Kommentar

WTO-Treffen:

Which Side Are You On?

Auf ein Neues: Am 9. November treffen sich in Doha, Katar, die Wirtschaftsminister der 142 Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation WTO zum ersten Mal seit dem Desaster von Seattle. Was nicht heißt, dass man seitdem nicht miteinander gesprochen hätte. Seit Januar 2000 laufen Verhandlungen über die weitere Liberalisierung des Handels mit Agrarprodukten und über den Austausch von Dienstleistungen. Doch den großen Durchbruch hat es bisher nicht gegeben. Vor allem: Die "neue Runde", auf die vor allem die EU so erpicht ist, lässt auf sich warten. Nach wie vor sperren sich viele Entwicklungsländer, über Investorenrechte, internationale Ausschreibung staatlicher Aufträge und den indirekten Zwang zur Privatisierung zu sprechen. Schon in Seattle hatten sich Brüssel und im geringeren Maße Washington an ihrem Widerstand die Zähne ausgebissen. Bevor nicht unsere Probleme mit den bestehenden Verträgen gelöst sind, bevor nicht die Industriestaaten endlich auch ihre Märkte für unsere Produkte öffnet, so ihr Argument, so lange wird nicht über neue Themen verhandelt.

Unterdessen verhalten sich die europäischen Regierungen und die EU-Kommission ganz so, als hätten sie von diesen Meinungsverschiedenheiten nie gehört, als wären nicht in den zwei Jahren seit Seattle rund um den Globus Millionen Menschen zu den vesrchiedensten Anlässen auf die Straße gegangen, um gegen eine weitere Liberalisierung des Welthandels zu protestieren. Ohne mit der Wimper zu zucken verlängerte Ende Oktober der EU-Ministerrat das Verhandlungsmandat des Außenhandelskommissars Pascal Lamy, der die Union in Doha vertreten wird. Er wird mit exact den gleichen Aufträgen losgeschickt, wie bereits vor zwei Jahren. Arroganter geht es eigentlich kaum.

Oder doch? Während die EU bereits lange vor dem diesjährigen Ministertreffen in Doha eine rege Reisediplomatie begonnen hat, um Dritte-Welt-Länder mit Drohungen, Tricks und Versprechungen weichzukochen, ist auch WTO-Generalsekrtär Mike Moore nicht faul gewesen. Schließlich weiß der Neuseeländer nur zu gut, wem er den Job verdankt, den er seinerzeit gegen den erbitterten Widerstand des Südens bekam. Sein Hauptargument, dass er landauf landab immer wieder zum besten gibt: Nur mit einer weiteren Ausweitung des Welthandels lässt sich die Armut bekämpfen. Wer gegen den weltweiten Freihandel sei, sei auch gegen Entwicklung und Bekämpfung der Armut. Ein Argument übrigens, dass sich auch bei hiesigen Neoliberalen einiger Beliebtheit erfreut. Auch deshalb, weil die einseitige Berichterstattung der Mainstream-Medien, denen die massiven Proteste gegen die WTO in Ländern wie Indien oder Brasilien meist nicht einmal eine Randnotiz wert sind,dafür sorgt, das nicht jedem die Unsinnigkeit solcher Propaganda sofort ins Auge springt.

Eher umgekehrt wird ein Schuh daraus. Trotz der enormen Ausweitung des Welthandels in den 90ern hat sich die Zahl der Armen kaum verringert. Im Gegenteil: Die Krise in Ost- und Südostasien, angestoßen durch liberalisierte Finanzmärkte und verschlimmert durch eine zu frühe Expotorientierung kaum industrialisierter Volkswirtschaften, wie der Indonesiens und Thailands, hat Millionen Menschen zurück in bittere Not gestürzt.

Dafür, dass sie dort bleiben werden, sorgt nicht nur die ex-orbitante Auslandsverschuldung, mit der Indonesien seit der Krise wie so viele Länder des Südens zu kämpfen hat, sondern vor allem auch der Freihandel: Indem man weniger entwickelte Staaten dazu zwingt, ihre Grenzen für die billigen, da mit hoher Produktivität hergestellten, Fertigwaren aus den Industriestaaten zu öffnen, unterbindet man zugleich die Entwicklung einer heimischen Industrie. Die Geschichte des europäischen Kolonialismus und seiner Kriege auf drei Kontinenten ist reich an Beispielen, die das belegen. Das bekannteste davon dürften die Kriege der Europäer gegen China im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts sein, mit der das Land gezwungen wurde, seine Grenzen für europäische Waren – einschließlich Opium – zu öffnen und alle Reformanstrengungen zu unterlassen.

Auch der viel gerühmte Erfolg der Tigerstaaten, der gerne als Beispiel dafür angeführt wird, dass nachholende Entwicklung im kapitalistischen Weltsystem eben doch möglich sei, widerspricht bei Licht besehen den Apologenten des Freihandels. Länder wie Südkorea und Taiwan konnten ihre Volkswirtschaften hinter hohen protektionistischen Schutzmauern entwickeln, die Westeuropa und Nordamerika ihnen ausnahmsweise gestatteten, da sie an den Nahtstellen des kalten Krieges lagen. Und, den Neoliberalen müsste es in den Ohren klingeln: Planung und gezielte Subventionen spielten dabei eine prominente Rolle. Den hiesigen Gewrkschaften übrigens auch: Denn die erwähnte Rolle, die Freihandel für die ‘Entwicklung der Unterentwicklung’ hält, verdeutlicht auch, dass sie sich entscheiden müssen. Entweder internationale Solidarität, wie zum Beispiel an den globalen Aktionstagen gegen die WTO am 9. und 10. November, oder für die eigene Exportwirtschaft auf die Strasse gehen. Eines von beiden geht nur. (wop)

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