mehr, als überflüssig erweisen wird. Auch Clintons Raketenschlag auf Khartoum war wohl überlegt - der Anschlag auf das WTC auch. Diese Kritik an hektischem Handeln ist in der Regel verbunden mit Äußerungen menschlichen Verständnisses für Haß und Rachegefühle, denen mensch aber trotzdem nicht nachgeben dürfe. Aber in dieser Rede sind Gefühle Privilegien: Wären die Mörder von NewYork Irakis gewesen, die Rache für ihre im Golfkrieg getöteten Angehörigen geübt hätten - niemals wäre diese Rache für Bundesbürger verständlich. (Noch weniger, wenn Kurden in Deutschland Attentate organisiert hätten wegen Halabja.) Diese Worte lassen keinen Spielraum mehr zu: Mit ihrer Äußerung ist auch die Entscheidung gefallen. In diesem Falle: Wer die Gefühle haben darf. Konsequent: Die fast überall vertretene Losung lautet "keine Chance dem Terror" und nicht etwa "keine Chance der Gewalt", die ja wenigstens noch, neben den Untaten der privaten Täter, auch jene der staatlich beauftragten Täter mit umschließen könnte, nicht nur den turbangeschmückten oder mit der Lutherbibel ausgestatteten faschistoiden Bombenleger, nicht nur balkanesische Ethnobanden (und ihre Föderer?), sondern auch den Bombenwerfer in Uniform. Auch wenn das Plädoyer ein anderes ist, markiert diese Rede gut und böse entsprechend: wir und ihr (wer auch immer, wieweit definiert auch immer). Und erniedrigt dadurch praktische Entscheidungen zu taktischen. Das nächste Mal, vielleicht.
  2. Diese Festlegung und Ausgrenzung durch Worte wird vollendet durch die Herstellung von Gemeinsamkeiten in der Selbstbeschreibung. Wir sind die Zivilisation, wir sind die Demokratie, wir sind tolerant, und wir sind weltoffen. Sagen auch jene, die gegen einen Militärschlag sind. Der Vergleich mit der Realität zeigt, dass aus diesen Begriffen Festlegungen geworden sind, die Kausalzusammenhänge herstellen. Wer so gut ist, hat Rechte (und Pflichten, durchaus). Nun ja: Die Toten in Deutschlands Städten sind gezählt worden, noch können sie auch einer kleinen Minderheit zugeschrieben werden, auch wenn deren Denken in der Mitte der Gesellschaft durch-schillert. Die Toten an Deutschlands Grenzen, an Spaniens Grenzen, an Italiens Grenzen sind nicht gezählt worden, noch jene an der Mauer der USA gegen Mexiko: mehr als an Ulbrichts menschlicher und politischer Bankrotterklärung allemal. Und was wäre der Wahlsieg des furchtbaren Richters Schill anderes als ein wahrhafter "Aufstand der Anständigen", die endlich Ruhe, Recht und Ordnung sehen wollen, und wenn eben Gewalt, dann uniformiert. Weltoffen ist diese Gesellschaft nur gegenüber den Waren und Finanzströmen - und den Menschen mit genügend Geld. Der Inbegriff dieser Art Offenheit ist der Tourist, der noch von jeder Reise mit der Überzeugung zurückkehrt, hier sei es doch am besten geregelt. Der sich seines Geldwerts bewußt ist und - wenn irgendwelche wilden Piloten streiken - nach Vater Staat heult, der ihn heim soll holen ins Reich der Sicherheit. Die Toleranz gilt denn auch vor allem sich selbst und den eigenen Fehlern, vom korrupten Politiker über Medienhetze bis zum Volkssport Steuerbetrug - es ist alles bekannt, aber alle machen weiter und tun so als ob. Und wenn Haider, Berlusconi/Fini und Aznar/Opus Dei, der Richter Schill und der Anwalt Schily Demokraten sind, so spricht das entweder gegen die Form der praktizierten Demokratie, gegen den angeblichen Souverän oder gegen das demokratische System als Quelle der Reaktion.
  3. Wenn die Sprache, ohne es zu sagen "wir und ihr" als Gegensatz konstruiert, dann gehört die Mobilisierung qua Gefühl als Unterfutter dazu. Außer jenen, die Angehörige oder Freunde unter den New Yorker Opfern hatten, kann niemand trauern. Weil Trauer ein konkretes Objekt voraussetzt - und weitere Bedingungen hat, wie Ruhe und Zeit. Nein, Trauer - sofern jemand dazu bereit war, wurde nicht zugelassen: Weil sie verordnet wurde. Die spontane Reaktion war denn auch eine andere: Schock. Um das Gefühl der Trauer zu evozieren, wurde Passanten das Wort im Mund herumgedreht. Wenn jemand sagte "das hätte uns auch passieren können", galt das als Äußerung von Trauer - was es nicht ist. Der Schock aber ist Ergebnis der Tatsache, dass die Opfer in der Tat keine Menschen waren, deren Leben nahezu unvorstellbar weit weg ist, sondern Menschen "wie Du und ich". Es waren keine Menschen, die die kapitalistische Weltgesellschaft außen vor lässt, weil sie sie weder als Produzent noch als Konsument braucht und haben will, sondern welche, die - wie wir - zum Funktionieren der Maschine beitragen. Nun ist Trauer aber in der - der Sprache inhärenten - Bewertung ein tieferes, echteres Gefühl als Schock, das schwerlich seine medizinischen Aspekte verbergen kann. Dementsprechend muss eine Neubestimmung der Definition stattfinden - ganz so, wie der Kanzler es fordert, wenn er über jene redet, die gestern in Tschetschenien noch Freiheitskämpfer genannt wurden: Was früher Schock hieß, heißt jetzt Trauer.
  4. Die Begriffe Trauer, Schock und Betroffenheit erweisen sich so als rituelle Begriffe, solche also, denen Funktionen zugeordnet sind. Hier regiert in Wirklichkeit der Zynismus, aber keineswegs nur bei den Bürgerlichen, auch bei der Linken. Wer noch am selben oder am folgenden Tag eine fertige politische Beurteilung der Lage hat und diese verkündet, ist einfach jemand, der einen Anlaß nimmt, um seine Meinung zu verkünden. Opfer aufrechnen macht es wahrlich nicht besser. Wenn dies noch verbunden ist mit Haßtiraden gegen Amerika, und dies in Deutschland, dann darf es nicht wundern, dass auch in mancher dieser linken Stellungnahmen Auschwitz und Dresden in einem Atemzug genannt werden - die Spitze dieses dubiosen ideologischen Eisbergs. Der größte militärische Aufmarsch der USA war im Übrigen in der Normandie und das war gut so. Im Weiteren gab es in USA immer größere Antikriegsbewegungen als hierzulande, zumal wenn mensch sich den letzten deutschen Krieg vor Augen hält, der nicht 56, sondern anderthalb Jahre zurückliegt. Dass gerade die deutsche Rechte der Untat ihrer Geistesbrüder mit mehr oder minder klammheimlicher Freude zujubelt, sollte vielleicht Anlass zum Nachdenken sein.
  5. Die Sprache der Mobilisierung lässt natürlich wiederum Menschen außen vor: sie ist für die Zentren des Kapitalismus konstruiert und kann auch nur da funktionieren. Naheliegend, dass etwa Menschen in Chile gerade am 11. September an etwas Anderes denken. Naheliegend auch, dass etwa Kurden viele bittere Erfahrungen damit gemacht haben, wenn der religiöse politische Fundamentalismus mit militärischen Mitteln bekämpft wird. Naheliegend schließlich, dass viele jener Menschen aus den Slums der so genannten dritten Welt, die von "ihrer" Gesellschaft nur als Bedrohung oder bestenfalls Objekt wahrgenommen werden, anders denken. Sie alle, so wird gemeint, aber nicht gesagt, sie alle haben kein Recht auf Rachegefühle, denn wer weiß schließlich, wogegen die sich richten würden.

Parataxis: Was schließlich das Ganze soll? Seinerseits nahelegen, dass es an der Zeit wäre, nachzudenken, nachzuprüfen. Nicht die Kritik am Kapitalismus, nicht das Eintreten für eine andere Welt. Im Gegenteil. Sondern nachprüfen, ob diese Kritik nicht zugespitzt werden muss in der Hinsicht, dass die Kinder der Globalisierung, die diese auffressen, das Reaktionärste an dieser Ordnung nicht nur mobilisieren, sondern auch darstellen. Ob es also nicht ein Zeichen von Schwäche ist, wenn die Linke bei jeder kriegerischen Untat ebensosehr rituelle Sprache - und Methoden -benutzt, wie es in der Rede für die antidemokratischen Praktiken der staatstragenden Kräfte geschieht: Am Satzanfang steht das Ende fest. Was für die unmittelbare politische Aktualität bedeuten mag: Dass trotz Gegnerschaft zum Krieg, in der Sprache nicht derselbe Hass auf Amerika durchscheint wie es bei den Attentätern klingt. Für die Zukunft könnte dies bedeuten, Perspektiven der Kritik zu eröffnen: an den Bin Laden und Bush und wer auch immer, an den Schill und Schily, deren einer mehr, der andere vielleicht weniger, Feinde selbst des bloßen Abziehbildes jener Freiheit sind, die das Bürgertum einst versprach... (Helmut Weiß)

LinX-Startseite Inhaltsverzeichnis