Globalisierung

Interview

Das Bomben muss aufhören

Jean Ziegler ist Sonderberichterstatter des UN-Hochkommissars für Menschenrechte zum Thema Recht auf Nahrung und sprach am vergangenen Wochenende auf dem Attac-Kongress in Berlin. (wop)

LinX: Sie werden am 9. November der UN-Generalversammlung einen Bericht über das Recht auf Nahrung in der Welt vorlegen. Wie ist es um die Welternährung bestellt?

Jean Ziegler (J.Z.): Die Zahlen sind ganz fürchterlich. Letztes Jahr starben pro Tag hunderttausend Menschen an Hunger oder an dessen direkten Folgen. Alle sieben Sekunden stirbt ein Kind unter zehn Jahren an Hunger. 826 Millionen Menschen sind permanent schwerst unterernährt, d.h. die sind invalid durch Mangel- und Unterernährung. Dabei könnte die Landwirtschaft, wie sie heute ist auf der Welt, ohne Probleme 12 Milliarden Menschen ernähren. Wer am Hunger stirbt, wird also ermordet, und zwar durch die herrschende Weltordnung.

LinX: Einige Staaten wollen in und mit der WTO die Liberalisierung des Weltagrarhandels durchsetzen. Welche Folgen wird das für die Welternährung haben?

J.Z.: Sie haben recht, es gibt eine Gruppe von Staaten aus der südlichen Hemisphäre, die sagen, jetzt muss endlich auch der Weltlandwirtschaftsmarkt liberalisiert werden, ich glaube allerdings nicht, dass das in nächster Zeit durchgesetzt werden kann. Das ist eine Forderung der minimalen Gerechtigkeit, denn von den 122 Entwicklungsländern sind über zwei Drittel Agrarländer, die nur Agrarprodukte exportieren können, um Devisen einzubringen. Und diese Devisen wären nötig, um Medikamente, Lastwagen usw. zu kaufen. Und solange die Agrarprodukte aus dem Süden nicht auf die reichen Märkte in den Norden kommen, geht die rasante Unterentwicklung der Länder des Südens weiter.

LinX: Aber würde Liberalisierung nicht auch bedeuten, dass Kleinbauern im Süden mit großen Agrarfabriken in den USA oder Europa konkurrieren müssten?

J.Z.: Ja. Die ganze Marktsituation ist total verzerrt, aber diese Länder auszuschließen, hieße, sie dem Tod preiszugeben. Ich komme gerade zurück aus Niger, das ist das zweitärmste Land der Welt. Die haben 20 Millionen Rinder und Kamele und können sie nicht exportieren, weil die Märkte geschlossen sind.

LinX: Das World-Food-Programm hat bis vor kurzem 7,8 Millionen Menschen in Afghanistan ernährt. Wie stellt sich die Lage jetzt dort dar?

J.Z.: Ganz fürchterlich. Die amerikanischen Bombardements müssen eigentlich sofort gestoppt werden, weil die das Einführen von Nahrungsmittelhilfe komplett unmöglich machen. Es gibt nur noch lokale Hilfskräfte. Die Depots sind praktisch leer oder von Bomben zerstört. In Pakistan und Iran warten die Lastwagenkolonnen an den Grenzen, um die verhungernden Menschen zu ernähren. Es gibt 23 Millionen Afghanen, das waren die ersten Opfer der fürchterlichen Taliban-Regierung. Und die bezahlen jetzt noch einmal für ihre Unterdrückung, unter der sie seit fünf Jahren gelitten haben. Der minimale Anstand der Weltöffentlichkeit müsste sein: Stop des Bombardements, sofort. Massive Nahrungsmittelhilfe. In drei Wochen kommt der Winter und vier Fünftel des Landes, 650.000 Quadratkilometer, sind nicht mehr befahr- und begehbar. Die Transporte werden so schon schwer genug sein. Afghanistan steht eine humanitäre Katastrophe unglaublichen Ausmaßes bevor und wir schauen zu.

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